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Eurokrise bestraft arme Staaten

Die Rezession in Europa führte zu Wachstumseinbußen in Entwicklungsländern

Von Simon Poelchau *

Weil die Verwerfungen in der Eurozone auch Auswirkungen auf Länder außerhalb Europas haben, fordert ein Bündnis, die Entwicklungshilfe mit Mitteln aus der Finanztransaktionssteuer aufzustocken.

Die Eurokrise macht die Menschen arm. Nicht nur in Europa: Die Entwicklungsländer litten allein im Jahr 2012 unter einem Wachstumsverlust von rund 185 Milliarden Euro auf Grund der Rezession in der Eurozone. Dies geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten hervor. Der Auftraggeber der Studie, das Bündnis »Steuer gegen Armut«, fordert deswegen, dass ein Teil der Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer für die Bekämpfung der Armut in Entwicklungsländern und zur Verlangsamung des Klimawandels verwendet wird.

Die Gründe, warum die Eurokrise negative Auswirkungen auf arme Länder hat, sind vielfältig. Sie reichen von Exportrückgängen, weil die Nachfrage aus Europa zurückgeht, über Währungsverluste bis hin zu schwindenden ausländischen Direktinvestitionen. Untersucht wurden in dem Gutachten die Entwicklungen von insgesamt 94 Staaten, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2010 die Summe von 3750 US-Dollar nicht überschritt.

Besonders schwer wiegt für die ärmeren Länder, dass Europa als Absatzmarkt kleiner geworden ist. »Dadurch, dass die Nachfrage in Europa zurückgegangen ist, schrumpft die Möglichkeit der Entwicklungsländer, mit ihren Exporten Geld zu verdienen«, erklärt Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation WEED, die Teil von »Steuer gegen Armut« ist. Ein Prozent Wachstumsrückgang in Europa etwa bewirkt in afrikanischen Entwicklungsländern einen Rückgang des Exports um zehn Prozent, weil viele der Niedrigeinkommensländer in hohem Maße von Handelsbeziehungen mit der EU abhängig sind. So verkauft Mosambik 62,4 Prozent seiner Waren nach Europa.

Eine Folge der Krise, die vor allem die ärmsten Länder trifft, sind Überweisungseinbußen. Diese Geldflüsse sind während der Krise stark eingebrochen, weil viele Arbeitsmigranten in der EU arbeitslos wurden und sie deswegen weniger Geld in ihre Heimatländer überweisen konnten.

Nicht ganz so eindeutig ist hingegen die Rolle der ausländischen Direktinvestitionen. Auch sie sanken in den Entwicklungsländern nach dem Ausbruch der Krise massiv. »Das ist natürlich differenziert zu betrachten, weil Auslandsinvestitionen zum Teil negative entwicklungspolitische Auswirkungen haben«, meint dazu Peter Wahl. So könnten einheimische Produzenten durch internationale Firmen verdrängt werden, was sich zwar positiv auf die Bilanz auswirke, aber negative Folgen für die Bevölkerung habe.

Für das Bündnis »Steuer gegen Armut« steht auf jeden Fall fest, dass die Finanzwelt für die Schäden, die sie durch die Eurokrise in den Entwicklungsländern angerichtet hat, auch aufkommen soll. »Es gilt das Verursacherprinzip«, sagt Jörn Kalinski, Vertreter der Entwicklungshelfer von Oxfam in der Steuerungsgruppe des Bündnises. Deshalb sei Europa moralisch und politisch in der Pflicht, Entwicklungsländer mit den Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer zu unterstützen. »Die Finanztransaktionssteuer sichert, dass das Geld dafür aus der Finanzbranche kommt, wo die Krise ihren Anfang nahm«, so Kalinski.

Denn mit der geplanten Steuer, für die der Rat der EU-Finanz- und Wirtschaftsminister (ECOFIN) grünes Licht gab, sollen nicht nur die Kapitalmärkte sicherer gemacht werden. Vor allem geht es darum, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen. Erste Schätzungen gingen von Einnahmen von bis 35 Milliarden Euro pro Jahr für die durch diese Steuern aus. Doch die Lobbyarbeit der Finanzbranche war bisher so erfolgreich, dass diese Summe als nicht mehr realistisch gilt.

Kalinski und Wahl wissen für ihre Forderung zumindest die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf ihrer Seite. So ergibt eine aktuelle Emnid-Umfrage, dass 73 Prozent der Deutschen es befürworten, wenn zumindest Teile der Einnahmen aus der Steuer für die weltweite Armutsbekämpfung ausgegeben werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 12. Juli 2013


Das Verursacherprinzip

Von Simon Poelchau **

Europa ist nicht abgeschottet von der Welt. Also hat seine Krise nicht nur verheerende Auswirkungen in Ländern wie Spanien, Griechenland, Italien, Irland und Portugal. Wie die Studie des Bündnisses »Steuer gegen Armut« zeigt, leiden auch die Entwicklungsländer an den Auswirkungen der europäischen Rezession. Diese Entwicklung wirkt der Erreichung der UN-Millenniumsziele entgegen. Denn die oberste Aufgabe ist es immer noch, weltweit Hunger und extreme Armut zu bekämpfen. Doch dafür braucht man die entsprechenden Mittel, gerade in Zeiten, in denen dieses Ziel wieder weiter in die Ferne rückt. Die Forderung des Bündnisses, hierfür zumindest einen Teil der Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer zu verwenden, hat einen gewissen Charme. Nicht nur, weil die durch die Finanzwelt verursachte Eurokrise negative Auswirkungen auf die Entwicklungshilfe hat, wie Oxfam und Co. argumentieren. Schließlich haben viele Finanzspekulationen direkt Auswirkungen auf die Ärmsten der Armen. Besonders ist da die Spekulation auf Lebensmittel zu nennen, die gleichzeitig Lebensmittel in vielen Teilen der Welt fast unbezahlbar macht und dann wieder die Preise für Agrarprodukte in den Keller rasen lässt, wodurch viele Kleinbauern des globalen Südens schnell in extreme Armut geworfen werden.

Zur Bekämpfung der Armut die Verursacher heranzuziehen, ist deswegen nicht nur sinnvoll, sondern auch legitim. Die Finanztransaktionssteuer ist da wenigstens ein Anfang.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 12. Juli 2013 (Kommentar)


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