Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vorauseilender Gehorsam

Die EU hat jeglichen Widerstand gegen die Politik Bushs aufgegeben

Von Uwe Sattler *

Chlorhühnchen und verschärfte US-Einreisebestimmungen, Klimaschutz, Finanzkrise und Forderungen nach stärkerer Unterstützung der Washingtoner Kriege -- die Liste von Konfliktpunkten in den Beziehungen zwischen USA und Europa ist lang. Dem heutigen Gipfeltreffen in Brdo (Slowenien) wird man das aber nicht anmerken.

Die Pressehinweise zum diesjährigen USA-EU-Gipfel sind ungewöhnlich knapp ausgefallen. Was zur letzten Spitzenbegegnung, am 30. April 2007 in Washington, mehrseitige Broschüren füllte, brachten die Gastgeber im slowenischen Brdo nun auf Vorder- und Rückseite eines DIN-A-Blattes unter: eine Skizze des Tagungsgebäudes, einige technische Hinweise und natürlich die obligatorischen Sicherheitsbestimmungen. Möglicherweise rechnete die slowenische EU-Ratspräsidentschaft auch gar nicht mit einem übermäßigen Medienandrang, trotz der Teilnahme von US-Präsident George Bush und seiner Außenministerin Condoleezza Rice sowie der amtierenden EU-Spitze. Schließlich sind größere Auseinandersetzungen in Brdo nicht zu erwarten.

Europa sprachlos gegenüber Washington

Tatsächlich scheint es Brüssel und den EU-Regierungen in den Beziehungen zu Washington komplett die Sprache verschlagen zu haben. Die Worte des EU-Wirtschaftskommissars Günter Verheugen vor dem Treffen, die USA müssten »akzeptieren, dass die Führungsrolle in der Welt geteilt werden muss«, klangen da schon fast revolutionär. Allerdings war es nicht zuletzt seine Brüsseler Generaldirektion, die Washington selbst bei den absurdesten Forderungen entgegen kam. So gab die EU-Kommission pünktlich zum Brdo-Gipfel bekannt, nach elf Jahren Einfuhrverbot wieder mit Chlor desinfizierte Hühnchen aus den USA in Europa verkaufen zu lassen. Zwar ist die Entscheidung noch nicht endgültig, Brüssel hat aber nachdrücklich die entsprechende Forderung der US-Amerikaner unterstützt. Auch bei der weiteren Verschärfung der Einreisebestimmungen für Europäer in die USA regt sich in der EU-Zentrale nur schwacher Widerstand. Nachdem die Europäer schon der Übermittlung persönlicher und teilweise fast intimer Flugpassagierdaten an die US-Behörden zugestimmt hatten, will das Washingtoner Heimatschutzministerium ab 2009 schon drei Tage vor Eintreffen von Reisenden über deren Pläne in den USA informiert werden. Man werde dies »gründlich prüfen«, erklärte müde EU-Justizkommissar Jacques Barrot. Dabei kommt der Vorstoß einer wieder eingeführten Visumpflicht für EU-Bürger gleich -- die für die osteuropäischen Mitglieder der Gemeinschaft auch vier Jahre nach ihrer Aufnahme ohnehin noch gilt.

Dabei haben sich gerade die Osteuropäer als ausgesprochen USA-freundlich erwiesen. Dem von der US-Regierung geforderten Aufbau des Raketenschilds will man sich nicht in den Weg stellen, Warschau möchte sich das Vorhaben sogar noch mit Dollars für die Modernisierung der polnischen Armee vergüten lassen. Auch der im letzten Jahr geschlossene Untersuchungsausschuss des Europaparlaments zu illegalen CIA-Aktivitäten und -Flügen in Europa stieß bei osteuropäischen Regierungen auf eine Mauer des Schweigens. Dabei waren versteckte Flugplätze und selbst Geheimgefängnisse gerade im Osten vermutet worden. Allerdings hatte der Ausschuss auch in Westeuropa zumindest stumme Duldung der gesetzwidrigen Aktionen konstatiert.

Der Anbiederungskurs gegenüber Washington wurde schließlich unter der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 zur langfristigen EU-Linie. Die seit Beginn des Jahrzehnts immer verhaltener geäußerte Kritik an den Kriegen in Afghanistan und Irak ist inzwischen vollständig verstummt. Für Brüssel und die EU-Regierungen geht es nur noch um die Frage, wie die immer neuen Forderungen nach einem größeren Beitrag und stärkeren Truppenkontingenten für diese Militäraktionen erfüllt oder zumindest etwas gedrückt werden können. Beim Klimaschutz, alljährlich auf der Gipfeltagesordnung, scheint man vom scheidenden Präsidenten gar nichts mehr zu erwarten. Dabei hatte noch vor einem Jahr Ratschefin Angela Merkel auf die EU-Fahnen geschrieben, die USA in Sachen Umweltschutz endlich mit ins Boot zu holen. Als einen »Riesenschritt nach vorn« bezeichnete die Bundeskanzlerin die simple Feststellung Bushs im damaligen Abschlusskommuniqué, dass es ein Klimaproblem gebe. Geschehen ist nach der fulminanten Erkenntnis nichts mehr.

Marktöffnung für Genprodukte?

