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EU-Entwicklungspolitik: Unter dem Kuratel der Sicherheitspolitik?

Die neue "Europäische Sicherheitsstrategie" bedroht zivile Politikfelder

Die Militarisierung der EU, wie sie im EU-Verfassungsentwurf und in der im Dezember 2004 verabschiedeten "Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) festgeschrieben ist, verändert die Europäische Union gründlicher als von den meisten Menschen bisher wahrgenommen. Der folgende Beitrag - wir haben ihm dem Infobrief "Weltwirtschaft & Entwicklung" entnommen - analysiert die möglichen Folgen der ESS für die Entwicklungspolitik der EU.


Von Klaus Schilder

Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Selbst dann, wenn es um die zukünftige Verortung machtpolitischer Interessen Europas in der von den USA dominierten unilateralen Weltordnung geht. Bereits am ersten Tag der Regierungskonferenz im letzten Dezember verabschiedeten die EU-Staats-und Regierungschefs, von der Öffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen, eine neue "Europäische Sicherheitsstrategie". Die Eigenständigkeit der europäischen Entwicklungspolitik könnte dabei völlig unter die Räder kommen, schreibt Klaus Schilder.

Grundlage der neuen Doktrin ist ein Diskussionspapier des für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zuständigen EU-Kommissars Javier Solana ("Mr. GASP") vom vergangenen Juni (siehe Hinweis 1). Im Mittelpunkt der Strategie stehen - im Zeichen eines scheinbar neuen und dynamischen Bedrohungspotentials - die wirksame Durchsetzung des multilateralen Systems, die Stärkung des eigenständigen europäischen Handelns sowie die zivile und militärische Krisenprävention: "Wir leben in einer Welt mit neuen Gefahren, aber auch mit neuen Chancen... Eine aktive und handlungsfähige Europäische Union könnte Einfluß im Weltmaßstab ausüben. Damit würde sie zu einem wirksamen multilateralen System beitragen, das zu einer Welt führt, die gerechter, sicherer und stärker geeint ist", heißt es im Text wörtlich. Neben gewaltbereiten Terroristen werden die Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen, das Scheitern staatlicher Strukturen (die sog. Failing States), Regionalkonflikte und organisierte Kriminalität als Hauptgefahren für Europa benannt. Auf gleicher Augenhöhe mit den USA und Großbritannien will die EU daher in Zukunft "eine mächtige Kraft zum Wohle der Welt sein".

Umkehr des Kohärenzgebots:

Dahinter steckt einerseits eine Kampfansage an die von Bush und Blair geprägte unilaterale Weltordnung. Aus der Solana-Strategie folgt aber auch, daß andere Politikfelder mit außenpolitischer Wirkung in Umkehr des Kohärenzgebots hinter diesen Großmachtambitionen zurückstecken müssen. Die Strategie fordert explizit dazu auf, "die verschiedenen Instrumente und Fähigkeiten, darunter die europäischen Hilfsprogramme und den Europäischen Entwicklungsfonds, die militärischen und zivilen Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten ... zu bündeln". Militärische Gewalt zur Verteidigung des "Guten" in der Welt wird so in Zukunft zum legitimen Handlungsinstrument des zivilen Europas.

Rückblende: Der am 18. Juli 2003 vom Europäischen Konvent vorgelegte Entwurf für einen neuen EU-Vertrag, euphemistisch als Verfassungsentwurf bezeichnet, schreibt die Formulierungen früherer Verträge fort, indem er die Kohärenz der Ziele außenpolitischen Handelns, darunter das Ziel der weltweiten Armutsbekämpfung, zu anderen Politikbereichen in Art. III-193 garantiert. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe erhielten ein eigenes Kapitel. Allerdings ermöglichen die Bestimmungen im Abschnitt zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine weitgehende Instrumentalisierung der gemeinsamen Entwicklungspolitik. Die italienische Ratspräsidentschaft legte während der Regierungskonferenz im Dezember 2003 nochmals nach: Einem Ergänzungsvorschlag für Art. I-27 zufolge forderte die Berlusconi-Administration, die EU-Außenminister- Kompetenz dadurch entscheidend zu erweitern, daß das außenpolitische Handeln der Union konsistent an den Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ausgerichtet werden müsse. Entwicklungspolitische Verbände liefen Sturm gegen die italienische Formel, die dem "Super-Minister" de facto die Kontrolle über die von der Kommission bestimmte europäische Handelspolitik, die Entwicklungsarbeit und die humanitäre Hilfe geben würde. Derzeit ist unklar, was aus dem italienischen Vorstoß wird. In Europa hoffen die Regierenden auf eine Einigung über eine neue Verfassung hinter verschlossenen Türen während der irischen Präsidentschaft. Und Bertie Ahern hat Berlusconis Papier bei seinen Beichtstuhlgesprächen noch im Gepäck.

