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Zeit für Alternativen

Von Marita Wiggerthale *

Anfang dieser Woche kamen in Brüssel die Entwicklungsminister/innen der EU zusammen. Auf der Tagesordnung: Die Zukunft Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Konkret ging es um die Ausgestaltung der mit diesen Regionen geplanten Freihandelsabkommen. Denn was die Handelsvorteile der EU für die alten Kolonien über Jahrzehnte nicht geschafft haben, soll nun mit umfassenden Freihandelsabkommen erreicht werden: eine nachhaltige Entwicklung und weniger Armut. Doch unter dem gegenwärtigen Zeitdruck droht die Entwicklung unter die Räder zu kommen.

Nur noch bis zum 31. Dezember 2007 kann die EU sicher sein, dass kein Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) sie wegen der einseitigen Handelsvorteile zugunsten der alten Kolonien vor das Schiedsgericht zitiert. Deswegen müssen schnellstmöglich Freihandelsabkommen her, die von Mitgliedern der WTO nicht angefochten werden können. So zumindest die Meinung der Kommission und auch der Bundesregierung. Es gibt in ihren Augen keine Alternativen. Warum sollten sie auch nach solchen suchen? Schließlich ist die Unterzeichnung von umfassenden Freihandelsabkommen – u.a. Waren, Dienstleistungen, Investitionsregeln betreffend – genau das, was sie wollen. Ärgerlich ist nur, dass bisher keine einzige der sechs Verhandlungsregionen ein solches Abkommen mit der EU unterzeichnen kann oder will.

Seit dem 23. Oktober gibt es deswegen einen »Plan B« der Kommission. Die AKP-Länder werden nunmehr vor die Wahl gestellt, entweder ein Freihandelsabkommen für den Warenhandel zu unterzeichnen, das nicht in ihrem Interesse ist, oder im Falle der Nichtunterzeichnung jetzt noch bestehende Handelsvorteile zu verlieren. Letzteres schmeckt selbst liberalisierungsfreundlichen Regierungen in Deutschland, Großbritannien und den skandinavischen Ländern nicht so ganz. Sie würden irgendwie gerne eine Schlechterstellung der nicht unterzeichnungsbereiten oder -willigen AKP-Länder – die nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören – ab 2008 vermeiden. Trotz heißer Debatten beim Treffen der Entwicklungsminister/innen stimmten am Ende aber alle dem Vorschlag der Kommission zu, neoliberale Warenabkommen mit den AKP-Regionen zu verhandeln, notfalls auch mit einzelnen Ländern innerhalb einer Region.

Dabei stellen die weitreichenden Freihandelsabkommen im Agrar- und Industriegüterbereich – 80% der Zölle sollen mehrheitlich innerhalb von 10 bis 15 Jahren abgeschafft werden – eine große Gefahr für die Entwicklung in diesen Ländern dar. Die Ernährungssicherheit, die kleinbäuerliche Produktion und die Beschäftigung im ländlichen Raum sind gefährdet, im Aufbau befindliche Industrien sind vom Niedergang bedroht. Zwar sollen »sensible Produkte« von der Liberalisierung ausgenommen werden dürfen, aber das Beispiel Südostafrika zeigt, dass der Spielraum für die Länder sehr gering ist. Sie mussten die Liste mit »sensiblen Produkten« von 43% auf 21% und schließlich 19% zusammenstreichen. Der Schutz von lebenswichtigen Produkten in der Region kann so nicht gewährleistet werden.

Die Einschätzung, dass diese Abkommen sich sehr negativ auf die Entwicklung in den armen Ländern auswirken, fasst immer mehr Fuß. Die Zeit ist reif für Alternativen. Die AKP-Länder haben sie bereits Anfang November eingefordert.

* Die Autorin ist Expertin für Welthandel bei der Nichtregierungsorganisation Oxfam.

Aus: Neues Deutschland, 23. November 2007 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")



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