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Wer zahlen kann, darf sprengen

Auf Sardinien verstärkt sich der Kampf gegen Verseuchungen durch militärische Versuche und Übungen

Von Ralf Hutter *

Das größte NATO-Übungsgelände Europas liefert möglicherweise bald wichtige Beweise für die Schädlichkeit radioaktiver Munition.

Pitzente Bianco ist »sehr aufgewühlt«. Der 49-jährige Berliner ist gerade von Sardinien zurück gekommen, wo er das ZDF bei Dreharbeiten unterstützt hat. Bianco stammt von dort, lebt aber seit 30 Jahren in Berlin. Hier ist er in einem seit 2006 bestehenden Verein aktiv, dessen Name übersetzt »Kulturbotschaft Sardiniens in Berlin« lautet.

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte Sardiniens stieß der ehemalige Musiker auf das derzeit brisanteste Thema der Insel: die Auswirkungen der vielen dortigen militärischen Tests. Sardinien hat auf allen Seiten militärisches Sperrgebiet. »Wer die nötige Miete aufbringt, kann hier alle möglichen Waffenversuche machen, auch Firmen«, klagt Bianco.

Hauptschauplatz seiner Recherchen zu giftigen Rückständen der militärischen Aktivitäten ist das Gelände namens »Salto di Quirra«, der größte NATO-Übungsplatz Europas. »Er ist 13 000 Hektar groß und umfasst mehrere Ortschaften«, erklärt Pitzente Bianco. »Er ist perfekt, weil hier Versuche zu Wasser, zu Land und in der Luft möglich sind.« Zu den Treibstofftests, die riesige Rauchschwaden erzeugen, kann Bianco ein Video zeigen. Oft würden auch unbrauchbare Waffensysteme und Munition gesprengt. »Nanopartikel von Schwermetallen werden für viele Krankheiten im Ort Quirra verantwortlich gemacht«, so der kritische Rechercheur, der vor dem ZDF schon der »taz« (wo seine Ehefrau als Journalistin arbeitet) bei Recherchen vor Ort half.

Aus einigen Teilen der Insel will schon niemand mehr Lebensmittel kaufen, berichtet er. Missbildungen bei neugeborenen Menschen und Tieren sowie tödliche Krebsfälle bei jungen Männern, die nur ihren Wehrdienst auf einem der sardischen Stützpunkte leisteten, sind in der Gegend längst bekannt. »Fiordalisi hat erst vor ein paar Monaten wieder missgebildete Lämmer konfisziert«, weiß Bianco.

Oberstaatsanwalt Domenico Fiordalisi löste 2011 viel Unruhe aus, als er den Anhaltspunkten nachging. Der Journalistin Aureliana Sorrento zufolge, die über die Angelegenheit ausführlich für den Deutschlandfunk berichtete, ging dem die Enthüllung von geheimen Papieren des Militärministeriums voraus, wonach die Gefahren der Uranmunition und die hohen Krebsraten um Salto di Quirra lange bekannt gewesen waren. Im Dezember hat Fiordalisi, der schon Land konfiszierte, Exhumierungen von an Krebs gestorbenen Schäfern (das Übungsgelände diente stets auch als Weide) und Soldaten durchführen lassen. Die Ergebnisse benötigt er im anstehenden Prozess gegen die Armee.

Dass Salto di Quirra massiv unter giftigen Rückständen leidet, ist nun auch offiziell unstrittig. Soeben, berichtet Bianco, hätten die Behörden bei einer vierstündigen Dorfversammlung in Anwesenheit von Experten und eines Senators, der in Rom an einer Untersuchungskommission beteiligt sei, zugegeben, dass 1000 Hektar des Übungsplatzes verseucht sind. Schwieriger jedoch ist die konkrete Frage nach dem Uran. Das gebe es in natürlicher Form nämlich auch auf der Insel, erklärt Bianco - und Versuche mit abgereichertem Uran (DU) gebe die Armee nicht zu.

Doch sind entsprechende Verdachtsmomente überzeugend. »Da stehen durchlöcherte Panzerwracks rum«, berichtet Bianco - es wurde also panzerbrechende Munition benutzt. Der Physikprofessor Massimo Zucchetti hat gegenüber der Journalistin Sorrento erklärt, kürzlich DU in den Knochen eines neugeborenen Lammes mit dem Ansatz eines zweiten Kopfes gefunden zu haben. Zucchetti stellt zudem die Frage: Wo soll die von NATO-Staaten verwendete DU-Munition sonst getestet worden sein, wenn nicht in Salto di Quirra? »Das kann ich unterschreiben«, so Bianco, der von einer ähnlichen Aussage eines Soldaten weiß, der später an Krebs starb. Der Rechercheur weiter: »Es gibt Dokumente, die zeigen, dass in Salto di Quirra in den späten 1990ern oder 2000ern Tausende ›Milan‹-Raketen verschossen wurden, die Thorium enthielten.« Thorium wirkt und strahlt ähnlich wie DU.

