Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Beifall von der richtigen Seite

Fischers Europa-Rede findet Gefallen bei der CDU

Die Berliner Europa-Rede des deutschen Außenministers vom 12. Mai 2000 hat - erwartungsgemäß - große Beachtung im In- und Ausland gefunden. Eigentlich zu Unrecht: Denn an wirklich neuen Gedanken, an Visionärem mangelt es in der Rede genauso wie an einer präzisen Verortung der europäischen Politik im globalen Mächtespiel. Dafür heimste Fischer Lob von den Konservativen ein. Lamers, Merz und Schäuble gehörten zu den ersten Gratulanten. Zum Teil wiesen sie - zu Recht - darauf hin, dass Fischer zahlreiche Anleihen bei CDU-Politikern machte (die Kerneuropa-Idee gehört dazu), zum Teil lobten sie Fischer, weil er sich mit seinen Thesen angeblich so mutig gegen die europapolitische Praxis der rot-grünen Bundesregierung stellte. Lob bekam Fischer auch vom EU-Kommissionspräsidenten Prodi. Aus den Presseberichten mögen drei Beispiele genügen:

Karl Lamers (CDU)

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-BT-Fraktion äußerte sich unmittelbar nach Fischers Rede, also am 12.05.2000, im Pressedienst der Fraktion zu Wort:
"Es ist .. gut, dass Außenminister Joseph Fischer in seiner heutigen Rede in der Humboldt-Universität in Berlin auf die beiden zentralen Frag der Finalität der europäischen Integration - Europas Verfassung und Europas Handlungsfähigkeit - zu sprechen kommt. Er knüpft damit u.a. an die Kerneuropa-Überlegungen von Wolfgang Schäuble und mir vom September 1994 an, die wir seitdem in mehreren Ideenpapieren konsequent weiter entwicklet haben, und greift Gedanken auf, die in diesem Zusammenhang von Jacques Delors zur ´Föderation der Nationalstaaten´ und ´Avantgarde´ sowie von Valéry Giscard d´Estaing und Helmut Schmidt zur Erweiterungsproblematik firmuliert wurden.

Zu einer redlichen Debatte gehört die Kunst des richtigen Zitierens. Wenn Fischer jetzt in seiner Berliner Rede sagt, Wolfgang Schäuble und ich hätten in unserem Kerneuropa-Papier der ´Vorstellung eines exklusiven Kerns´ das Wort geredet, ´der noch dazu das Gründungsland Italien [ausschließe]´, so stellt dies den tatsächlichen Corschlag von 1994 auf den Kopf und zeigt die mangelnde Vertrautheit mit der seitdem erfolgten Debatte. Im Kerneuropa-Papier heißt es wörtlich: ´Der Kern darf nicht abgeschlossen, muss hingegen für jedes Mitglied offen sein, das Willens und in der Lage ist, seinen Anforderungen zu entsprechen.´ Für uns war damit immer klar, dass ein Kern ohne das neuropäische Kernland Italien unvollständig bliebe....

Auch mit der Forderung nach einem europäischen Verfassungsvertrag schließt Fischer zu einer Forderung auf, die Wolfgang Schäuble und ich bereits vor einem Jahr in einem Europapapier ausführlich begründet haben. An der Regierung ist es jetzt, den Worten Taten und den grundsätzlichen Bekenntnissen des ´Privatmanns Fischer´ eine vom ´Außenminister Fischer´ auf den Weg gebrachte gemeinsame deutsch-französische Initiative mit Blick auf die Herausforderungen der EU-Erweiterung folgen zu lassen."

Wolfgang Schäuble (CDU)

Die Süddeutsche Zeitung meldete am 16.05.2000:
Europa: Schäuble lobt Fischer
Ex-CDU-Vorsitzender kritisiert jedoch das praktische Handeln der Regierung


"Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat die jüngste europapolitische Rede von Bundesaußenminister Joschka Fischer gelobt, zugleich aber dessen praktisches Handeln in dieser Frage kritisiert. Im Deutschlandradio Berlin sagte der frühere Unionsfraktionschef im Bundestag, an der Rede Fischers sei in der Sache wenig zu kritisieren, sie sei jedoch "das Gegenteil der Politik der Bundesregierung".

Der Grünen-Politiker hatte am Freitag in seinem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität dafür plädiert, den Staatenbund hin zu einer Föderation zu entwickeln und das Europäische Parlament durch ein neues Zwei-Kammer-System zu ersetzen. Die Erweiterung auf 27 bis 30 Mitglieder könne die Aufnahmefähigkeit der EU mit ihren alten Institutionen und Mechanismen überfordern. Deshalb sei eine Reform mit einem entsprechenden Verfassungsvertrag über die künftige Aufgabenteilung unabdingbar.

Er sei ganz sicher, dass Fischer in den wesentlichen Fragen wie dem Verfassungsvertrag, den differenzierten Geschwindigkeiten der Integration sowie der stärkeren Subsidiarität richtig liege. "Nur so wird Europa gelingen, andernfalls scheitert es", sagte Schäuble, der dem CDU-Präsidium angehört. Allerdings fürchte er, das Europa auch immer weniger verstanden werde und in eine Krise schlittere, wenn die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und Fischer in ihrer Europapolitik so weiter mache wie bisher."

Romano Prodi (EU-Kommissionspräsident)

Und am selben Tag wurde die zustimmende Reaktion von EU-Kommissar Romano Prodi gemeldet:
Prodi lobt Fischers Rede zu Europa

cob Brüssel - Auch von der EU-Kommission gibt es positive Reaktionen auf die Rede des deutschen Außenministers Joschka Fischer über ein zukünftiges Europa im Rahmen einer Föderation. Kommissionspräsident Romano Prodi begrüße die Vorstellungen des grünen Politikers als "einen Weg vorwärts", sagte sein Sprecher Jonathan Faull. Prodi fühle sich bestätigt in seinem Vorhaben, eine bessere Aufteilung der Kompetenzen in Europa zu erreichen. Falls es ein "Kerneuropa" besonders integrationswilliger Staaten geben solle, so müsse dieser Kreis aber allen EU-Mitgliedern offen stehen. Eine Schwächung der eigenen Rolle sieht die Kommission nicht im Konzept des Bundesaußenministers. "Die Kommission hat nicht die Absicht zu verschwinden", meinte der Sprecher. In Brüssel wird die "private" Rede Fischers auch als Versuch gewertet, die französisch-deutschen Beziehungen zu beleben und für Europa einzusetzen. Der Kommissionssprecher wollte nicht ausschließen, dass Elemente der Fischer-Vision bereits bei der bevorstehenden Reform der EU-Verträge eine Rolle spielen könnten. Das sei alles nur eine Frage "des politischen Willens".

Auch die deutsche Kommissarin für den EU-Haushalt, Michaele Schreyer, zeigte sich am Montag "erfreut über die mutige Initiative" ihres grünen Parteifreundes Fischer.

Weitere Beiträge zu Europa

Europa

Zur Themen-Seite

Zurück zur Homepage