Zumindest in Handels- und Wirtschaftsfragen hat Europa die eigenen Interessen noch nicht ganz aufgegeben. Das Handelsvolumen zwischen beiden Seiten beträgt jährlich etwa 250 Milliarden Euro, der Handelsbilanzüberschuss der EU 27 gegenüber den USA erhöhte sich zu Jahresbeginn um 11,4 Milliarden Euro (10,7 Milliarden im Januar/Februar 2007). Der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht laut seinem Präsidenten Jürgen Thumann bei »weiterer Integration des transatlantischen Wirtschaftsraums ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von mehr als drei Prozent auf beiden Seiten des Atlantiks«. Dazu jedoch müssten weitere Handelshindernisse abgebaut werden - was nicht nur Chlorhühnern, sondern beispielsweise auch gentechnisch veränderten Getreidesorten den Marktzugang in Europa ebnen würde.

Vielleicht haben die Europäer derzeit auch eher mit sich selbst zu tun, als sich gegenüber den USA zu behaupten. Mit Silvio Berlusconi ist ein wenig europafreundlicher Politiker an die italienische Regierungsspitze zurückgekehrt, und Nicolas Sarkozy dürfte in der Anfang Juli beginnenden französischen Ratspräsidentschaft noch einige unliebsame Überraschungen à la Mittelmeer-Union in petto haben. Vor allem aber schauen derzeit 26 EU-Regierungen sorgenvoll nach Dublin. Am Donnerstag steht in Irland als einzigem EU-Staat der Lissabonner Vertrag zur (Volks-)Abstimmung. Sollte er durchfallen, müsste das »Reformabkommen« zumindest theoretisch beerdigt werden.

Das Stichwort

Die »Transatlantische Erklärung« (1990) bildete die Grundlage für eine Institutionalisierung der EU-USA-Beziehungen.

Die »Neue transatlantische Erklärung« (1995) sollte einen »people-to-people-Dialog« einleiten. Insbesondere Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbände sollten an Entscheidungen beteiligt werden.

Die »Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft« (1998) forcierte die gegenseitige Marktöffnung und den Abbau von Handelshemmnissen.

Die »Bonner Erklärung« (1999) definierte Herausforderungen zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Vorgesehen war die gleichberechtigte Partnerschaft bei der Lösung regionaler und globaler Fragen.

Die »Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft« (2007) verfolgt insbesondere das Ziel, Handelshemmnisse abzubauen. Sie ist gekoppelt mit dem gleichzeitig eingerichteten »Transatlantischen Wirtschaftsrat«. (sat)

Themen und Stationen

USA-Präsident George W. Bush trifft am heutigen Dienstag (10. Juni) ein letztes Mal offiziell mit der Spitze der Europäischen Union zusammen. Bei dem eintägigen Gipfel im slowenischen Brdo stehen die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sowie die Lage im Nahen und Mittleren Osten auf der Tagesordnung. Gastgeber ist Sloweniens Ministerpräsident Janez Jansa, der derzeitige EU-Ratsvorsitzende. An dem Treffen nehmen auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Chefdiplomat Javier Solana teil.

Sieben Monate vor dem Ende seiner Amtszeit wird Bush auf seiner Reise, die ihn nach dem USA-EU-Gipfel auch in die wichtigsten Hauptstädte Europas führt, für ein hartes Vorgehen gegen die iranische Führung werben, die nach Ansicht Washingtons an ihrem umstrittenen Atomwaffen-Programm festhält. US-Medien spekulieren bereits über einen Präventivschlag der USA gegen Iran noch zu Amtszeiten George Bushs. Nach seinen Beratungen mit der EU fliegt Bush weiter zu einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Berlin. Rom, Paris und London sind weitere Stationen der Europa-Reise des Präsidenten.

Offiziell stehen bei dem Gipfel in Brdo in der Nähe der slowenischen Hauptstadt Ljubljana auch die Klima- und Energiepolitik sowie die weltweit explodierenden Lebensmittelpreise zur Debatte. Zur Sprache kommen ebenso die geplanten schärferen Einreisevorschriften der USA für EU-Bürger. Die USA haben zudem noch nicht alle Europäer vom Visumzwang befreit.

Auf der Themenliste für die Gespräche mit Merkel steht die US-Forderung nach verstärktem deutschen Engagement in Afghanistan. Bush rechne jedoch nicht damit, dass Berlin ausgerechnet zum Ende seiner Amtszeit diesem Verlangen nachgibt, hieß es in Washington. (ND)



* Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2008

Bush und EU drohen Iran

Brdo (dpa) - Außenpolitischer Schulterschluss, doch keine Annäherung in Detailfragen: US-Präsident George W. Bush und die politische Spitze der EU haben auf ihrem Gipfel in Slowenien bei der Einschätzung der meisten Krisenherde in der Welt übereingestimmt. Eine deutliche Warnung sandten Bush und die EU an den Iran. Lösungen für Probleme zwischen den USA und der EU wurden nicht erreicht. Wie aus der Abschlusserklärung hervorging, machte Bush beim Klimaschutz nur Absichtserklärungen. Bush kommt am Abend nach Deutschland.
Meldung von dpa, 10. Juni 2008




Weitere Beiträge zu Europa

Zur USA-Seite

"Zur Seite Bush in Deutschland"

Zurück zur Homepage