* Aus: neues deutschland, 01.02.2012


Fehlleitmedien

Von Ralf Hutter **

Eine Analyse der neueren Mediengeschichte zeigt einen bemerkenswerten Mangel an kritischer Berichterstattung zum Thema Uranmunition Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wendet sich nun zumindest sporadisch den Gefahren von Uranmunition zu. So endet ein großes Schweigen.

Dass das ZDF auf Sardinien dreht, lässt hoffen. Der Deutschlandfunk sendete bereits im August einen dreiviertelstündigen Beitrag namens »Das Quirra-Syndrom«. Dabei hatten die großen Medien dem Thema Uranmunition zehn Jahre lang gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Kurz nach Ausstrahlung des Radiobeitrags sagte der verantwortliche Redakteur Hermann Theißen gegenüber »nd«: »Ich bin erst durch Hörerreaktionen auf die Funkstille aufmerksam geworden. Diese Geschichte war nicht zu mir vorgedrungen.«

Die »Geschichte« dieser Funkstille lässt sich nachvollziehen. Bis Anfang 2001 gab es nämlich sehr wohl in großen deutschen Medien eine Debatte über die Gefahren von Uranmunition - schließlich war auch die Bundeswehr durch ihre Einsätze auf dem Balkan betroffen. Doch dann berief der damalige Militärminister Rudolf Scharping eine Kommission aus Journalisten, Militärs und Wissenschaftlern ein, die nach einem halben Jahr das gewünschte Ergebnis lieferte: Uranmunition hat keine giftigen Nebenwirkungen. Vorsitzender der Kommission war Theo Sommer, früherer Herausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit«. In dieser Zeitung veröffentlichte dann auch der Redakteur Gero von Randow zwei wortgewaltige Artikel, die alle lächerlich machten, die kritisch zu DU-Munition recherchierten.

»So etwas löst schon einen gewissen Schock aus«, sagt Siegesmund von Ilsemann. »Da denken sich wahrscheinlich viele Kollegen: Wenn das so in der ›Zeit‹ steht, dann lohnt es sich vielleicht nicht mehr, da weiter zu recherchieren.« Von Ilsemann leitete acht Jahre lang das Büro des Magazins »Spiegel« in Washington und glaubt, der Erste gewesen zu sein, der größer über die Gefahren von Uranmunition berichtete. Zur Kommission äußert er sich misstrauisch: »Die Sommer-Kommission wurde bewusst von Minister Scharping zusammengestellt. Sommer war unter Helmut Schmidt im Planungsstab des Verteidigungsministeriums gewesen. Der war gut vernetzt.«

Von Ilsemann hat ab 2001 selbst auch nicht mehr zu dem Thema veröffentlicht, denn »es gab dann nicht mehr so viel Neues«. Doch auch er ist »ein bisschen ratlos, warum die Medien das so vernachlässigt haben«. Zum »Spiegel« kann von Ilsemann nähere Angaben machen: »Das Fachleuteprinzip wurde aufgeweicht.« Seit seinem Ausscheiden 2007 »beschäftigt sich niemand so richtig mit dem Thema«. Hinzu komme eine Verflachung des journalistischen Niveaus - und ein Effekt des Ablebens von »Spiegel«-Gründer und -Herausgeber Rudolf Augstein. »Nach Augsteins Tod 2003 war ich ein ziemlicher Einzelkämpfer, was kriegskritische oder amerikakritische Themen angeht«, erklärt der Ex-Redakteur.

»Lobenswert« nennt von Ilsemann hingegen den Film »Tödlicher Staub« von Frieder Wagner. Wagner war langjähriger freier Dokumentarfilmer gewesen, seine zum Teil preisgekrönten Beiträge liefen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - bis er sich dem Thema Uranmunition widmete. Einen dreiviertelstündigen Beitrag zu Verseuchungen in Irak sendete der WDR 2004 noch. Dann wollte er nicht mehr mit Wagner zusammenarbeiten. »Mir wurde gesagt: ›Deine Themen gelten als schwierig‹«, erzählt Wagner heute. Der engagierte Filmemacher wandte daraufhin seine Ersparnisse für den Dreh eines 90-minütigen Films auf: »Tödlicher Staub«. Der versammelt eindrückliche Fakten und Meinungen aus mehreren Ländern und lief 2007 auf der Berlinale - doch einen Verleih fand Wagner dafür nie.

