Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Statt Flüchtlingshilfe – Terrorangst

Klare Ansage auf EU-Polizeikongress: Deutschland nimmt Italien keine Asylbewerber ab

Von René Heilig *

Der Ansturm von Flüchtlingen aus Nordafrika stellt Italien aktuell vor Probleme, die Rom gern an die EU-Partner weitergeben möchte. Die deutsche Regierung erteilt jedoch in Sachen Flüchtlingsaufnahme eine strikte Absage. Dazu kam der 14. Europäische Polizeikongress in Berlin wie gelegen. Er steht unter dem Thema: »Migration – Integration – Sicherheit in Europa im Wandel«.

Berlin, Alexanderplatz – das Congress Center bot ein Abbild von EU-Europa. Massiv von Polizei abgeschirmt, treffen sich 1400 Experten aus 60 Nationen zum zweitägigen, traditionell vom »Behörden-Spiegel« veranstalteten Europäischen Polizeikongress.

Angesichts tausender Nordafrikaner, die unter Lebensgefahr übers Mittelmeer flüchten, ist die Debatte über die weitere Ausgestaltung eines einheitlichen EU-Asylrechts und eine mögliche Verteilung der Hilfesuchenden auf mehrere EU-Länder neu entfacht worden. Politiker von SPD, LINKEN und Grünen plädierten auch am Rande des Kongresses dafür, einige der »Italien-Flüchtlinge« nach Deutschland weiterzuleiten.

Diesem Vorschlag, der sowohl gegenüber den Flüchtlingen als auch gegenüber Rom Solidarität signalisiert, erteilte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder, gestern eine klare Absage. Selbst fadenscheinigste Argumente zog er heran. So entstehe bei einer Aufteilung von Flüchtlingen auf EU-Staaten die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen solle: Nach Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft? Orientiere man sich an früheren Aufnahmezahlen, »hätte Deutschland keine Veranlassung, Flüchtlinge aus anderen Ländern aufzunehmen«, sagte Schröder und betonte: »Das zeigt, dass ein solcher Mechanismus keinen Sinn macht.«

Der getreue Vertreter und CDU-Kollege von Bundesinnenminister Thomas de Maizière meint, man könne nicht davon sprechen, dass die südlichen EU-Länder besonders von Flüchtlingsströmen betroffen seien. Belgien beispielsweise habe 2010 dreimal so viele Asylbewerber aufgenommen wie Italien und zehnmal so viele wie Spanien. Schweden habe 31 870 Schutzsuchende zugelassen, Deutschland gab 41 000 und Frankreich 48 000 eine Chance.

Es sei »natürlich in unserem Sinne und im Sinne der Asylberechtigten, dass das Asylrecht nicht missbraucht wird«. Statt wie angekündigt über »Herausforderungen und Chancen« von Migration und Integration zu reden, stellte Schröder eine Palette von EU-vernetzten Abwehrmechanismen vor, die derzeit vervollkommnet werden. Dazu gehört eine Fingerabdruckdatei gegen »Asylshopping«. Schröder lobte das Visainformationssystem, sah von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX initiierte Fortschritte bei der Sicherung der griechisch-türkischen Grenze und verkaufte Anti-Pirateneinsätze als eine Art Entwicklungshilfe.

Sodann zog Schröder die »Terror-Karte« – natürlich ohne »Zuwanderer und ihre Nachfahren unter einen Generalverdacht« zu stellen. Wohl aber handele es sich beim islamistischen Terrorismus »um ein mit Migration verbundenes Phänomen«. Rund 220 mutmaßliche Islamisten »aus Deutschland oder mit Deutschlandbezug« hätten Terrorcamps am Hindukusch besucht. Rund die Hälfte sei zurück in der Bundesrepublik. Bei 70 gäbe es Hinweise auf eine paramilitärische Ausbildung. Ein Migrationshintergrund und die häufig vorhandene doppelte Staatsbürgerschaft erleichtere es radikalisierten Anhängern, über die Grenzen zu reisen und sich den Ermittlern zu entziehen. Wer weitere Gründe für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen sucht, mag die zahlreichen Stände der Industrie, die den Kongress sponsert, als Hinweis begreifen.

Unterdessen bereitet die EU eine FRONTEX-Mittelmeer-Task-Force vor. Im Büro von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wird angeblich auch über die Anforderung deutscher Polizisten gesprochen. Außerdem werde die Zahlung einer Nothilfe an Italien geprüft. Rom hatte die EU am Montag um Hilfe gebeten, nachdem mehr als 5000 tunesische Bootsflüchtlinge auf Lampedusa gelandet waren.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2011

Tausende flohen nach Lampedusa

Rom ruft humanitären Notstand aus **

Angesichts des Ansturms tausender Flüchtlinge aus Tunesien hat Italien den humanitären Notstand ausgerufen. In den vergangenen Tagen erreichten rund 5000 Flüchtlinge aus Nordafrika auf kleinen Booten die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa. In der Nacht zum Sonntag sollen es erneut fast 1000 Menschen gewesen sein. Der Zivilschutz richtete einen Krisenstab ein, zahlreiche illegale Einwanderer wurden mit Flugzeugen und Fähren in Lager auf Sizilien und in Süditalien gebracht. Am Sonntag waren aber laut Polizei noch rund 2000 Flüchtlinge auf Lampedusa. »Die Lage ist außer Kontrolle«, sagte Inselbürgermeister Bernardino De Rubeis. Das Eiland liegt 110 Kilometer vor der tunesischen Küste und damit näher an Nordafrika als am italienischen Festland.

Im Fernsehsender TG5 kündigte Innenminister Maroni an, er werde das Außenministerium in Tunis um eine Erlaubnis für den Einsatz italienischer Polizisten auf tunesischem Territorium ersuchen. Die Beamten sollten verhindern, dass weitere Flüchtlinge den Weg nach Europa antreten. Der Maghreb sei dabei zu »explodieren«. Außenminister Franco Frattini sagte der Zeitung »Corriere della Sera«, die Mittelmeerstaaten müssten mobilisert werden, um mit Schiffen, Flugzeugen und Helikoptern vor Tunesiens Küste zu patrouillieren.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2011




Zurück zur EU-Europa-Seite

Zur Seite "Flucht, Migration"

Zur Italien-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage