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Kollektiver Abgesang

Großbanken rechnen mit Zusammenbruch der gemeinsamen Währung. Kapitalflucht aus Euro-Zone nimmt immer stärker zu

Von Rainer Rupp *

Anlage-Experten der Deutschen Bank halten inzwischen den Zusammenbruch der gemeinsamen Währung für »ein sehr wahrscheinliches Szenario«. Auch Deutschlands zweitgrößtes Geldhaus, die Commerzbank, signalisiert »Sorge« vor einem Kollaps der Euro-Zone. In ihrem aktuellen Quartalsbericht, der letzte Woche veröffentlicht wurde, heißt es, daß ein neuer Schock durch die Eskalation der Schuldenkrise zum Zusammenbruch der Währungsunion führen könnte. Diese Gefahr sei derzeit größer als im Herbst letzten Jahres.

Der italienische Ministerpräsident Mario Monti warnte derweil vor dem »psychologischen Auseinanderbrechen« Europas, falls die Euro-Krise nicht bald gelöst würde. Der befürchtete Bruch hat jedoch schon längst eingesetzt, insbesondere dort, wo die Menschen im Euro und in den Brüsseler Eurokraten eine akute Bedrohung ihrer bisherigen Lebensweise, ihrer Jobs und der Zukunft ihrer Kinder sehen. So wächst auch der Druck auf die Parlamentarier in allen Mitgliedsländern. Doch dagegen hat der demokratisch nicht legitimierte, sondern von den Finanzmärkten als »Experte« in das Amt des Ministerpräsident gehievte Monti ein Gegenmittel parat. In einem Gespräch mit dem Spiegel am 5. August hat er die Regierungen der Euro-Zone aufgefordert, sich über alle Bedenken und Beschlüsse ihrer nationalen Parlamente hinwegsetzen. Nur so sei der Euro zu retten.

Da auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal vom Bundestag eine »marktkonforme Demokratie« gefordert hat, hatte sich Monti mit seinem Spiegel-Interview in Deutschland auf sicherem Parkett geglaubt. Umso mehr mußte er von der Welle der (geheuchelten) Empörung der sonst mit den »Märkten« aufs engste verflochtenen deutschen Konzermedien überrascht worden sein. Was Monti allerdings mit seiner Forderung nicht bedacht hatte, war, daß er seine Bemerkungen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt machte, zu dem das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit vom ESM-Rettungsschirm und Fiskalpakt entscheiden wird. Am 12. September wollen die Richter ihr Ergebnis verkünden.

Derweil gewinnt die Kapitalflucht aus der Euro-Zone an Geschwindigkeit. Laut DK Matei, Chef von ATCA, eines Zusammenschlusses der globalen Wirtschafts- und Finanzelite, hat der Abzug »wirklich beachtliche« Dimensionen erreicht. »Heimliche Anstürme auf die Banken« gebe es inzwischen in allen Ländern der Euro-Zone. Bis Anfang des Jahres seien sie noch relativ langsam gewesen. Aber in den vergangenen Monaten hätten sie sich »deutlich beschleunigt«. Er forderte eine »dringende Antwort der Politik«. Aber von der komme nichts, so Matei in seiner Analyse vom 10. August. Spanien etwa habe allein im Mai 41,3 Milliarden Euro verloren. Insgesamt hätten in der ersten Hälfte des Jahres 2012 über 163 Milliarden Euro das Land verlassen. Das entspricht etwa 16 Prozent des dortigen Bruttoinlandsproduktes (BIP). Dabei bleibt das Fluchtkapital immer seltener in der Euro-Zone, sondern begibt sich in vermeintlich sichere Häfen außerhalb. Insgesamt macht er drei Tends aus. Ausländer, die ihr Geld abziehen, um damit dem Risiko einer Abwertung der Gemeinschaftswährung oder eines Staatsbankrotts zu entgehen; Bürger der Euro-Zone, die ihre Einlagen von unsicheren Banken an größere und stärkere Institute im Zentrum der Euro-Zone überweisen und schließlich Bürger in allen Ländern der Euro-Zone, die ihr Geld außerhalb des Währungsraums in Sicherheit bringen, um sich gegen die Verluste der erwarteten Abwertung zu schützen.

ATCA-Experten schätzen, daß der Euro-Zone in den kommenden zwei Jahren insgesamt Abflüsse zwischen 750 Milliarden und 1250 Milliarden Dollar pro Jahr bevorstehen. Alle Bank¬einlagen im Währungsraum summieren sich auf rund 7600 Milliarden Euro, wovon 5900 Milliarden privaten Haushalten gehören. Dabei seien die Haushalte in den peripheren Ländern, die über 1800 Milliarden Euro an Bankeinlagen verfügen, am anfälligsten für die Kapitalflucht.

Infolge dessen hat der Euro in den letzten drei Monaten rund fünf Prozent seines Wertes gegenüber einem Korb der wichtigsten anderen Währungen verloren. Gegenüber dem US-Dollar waren es sogar rund acht Prozent. Auf dem Weg in den Keller rechnen Experten als nächste Zwischenetappe für den Euro mit einem Tauschverhältnis von 1 zu 1 zum Dollar.

Diese Entwicklung engt den ohnehin geringen Spielraum der Politiker noch weiter ein. Denn welch internationaler Investor soll bei diesen Abwertungsaussichten noch Staatsanleihen aus der ohnehin unsicheren Euro-Zone kaufen? Zugleich fehlt es zunehmend an Geld, um die Euro-Staatsanleihen zu finanzieren. Um den längst überfälligen Bankrott der Währung doch noch weiter hinauszuschieben, bleibt Europas Politik gar nichts anderes übrig, als die Notendruckpresse der Europäischen Zentralbank auf Hochtouren laufen zu lassen. Das aber wird zu einer noch stärkeren Entwertung, weiter sinkenden Wechselkursen und höheren Importpreise führen. Und am Ende könnte doch der Bankrott kommen, diesmal nur nicht mehr allein für Griechenland, Portugal, Spanien und Italien, sondern für alle Euro-Staaten, einschließlich Deutschland.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. August 2012


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