EU verhängt Milliardenstrafe für Finanzkartelle
Banken müssen 1,7 Milliarden Euro wegen Zinssatzmanipulation zahlen *
Ihre illegalen Machenschaften kamen sechs internationalen Großbanken am Mittwoch teuer zu stehen. Die EU-Wettbewerbskommission verhängte gegen sie eine Rekordstrafe in Höhe von insgesamt 1,7 Milliarden Euro. Die Finanzinstitute, zu denen auch die Deutsche Bank gehört, hatten Kartelle zur Manipulation der europäischen Referenzzinssätze Euribor und Libor gebildet. Auch die japanische Währung Yen war betroffen. Gleichzeitig wurde am Donnerstag bekannt, dass Finanzaufsichtsbehörden weltweit wegen des Verdachts der Währungsmanipulation ermitteln.
Die Finanzinstitute konnten die Referenzzinssätze beeinflussen, weil sie zu deren Festlegung täglich befragt werden. Dabei tauschten sich die insgesamt acht beteiligten Geldhäuser über ihre Angebote für die Referenzsätze wie auch über ihre Handels- und Preisstrategien aus. Seit Oktober 2011 ermittelte die Kommission deswegen. Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia nannte die aufgedeckten Vorgänge »schockierend«. Es habe sich um »kein kleines Kartell« gehandelt.
Die Deutsche Bank muss wegen ihrer Beteiligung am Euribor- und am Libor-Yen-Kartell insgesamt 725 Millionen Euro zahlen. Weitere Banken, die mit der EU-Kommission einen Vergleich aushandelten, waren die Société Générale, RBS und JPMorgan. Für Barclays und UBS gingen die beiden Verfahren straffrei aus, weil sie halfen, die Kartelle aufzudecken. Ansonsten hätte die Geldstrafe für die UBS, die sich an der Manipulation des Yen beteiligte, 2,5 Milliarden Euro betragen.
Gleichzeitig wurde am Mittwoch berichtet, dass Finanzaufseher weltweit gegen mehrere Banken ermitteln. Der Vorwurf: Manipulation von Währungskursen. Doch gebe es noch keine Anhaltspunkte dafür, »dass Händler einer deutschen Bank« involviert seien, zitierte die »Süddeutsche Zeitung« den Chef der deutschen Bankenaufsicht, Raimund Röseler.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013
Milliardenspiel der Großbanken
Der Libor-Skandal ist nur die Spitze des Eisberges – das Schema bei den Manipulationen von Marktpreisen ist immer gleich
Von Hermannus Pfeiffer **
Haben Großbanken seit Jahrzehnten alle wichtigen Finanzmärkte zu ihren Gunsten manipuliert? Die Liste der Verfehlungen wird jedenfalls immer länger.
Zehn internationale Banken sollen über Jahre hinweg Zinssätze für Kreditgeschäfte manipuliert haben. Die EU-Kommission hat nun wegen des Libor- und Euribor-Skandals eine Rekordstrafe verhängt. Ebenfalls am Mittwoch wurde bekannt, dass Aufsichtsämter gegen wenige führende Großbanken wegen Unregelmäßigkeiten bei Währungsgeschäften ermitteln. Doch diese Fälle sind nur die Spitze des berühmten Eisberges: Manipuliert haben zwei Dutzend Geldgiganten ebenfalls Immobilienpreise sowie Aluminium-, Gold- und Rohstoffkurse und selbst der Strommarkt in den USA wurde künstlich beeinflusst. Dabei ging ein überschaubarer Kreis von Finanzriesen manchmal jahrzehntelang nach dem gleichen Schema F vor – unbehelligt von staatlicher Aufsicht und Regierungen in aller Welt.
Seit der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte, die in den 1980er Jahren begannen, wuchs die Versuchung für die Geldgiganten. Die Vorab-Kenntnis von wichtigen »Benchmarken« kann nämlich Gold wert sein. An solchen Vergleichswerten orientieren sich Banken und Sparkassen maßgeblich, wenn sie sich untereinander Geld pumpen, wenn Kredite an Handwerker vergeben, japanische Yen in Frankfurt gekauft werden oder Investmentfonds das Geld der Riester-Sparer in Gold anlegen. Dabei geht es nicht allein um den tatsächlichen Preis, sondern auch um das Auf und Ab der Indizes, denn diese führen zu Käufen oder Verkäufen, für die Großbanken wiederum üppige Provisionen kassieren.