Ebenfalls 2004 erhielt Wagner eine bemerkenswerte Abfuhr beim Deutschlandfunk . Ein bereits ins Redaktionssystem eingespielter Beitrag zum Thema des WDR-Films wurde einen Tag vor Sendetermin gestrichen. Wagner sollte trotz vorhergehender inhaltlicher Diskussionen noch ganze 15 Einwände klären. Das gelang ihm seinen Angaben zufolge innerhalb von drei Tagen, der Schriftverkehr liegt »nd« vor. Frieder Wagner findet es »peinlich, dass ein Deutschlandfunk-Redakteur überhaupt solche Fragen stellte«.

Tatsächlich müssen so einige der Fragen, die der verantwortliche Redakteur Rolf Clement nach Rücksprache mit dem Leiter seiner Wissenschaftsredaktion stellte, auch Laien befremden. Da wird das Gewicht eines Stoffes nicht über dessen Dichte, sondern über sein Atomgewicht bestimmt. Und was Strahlungsmessungen und die Funktionsweise eines Geigerzähler betrifft, zeigt sich die Fachredaktion bemerkenswert unwissend - zu unwissend. Autor Wagner vermutet Voreingenommenheit als Grund für die letztendliche Ablehnung seines Beitrags.

Was sagt der Deutschlandfunk heute - also auch nach dem Beitrag zu Quirra - dazu? Militärexperte Rolf Clement erinnert sich zunächst daran, dass die Berichterstattung 2001 nach dem Wirken der Sommer-Kommission »tatsächlich abbrach«. Doch als er den Namen Wagners hört, bricht er selbst ab und verweist auf die Pressestelle. Die wiederum will eine angeblich »inzwischen mehr als alte Diskussion« (wo es die jemals gegeben haben soll, wird auch auf Nachfrage nicht angegeben) nicht »wieder aufleben lassen« und schweigt zu sämtlichen Fragen.

»Salto di Quirra« sagt Rolf Clement übrigens nichts. Und in den Online-Archiven der großen überregionalen Zeitungen bringt die Suche nach dem Wort »Quirra« weiterhin keinen Treffer.

Kritische Information

Die umfassende, kürzlich aktualisierte Dokumentation von kritischen Texten zu Uranmunition namens »Kriegführung mit Urangeschossen« von Brigitte Runge und Fritz Vilmar kann beim Arbeitskreis für Friedenspolitik in Berlin bestellt werden (www.friedenspolitik.com). Der Film »Tödlicher Staub« ist beim Autor Frieder Wagner erhältlich: ochowa-film@t-online.de Unter anderem eine Liste mit Forschungsergebnissen (Stand: 2010) bietet: http://www.ippnw.de/frieden/uranmunition.html



** Aus: neues deutschland, 01.02.2012

Lexikon: DU-Munition

Wenn Natururan für die Verwendung in Kernkraftwerken bearbeitet wird, entsteht dabei als Nebenprodukt in relativ großer Menge abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium (DU). Dieser schwach radioaktive und chemisch-toxische Stoff ist wegen seiner hohen Dichte geeignet für panzerbrechende Munition und wird deshalb bei mehreren Waffensystemen verwendet. DU wurde von NATO-Staaten seit 1991 mindestens in Irak und auf dem Balkan eingesetzt. Alle angefragten Regierungen, auch die deutsche, bestreiten seitdem unbeabsichtigte Gesundheitsgefährdungen durch Rückstände dieser Munition und berufen sich dabei auf wissenschaftliche Studien.

Gegenläufige Stimmen berufen sich jedoch auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse. So werde nicht berücksichtigt, dass beim Aufprall der Raketen Feinstaub entstehe, der sich später bei Dritten in den Lungen festsetze und im Blut in alle Körperteile gelangen könne. Obwohl DU nicht stark strahle, könne der sich so ergebende dauerhafte Kontakt mit Körperzellen Krebs bewirken. Zudem sei erwiesen, dass die Kombination von Radio- und Chemotoxizität besondere Risiken bedeute. Der Staub, vor dessen Gefährlichkeit die US-Armee seit Jahrzehnten intern warnt, ist nicht nur für Soldaten eine Gefahr, sondern etwa auch für die in Irak in Panzerwracks spielenden Kinder. rhu

(nd, 01.02.2012)




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