Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abschottungsprofis unter sich

Von Ulla Jelpke *

Am Dienstag (15. Feb.) hat in Berlin der 14. Europäische Polizeikongreß begonnen. Ähnlich wie die sogenannte Münchener Sicherheitskonferenz ist das Treffen im Berliner Congress Center am Alexanderplatz formal eine Privatveranstaltung. Organisiert wird sie vom Behörden Spiegel, einer monatlich erscheinenden Zeitung für den Öffentlichen Dienst. Der Kongreß ist Treffpunkt für »Verantwortungsträger« aus den Polizeibehörden Europas sowie Vertretern jener wachsenden Branche, die mit Sicherheitstechnologie hohe Profite erwirtschaftet. Diese treten als Sponsoren auf und dürfen – je nach geleistetem Beitrag – ihre neuesten Innovationen in den Podien oder Foren anpreisen.

Natürlich stellen auch Politiker ihre Ansprüche. Gleich zum Auftakt sprach Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, über den »Zusammenhang von Migration, Integration und Sicherheitspolitik«. Besonders wichtig war es ihm, Forderungen nach einem »Verteilungsmechanismus« für die derzeit auf der italienischen Insel Lampedusa ankommenden Flüchtlinge aus Tunesien zurückzuweisen. Das sei ein »falscher Anreiz« für die Länder an den südlichen Grenzen der EU, keine eigenen Anstrengungen zum Grenzschutz mehr zu unternehmen. Laut Schröder ist das ein Fall für die Abschottungsagentur FRONTEX. Sie soll die Flüchtlingsströme stoppen.

»Die Planungen laufen«, bekräftigte denn auch FRONTEX-Exekutivdirektor Brigadegeneral Ilkka Laitinen. Zunächst seien aber die italienischen und tunesischen Behörden gefragt. Die technologischen Maßnahmen und die Zusammenarbeit der europäischen Grenzwächter hätten nur eine geringe Auswirkung auf die Migration. Die Transitstaaten müßten zunächst die Ziele der EU bei der Migrationskontrolle anerkennen. Seit es beispielsweise die Kooperation Spaniens mit dem Senegal und Mauretanien gebe, schwärmte der Brigadegeneral, sei die Zahl der irregulären Migranten auf den Kanaren von 30000 im Jahr 2006 auf 150 im Jahr 2010 gesunken.

Gegen den Europäischen Polizeikongreß und die dort verhandelte Abschottungspolitik gibt es Widerstand. Am heutigen Mittwoch (16. Feb.) findet ab 15 Uhr eine öffentliche DNA-Entnahme durch das »gen-ethische Netzwerk« statt, um gegen den Aufbau von DNA-Datenbanken in Deutschland und anderen EU-Staaten zu protestieren. Ab 16 Uhr beginnt eine Kundgebung gegen den Besuch von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die sich insbesondere gegen die Datensammelwut der EU und die Vorbereitung einer EU-Richtlinie zur Errichtung von Internetsperren richtet.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2011


Doppelte Doppelmoral

Von René Heilig **

Es lohnte sich, beim Europäischen Polizeikongress mal wieder zu erleben, wie doppelt die Doppelmoral unserer Regierenden inzwischen schon ist. Da stützen sie über Jahrzehnte in Tunesien, Ägypten und anderen afrikanischen Staaten brutale Diktaturen und sorgen sich gemeinsam mit der Wirtschaft um das Wohlbefinden korrupter Herrscher. Über Nacht dann beklatschen sie den Demokratiewillen von Aufbegehrenden – und tun so, als wäre unser Gemeinwesen von den Umwälzungen nicht weiter betroffen. Schon gar nicht humanitär. Da könnte ja jeder kommen – übers Mittelmeer ...

Damit das nicht geschieht, fordert die EU – allen voran Deutschland – die Führer der gerade Beklatschten auf, »ihre« Menschen mit den selben diktatorischen Mitteln einzusperren, wie das die hinweggefegten Regimes taten. Und zwar umgehend, denn mit FRONTEX-Mauern allein ist Europa nicht abzuschotten. Perfide!

Auf dem Polizeikongress werden aktuelle Polit-Leitlinien zur deutschen und zur EU-Außen-, Sicherheits- und Asylpolitik zu den Ausführenden »durchgestellt« und unters Volk gebracht. Da geht man nicht hin, haben einige in der Bundestags-Linksfraktion gefordert. Sich aber mit der Total-Verweigerung nicht durchgesetzt. Gut so, denn unmenschlichen Konzepten gehört auch an Ort und Stelle widersprochen. Das haben Petra Pau und andere gestern gemacht. So sachlich wie konsequent.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2011


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