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De Maizière schiebt Beamte vor

Verteidigungsminister erwägt personelle Konsequenzen in der Drohnenaffäre

Von Aert van Riel *

Aus seiner Sicht hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in der Affäre um die Drohne »Euro Hawk« alles richtig gemacht. Oppositionspolitiker forderten hingegen seinen Rücktritt.

Nach langem Schweigen hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière nun einen 67 Seiten langen Bericht zu dem Spionagedrohnenprojekt »Euro Hawk« vorgelegt. Das Ministerium hatte das Beschaffungsprogramm für das unbemannte Flugobjekt vor drei Wochen wegen massiver Probleme bei der Zulassung für den europäischen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion gestoppt. Laut Verteidigungsministerium sind für den »Euro Hawk« Kosten von 662 Millionen Euro entstanden, von denen rund 100 Millionen Euro noch gezahlt werden müssen. Davon betreffen allerdings nach Angaben von de Maizière 360 Millionen Euro das Spionagesystem ISIS, das weiter nutzbar sei.

De Maizière verteidigte die vor seiner Amtszeit getroffene Entscheidung, die Drohne anzuschaffen, und die Entscheidung für den Abbruch des Projekts sowie den dafür gewählten Zeitpunkt. Denn nun könne immerhin das ISIS-System weiter getestet werden. »Größerer Schaden ist somit verhindert worden«, so de Maizière.

Insgesamt sieht sich der Minister bei den Vorgängen in seinem Haus allerdings »unzureichend« eingebunden. Die Entscheidung zum Abbruch des Projektes trafen seine beamteten Staatssekretäre Rüdiger Wolf und Stéphane Beemelmans. Ihr Chef wurde erst einige Tage später am 13. Mai darüber informiert. »Das ist nicht in Ordnung«, sagte de Maizière.

Erstmals informiert wurde der Minister über Probleme bei der Zulassung im März 2012. Allerdings soll ihm damals zugesichert worden sein, dass diese Probleme lösbar seien. »Ich behalte mir personelle Konsequenten vor«, erklärte de Maizière. Möglich ist eine Entlassung der beiden Staatssekretäre. Seinen eigenen Rücktritt lehnt der CDU-Politiker weiter ab. Er will künftig über Rüstungsprojekte genauer informiert werden.

Politiker der LINKEN, die den Einsatz von Drohnen ablehnen, fordern schon seit langem, dass der Minister Konsequenzen aus der Affäre ziehen und zurücktreten soll. »Großdrohnen sind zu teuer, moralisch mehr als fraglich und stellen eine Gefährdung für die zivile Luftfahrt dar«, sagte die LINKE-Parlamentarierin Inge Höger. Ihr Fraktionskollege Paul Schäfer monierte, dass »der Minister die Entscheidung, das Projekt bis Mai weiterlaufen zu lassen, offen damit rechtfertigt, dass andernfalls die Rüstungsfirma EADS das Abhör- und Spionagesystem ISIS nicht hätte zu Ende entwickeln können«. Offensichtlich sei dem Minister das Wohlwollen der Rüstungslobby wichtiger als die Luftsicherheit für die zivile Luftfahrt.

Auch die SPD will inzwischen den Rücktritt des Verteidigungsministers. »Herr de Maizière muss die politische Verantwortung selbst übernehmen und zurücktreten«, forderte der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, konstatierte »ein systematisches Organisationsversagen im Verteidigungsministerium«. Das Drohnenprojekt war von der rot-grünen Bundesregierung 2001 auf den Weg gebracht worden. Der Vertrag wurde unter der Großen Koalition 2007 abgeschlossen.

Die Auseinandersetzung um die Drohnenaffäre wird nun im Bundestag fortgesetzt. Das Verteidigungsministerium hatte den Abgeordneten den Bericht über das deutsch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt »Euro Hawk« kurzfristig vorgelegt. Die Parlamentarier hatten kaum Zeit, sich auf die Sitzung mit de Maizière im Verteidigungsausschuss vorzubereiten. Deswegen wurde gestern eine Sondersitzung des Ausschusses für Montagmorgen vereinbart.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Juni 2013


Bauernopfer

Von Aert van Riel **

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat viele Fehler in der Drohnenaffäre eingeräumt. Diese sieht der CDU-Politiker aber nicht bei sich selbst, sondern bei engen Mitarbeitern in seinem Haus. Ihm selber geht es offenbar nur noch darum, seine eigene Haut zu retten und im Amt zu bleiben. Deswegen war de Maizière in den letzten Tagen kritischen Fragen über das von seinem Ministerium gestoppte Spionagedrohnenprojekt »Euro Hawk«, das immer teurer wurde, aus dem Weg gegangen. Schriftliche Fragen von Oppositionspolitikern wollte das Verteidigungsministerium nicht fristgemäß beantworten und missachtete damit die Rechte des Parlaments. Gestern Mittag hätte de Maizière eigentlich zur Fragestunde im Bundestag erscheinen müssen, aber die Koalitionsfraktionen verhinderten dies. Sie beantragten stattdessen eine Aktuelle Stunde zu dem Thema. Die Debatte über das Drohnenprojekt wird nun auch im Bundestag fortgesetzt.