Größer ist der Kreis der potenziell Geschädigten. Dazu gehören abertausende kleine Finanzinstitute, Sparkassen und Versicherungen, aber auch Kleinsparer und Gewerbetreibende. Und ein manipulierter Wechselkurs kann zumindest kurzzeitig Schwellenländer oder die exportorientierte Industrie teuer zu stehen kommen.
Wer den Vergleichswert von morgen schon heute kennt – das ist ähnlich wie beim Lotto –, gewinnt. Dabei geht dieses Spiel nicht um Millionen, sondern um Milliarden Euro oder Dollar. Kleinste absichtliche Veränderungen bringen beim Handel mit Währungen viel Geld ein: So lag der weltweite Umsatz an den Devisenmärkten laut Bundesbank im April durchschnittlich bei 5,3 Billionen US-Dollar – täglich! Fast eine Verdoppelung gegenüber 2010. Schon Manipulationen im Promillebereich sichern daher heute stattliche Extraprofite.
Manipuliert wird bei fast allen bekannt gewordenen Fällen auf die gleiche Weise: Einige wenige Akteure einigen sich auf bestimmte Preise oder Aktionen, um einen Leitindex kurzzeitig nach unten oder oben zu drücken. Da der Kreis der Beteiligten klein ist, sind Absprachen über falsche Datenangaben oder ein gemeinsames Vorgehen leicht möglich. An dem so manipulierten Leitindex orientieren sich dann wiederum die »Marktpreise«.
Ein typisches Beispiel ist der Anfang der 1980er Jahre entwickelte Libor: Wenigen Großbanken wird von Aufsichtsbehörden für 2005 bis 2009 vorgeworfen, den Zinssatz Libor mit falschen Angaben entscheidend manipuliert zu haben, um ihre wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern und Handelsgewinne einzustreichen. Wohl auch auf Kosten privater Bausparer, die überhöhte Zinsen für Kredite zahlen mussten. Doch nur vorgeblich spiegelte der »London Interbank Offered Rate« (Libor) den Zins wider, den Kreditinstitute weltweit für Darlehen untereinander zahlen. Diese »Interbankengeschäfte« sind eine der wichtigsten Geldquellen für alle Banken.
Für den Libor melden 18 große Banken ein Sammelsurium geschätzter »Daten«. Ausgerechnet an eine Nachrichtenagentur – Reuters –, die dann Mittelwerte errechnet und veröffentlicht. Es wird geschätzt, dass allein der Libor 2012 als Messlatte für Finanzprodukte im Wert von 350 Billionen Dollar diente. Er beruht dabei lediglich auf vertrauensvollen Angaben von Bankern. Seit Mittwoch ist es auch EU-amtlich, dass dieses Vertrauen missbraucht wurde.
Beim Vorwurf der Währungsspekulation bleiben die genauen Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Ansatzpunkt für Manipulationen dürften aber sogenannte Arbitragegeschäfte sein, auf die ein Großteil der globalen Währungsspekulationen entfällt. Dabei werden minimale Unterschiede zwischen den Preisen für das britische Pfund an der Wall Street und an der Börse in Frankfurt ausgenutzt, um Gewinne zu machen.
»Billiger einkaufen oder teurer verkaufen«, lautet seit jeher das Motto der Devisenhändler. Ihr Geschäft wurde seit der Einführung des Internets immer schwieriger. Mittlerweile gleichen Hochgeschwindigkeitshandelssysteme in Hundertstelsekunde die Unterschiede aus. Es wird vermutet, dass sich ein Dutzend Akteure aus Großbanken beispielsweise für die Börse in London auf einen bestimmten Zeitpunkt geeinigt hat, an dem sie den brasilianischen Real in Millisekunden massiv angreifen. Dann unterscheidet sich der Währungskurs kurzzeitig von dem in New York oder Singapur. Was für lukrative Preisunterschiedsgeschäfte genutzt werden konnte.