EEF unter Budgetkontrolle:

Auch auf der Ebene institutioneller Reformen zeichnet sich die politisch motivierte Subordination originärer entwicklungspolitischer Ziele unter die GASP deutlich ab, etwa durch die Auflösung eines eigenständigen Entwicklungsministerrates durch den Europäischen Rat in Sevilla im Jahr 2002. Jüngstes Beispiel: Die in der Vergangenheit auch von NGO-Seite geforderte Eingliederung der Mittel des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in den vom Europäischen Parlament kontrollierten Haushalt. Die Kommission hat, unter Verweis auf den Zeitdruck durch die Regierungskonferenz, am 8. Oktober 2003 ihre Vorstellungen dafür vorgelegt (s. Hinweis 2).

Die eigentliche Entscheidung über die Struktur des 10. EEF wird allerdings erst im Rahmen der dieses Jahr beginnenden Finanzverhandlungen getroffen. Während sich die Kommission angesichts vergangener Mittelabflußprobleme größere Flexibilität bei der Verwendung der EEF-Beiträge für internationale Fonds, Friedenseinsätze und Anti-Terror-Maßnahmen oder Vorhaben in anderen Regionen verspricht, kritisieren europäische Entwicklungsverbände wie Eurostep und CONCORD die Vorschläge scharf. Sie machen die Umsetzung der Kommissionsvorschläge von mehreren Forderungen abhängig: Die Kommission sollte im Interesse des Ownership einen transparenten Konsultationsprozeß mit den AKP-Staaten einleiten, die Verfügbarkeit der bisherigen Mittel für die (zumeist ärmeren) AKP-Staaten im EU-Haushalt sicherstellen, eigene bürokratische Prozeduren vereinfachen, im Verfassungsentwurf die Rolle gemeinsamer EUAKP- Institutionen deutlich machen und die Zivilgesellschaft an der Planung der Länderstrategien beteiligen.

Sachfremde Mittelverwendung?

Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr. Schon jetzt werden Mittel aus dem 9. EEF für friedensschaffende Maßnahmen eingesetzt. Mitte November beschloß der Europäische Rat auf Vorschlag der Kommission, der Afrikanischen Union 250 Mio. € für eine schnelle Eingreiftruppe zur Friedenssicherung zur Verfügung zu stellen, etwas später flossen nochmals 25 Mill. € für ähnliche Ziele in Burundi. 126,4 Mio. € sollen dabei durch eine 1,5-%ige Kürzung der im Rahmen der nationalen Indikativprogramme bewilligten Länderallokationen mobilisiert werden, der Rest aus bisher nicht verplanten Mitteln des 9. EEF. Obwohl das BMZ zwar im Grundsatz die Neurichtung im Rahmen der EU-Sicherheitsstrategie begrüßt, warnte Heidemarie Wieczorek-Zeul davor, militärische Aktivitäten zur Friedenssicherung in AKP-Staaten aus Entwicklungsgeldern zu finanzieren. Dies schwäche den Ansatz, die Armut zu bekämpfen und nachhaltige und langfristige Lösungen für Krisen zu schaffen. Europäische NBOs kritisierten zudem, daß der sachfremden Mittelverwendung durch die Budgetisierung Tür und Tor geöffnet werden.

Auch globale Entwicklungsfonds könnten nach den bisherigen Kommissionsvorstellungen in Zukunft aus dem EEF anstatt aus zusätzlichen Mitteln finanziert werden. In Umsetzung ihrer Zusage zur Verbesserung des Zuganges zu Wasser und sanitären Anlagen im Kontext der UN-Millenniums- Entwicklungsziele stellte die Kommission kürzlich 1,2 Mrd. € für eine Globale Wasser-Fazilität zur Verfügung (s. Hinweis 3). Daraus sollen neue Initiativen, technische Hilfe und Kapazitätsförderung in AKP-Staaten unterstützt werden. Die Fazilität soll aus bisher nicht zugewiesenen Mitteln des 9. EEF finanziert werden, deren Verwendung allerdings an die erst für die zweite Jahreshälfte 2004 geplante Halbzeitüberprüfung des EEF gebunden ist. Eurostep und andere NGOs befürchten, diese Umverteilung ginge möglicherweise zu Lasten der im Rahmen der Länderstrategien vereinbarten Entwicklungsschwerpunkte in den AKP-Staaten, wenn nach der für 2004 geplanten Halbzeitüberprüfung der Bedarf für weitere Mittel, z.B. für die Stärkung sozialer Grunddienste, festgestellt würde. Zudem will die Kommission aus der Fazilität Wasser- und Sanitärinfrastrukturmaßnahmen zusammen mit privaten Investoren finanzieren - ein verstärkter Drucks zur Privatisierung in AKP-Staaten wäre die Folge.

Hinweise:
  1. Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, Brüssel, 12.12. 2003; im Internet unter: www. auswaertiges-amt.de/www/ de/infoservice/download/pdf /friedenspolitik/ess.pdf
  2. Towards the Full Integration of Cooperation with the ACP Countries in the EU Budget, EU Kommission, Brüssel, Oktober 2003
  3. Communication on the Future Development of the EU Water Initiative and the Modalities for the Establishment of a Water Facility for ACP Countries, EU Kommission, Brüssel, 26.1.2004
Aus: Weltwirtschaft & Entwicklung (W & E), 2/2004, S. 2-3



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