De Maizière hält sich offen, in den nächsten Tagen personelle Konsequenzen zu ziehen. Möglich ist eine Entlassung der Staatssekretäre Stéphane Beemelmans und Rüdiger Wolf, weil sie ihren Chef zu spät informiert haben sollen. Sie könnten zu Bauernopfern werden für einen Minister, der auch weiterhin große Summen für Projekte verschleudern will, welche die Kriegseinsätze der Bundeswehr erleichtern sollen. Nicht einmal die hohen Kosten bei »Euro Hawk« halten die Bundesregierung von ihren Plänen ab, weitere Drohnen zu beschaffen, die auch bewaffnet werden können. Völkerrechtliche Bedenken hat sie ohnehin nicht.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Juni 2013 (Kommentar)


Die Schuld der anderen

De Maizière macht Mitarbeiter für Drohnenskandal verantwortlich. Kabinett beschließt Verlängerung von drei Kriegseinsätzen der Bundeswehr

Von Arnold Schölzel ***


Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziére will wegen der Drohnenaffäre nicht zurücktreten, behält sich aber personelle Konsequenzen in seinem Ressort vor. Er selbst sei über die Zulassungsprobleme beim »Euro Hawk« zu spät informiert worden, behauptete er am Mittwoch in Berlin. Zugleich räumte der CDU-Politiker eigene Fehler ein: »Ich hätte früher mein Haus so ordnen müssen, daß ich als Minister bei Entscheidungen dieser Größenordnung beteiligt werde.« Die Opposition sieht den Minister weiterhin nicht entlastet und warnte vor einem Bauernopfer.

Nach wochenlangem Schweigen stand de Maizières dem Verteidigungsausschuß des Bundestags Rede und Antwort. Das mehr als eine halbe Milliarde Euro teure Projekt »Euro Hawk« war vom Minister im Mai wegen der Nichtzulassung für den deutschen Luftraum gestoppt worden. Vor den Abgeordneten wie vor Journalisten betonte de Maizère, er sei erst am 13. Mai dieses Jahres über die Probleme informiert worden und habe am selben Tag den Stopp gebilligt. Zuvor habe es keine Vorlage für ihn gegeben, in der die Zulassungsprobleme beschrieben worden seien. Lediglich bei einer Besprechung am 1. März vergangenen Jahres seien diese zur Sprache gekommen, von den Fachleuten aber als lösbar dargestellt worden.

Die zurückhaltende Information des Ressortchefs entspreche einer teils über Jahrzehnte geübten Praxis im Ministerium. Er verwies darauf, daß die wichtigen Entscheidungen zum Projekt von seinen beiden Staatssekretären getroffen worden seien. An ihn selbst gehe der Vorwurf, daß er die Verfahrensmängel nicht früher abgestellt habe. Sein Amtsvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg hatte im Dezember 2009 wegen angeblich unzureichender und falscher Information über das Bombardement im afghanischen Kundus, bei dem bis zu 140 Menschen getötet wurden, den Generalinspekteur der Bundeswehr und einen Staatssekretär entlassen.

De Maizière wies die Kritik der Opposition zurück, zu spät gehandelt und damit Steuergelder in erheblichem Umfang in den Sand gesetzt zu haben. Durch die Entscheidung im Mai sei kein zusätzlicher Schaden entstanden, »sondern größerer Schaden verhindert worden«. Insgesamt sehen die Verträge laut Minister Kosten von 652 Millionen Euro vor. Bis Ende des Jahres will de Maizière nun prüfen, wie die Bundeswehr ihre Luftaufklärung auch ohne den »Euro Hawk« verbessern kann. Zudem fordert der Minister eine militärische Luftfahrtbehörde, die künftig über die Zulassung entscheidet. Für alle größeren Rüstungsprojekte soll es einen regelmäßigen Statusbericht an den Minister geben. Das Ministerium werde zudem eine Anwaltskanzlei beauftragen, um Schadensersatzansprüche aller Art zu prüfen. In dem Bericht wird den beteiligten Firmen Northrop Grumman und EADS eine Mitverantwortung für das Scheitern gegeben.

De Maizière hatte die Drohnenwaffe 2012 als »ethisch neutral« bezeichnet. Sie sei eventuell sogar ein ethischer Vorteil, weil sie keine eigenen Soldaten gefährde. Den so bekräftigten militärischen Expansionskurs der Bundesrepublik unterstrich am Mittwoch das Kabinett. Es beschloß eine Vorlage für den Bundestag, mit dem die deutsche Teilnahme an der UNIFIL-Mission im Mittelmeer (300 Marinesoldaten), an der UN-Truppe in Mali (150 Soldaten) und an einer EU-Grenzschutzexpedition (20 Polizeibeamte) in Libyen verlängert werden soll. (mit Reuters und dpa)

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. Juni 2013

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