Eine Mitverantwortung tragen auch Regierungen und Aufsichtsbehörden. Lange vertraute etwa die US-Administration oder die Bundesregierung seit der rot-grünen Ära Gerhard Schröder (SPD) auf die Selbstreinigungskräfte des Marktes. In vielen Ländern wurden juristische Vergleiche zwischen Behörden und Banken hingenommen. »Viele Summen klingen enorm, aber sie gehen nie an die Substanz«, kritisiert Professor Friedrich Thießen, Finanzmarktexperte an der Technischen Universität Chemnitz. Vergleiche vermieden zugleich ein formales Schuldeingeständnis. Für die »Megabanken eine billige Lösung«, warnt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel vor übereilten rechtlichen Lösungen. »Die Verantwortlichen kaufen sich frei, die Geschäfte gehen weiter.«
Es fällt auf, dass der Kreis der Akteure, denen Manipulationen nachgewiesen wurden oder die im Verdacht stehen, manipuliert zu haben, klein ist. So hatten die Libor-Ermittlungen bislang zu Strafen und Vergleichen im Umfang von rund zwei Milliarden Dollar gegen Barclays, die Schweizer UBS und Royal Bank of Scotland geführt. Neben der Deutschen Bank sind es auch Geldgiganten wie Citigroup und JP Morgan Chase, die französischen Institute Societe Generale und Credit Agricole sowie die britisch-asiatische HSBC, die wiederholt ins Visier der Fahnder gerieten. Die ganz Großen, die »Systemrelevanten« also. Nur wer groß genug ist, kann auch wirksam »den Markt« manipulieren.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013
Rohstoffe
Eine Umfrage des Nachrichtendienstes Bloomberg unter 85 Analysten und Rohstoffhändlern ergab kürzlich Erstaunliches: Die Referenzpreise für Rohöl, Metalle und Eisenerz spiegelten in 27 Prozent der Fälle nicht den tatsächlichen Wert wider. Auch bei den hunderten gehandelten Rohstoffen ist die Preisfestlegung intransparent. Die Referenzsätze werden durch anonymisierte Umfragen bei Händlern festgelegt, die ein Interesse an dem Ergebnis der Bewertung haben. Journalisten sammeln Daten zu verfügbaren Angeboten und Geschäften per Telefon oder über E-Mail. Ob bewusst falsche Preise angegeben werden, ist umstritten.
Ein aufwendiges Manipulationssystem soll sich indes die Investmentbank Goldman Sachs ausgedacht haben, die in riesigen Hallen am Stadtrand von Detroit Aluminium lagert. Durch ständiges Hin- und Herkutschieren steigen die Lagerkosten und schließlich der Preis, den Goldman-Kunden bezahlen. Angeblich wird hier rund ein Viertel des gesamten US-Bedarfs gelagert. Zwar macht der Preisanstieg etwa bei einer Coladose lediglich ein Zehntel Cent aus, aufgrund der großen Mengen macht Goldman aber ein großes Geschäft: Nach Berechnungen von Branchenexperten soll diese Praxis die US-Verbraucher über die letzten drei Jahre mehr als fünf Milliarden Dollar gekostet haben. Ähnlich sollen die Finanzkonzerne JP Morgan und BlackRock bei Kupfer vorgehen. Die Behörden in den USA ermitteln. nd
Edelmetalle
Auch bei der Preisfestlegung für Silber und Gold in Europa soll es nicht mit rechten Dingen zugehen. Und auch hier ist der Tatort London – die britische Hauptstadt ist seit Jahrhunderten ein Zentrum des Edelmetallhandels. Der Handel mit Edelmetallen ist besonders intransparent, da er nicht über Börsen, sondern direkt zwischen den Handelspartnern erfolgt. Daher gibt es keine zentrale Datenquelle für den Preis, zu dem Gold oder Silber den Besitzer wechselt. Dieses sogenannte London-Fixing wird in einer Telefonkonferenz zwischen den Töchtern von lediglich fünf Großbanken, darunter die Deutsche Bank, festgesetzt. Darin geben sie Gebote auf Basis eines Eröffnungs-Goldpreises ab, im Namen der Banken und ihrer Kunden. Sie passen dann den Preis an, um die Zahl der Käufer und Verkäufer widerzuspiegeln.
US-Aufsichtsbehörden hatten den europäischen Kollegen nahegelegt, das geradezu zum Missbrauch einladende Verfahren unter die Lupe zu nehmen. Die britische Finanzdienstleistungsaufsicht FCA wie auch die bundesdeutsche BaFin untersuchen das Vorgehen der beteiligten Banken und sollen Unregelmäßigkeiten festgestellt haben. nd
Zinssätze
Die Aufdeckung von Manipulationen bei wichtigen Richtgrößen an den Finanzmärkten begann bei den Referenzzinssätzen, die offenbar zu niedrig ausgewiesen wurden. In Europa am wichtigsten ist der in London festgelegte Libor; für Termingelder in Euro ist es der Euribor.
Der Libor-Satz ergibt sich durch eine Umfrage bei insgesamt 18 Banken. Diese schätzen den Zinssatz, den sie zu entrichten hätten, wenn sie sich Gelder von anderen Banken leihen würden. Die beteiligten Banken sollen den Zinssatz insbesondere während der Finanzkrise manipuliert haben. Offenbar wollte keine Bank zugeben, dass sie damals selbst unter Druck stand und nur gegen hohe Zinsen Geld aufnehmen konnte.
Die EU-Kommission strafte wegen der Manipulationen jetzt sechs Banken mit einer Geldbuße von 1,71 Milliarden Euro ab. Davon muss allein die Deutsche Bank 725 Millionen Euro zahlen. Auf die französische Société Générale entfallen knapp 446 Millionen Euro, auf die Royal Bank of Scotland 391 Millionen Euro. JP Morgan, Citigroup und RP Martin erhielten etwas niedrigere Strafen. Die britische Großbank Barclays und die Schweizer UBS gingen als Kronzeugen straffrei aus. nd
Währungen
Seit Juni gibt es immer wieder Berichte über illegale Verabredungen bei Devisen-Wechselkursen. Händler nutzten nach derzeitigen Erkenntnissen Informationsvorsprünge, um Aufträge mit Eigeninteresse rechtzeitig zu platzieren. Angeblich sollen die täglichen Manipulationen über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren betrieben worden sein.
Währungshändler hätten laut übereinstimmenden Medienberichten Informationen über große Devisengeschäfte ihrer Kunden genutzt, um im Vorfeld der Abwicklung auf eigene Rechnung Gegengeschäfte zu machen. Dabei könnten sie auch die für andere Markteilnehmer wichtige Bildung von Wechselkursen beeinflusst haben, an denen sich zum Beispiel Fondsmanager und Indexanbieter orientieren. Die Manipulation soll meist am Nachmittag gegen 16 Uhr Londoner Zeit geschehen sein, wenn diese Markteilnehmer ihre Geschäfte mit Banken machten. Ein Insider sagte: »Der Markt für Fremdwährungen ist wie der Wilde Westen.« Nach Schätzungen werden hier jeden Tag rund fünf Billionen Dollar gehandelt.
Sowohl die Schweizer als auch die britische Finanzmarktaufsicht haben Untersuchungen eingeleitet. Laut Angaben aus der Schweiz soll eine Vielzahl von einheimischen und internationalen Großbanken potenziell betroffen sein. nd
*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013
Keine Einzelschicksale
Simon Poelchau über die Milliardenstrafe gegen das Bankenkartell ****
Die EU hat am Mittwoch ihre bis dato höchste Strafe für die Bildung von Kartellen verhängt. 1,7 Milliarden Euro müssen sechs Großbanken zahlen, weil sie in Absprache die Referenzzinssätze Euribor und Libor manipulierten. Eigentlich könnte man froh sein, dass es jetzt die Richtigen traf.
Wie hoch der Schaden ist, den die Banken anrichteten, stellte die EU-Kommission allerdings nicht fest. EU-Kommissar Joaquín Almunia räumte ein, dass selbst der Umfang der Verkäufe, die auf Grundlage der Manipulationen getätigt wurden, nicht eindeutig geklärt sei. Dabei werden die Auswirkungen der Betrügereien auf Menschen und Wirtschaft nicht zu unterschätzen sein. Die Zinssätze vieler Kredite und anderer Finanzprodukte für kleine Unternehmen und Privathaushalte hängen von der Höhe der manipulierten Referenzsätze ab. Wie solche variablen Zinssätze Menschen in den Abrund stürzen können, zeigte etwa das Platzen der Immobilienblasen in Spanien. Zuvor hatten sich viele Menschen mit billigen Hypotheken Häuser gekauft. Als die Krise kam, konnten sie die wieder steigenden Zinsen nicht mehr bedienen. Sie verloren ihr Zuhause.
Aber im Verfahren ging es eben nicht um Einzelschicksale, wie es Wettbewerbskommissar Almunia erklärte, sondern um die Bildung eines Kartells. Die Strafen wären womöglich höher gewesen.
**** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013 (Kommentar)
Zurück zur EU-Europa-Seite
Zurück zur Homepage