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Frontex unter Verdacht

Grenzschutzagentur soll Grundrechte von Migranten missachten / Ombudsmann setzt Untersuchung fort

Von Kay Wagner, Brüssel *

Der Bürgerbeauftragte der EU hat eine öffentliche Befragung zur Behörde Frontex eröffnet. Ihr wird vorgeworfen, Grundrechte bei der Behandlung von Flüchtlingen zu missachten. Der Ombudsmann will das jetzt prüfen – und feiert in einem anderen Fall einen Erfolg.

EU-Grenzschützer greifen Flüchtlinge auf. Vorläufig werden die Migranten in Gefängnissen untergebracht, die Zustände dort sind katastrophal. Wegen Fällen wie diesen haben sich Menschenrechtsorganisationen an den EU-Bürgerbeauftragten gewendet. Das Verhalten der Mitarbeiter der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) verstoße gegen die Grundrechtecharta der Union.

Diesen Vorwürfen geht nun EU-Ombudsmann Nikiforos Diamandouros nach. Der Bürgerbeauftragte untersucht Beschwerden über Missstände in der Verwaltungstätigkeit der EU-Organe, Einrichtungen, Agenturen und sonstigen Stellen der EU. In dieser Funktion legte er Frontex im März eine Reihe von Fragen darüber vor, wie sie ihrer Verpflichtung zur Einhaltung von Grundrechten nachkommt.

Die Grenzschutzbehörde mit Sitz in Warschau gibt es seit 2005. Sie hat die Aufgabe, die EU-Grenzen zu Drittstaaten zu überwachen. Sollten nationale Behörden mit der Sicherung ihrer Grenzen überfordert sein, kann Frontex helfen. Verdachtsmomente, dass im Agenturalltag nicht immer alles so abläuft, wie es die Grundrechtecharta vorsieht, hatten schon Ende 2011 zu einem Beschluss von EU-Parlament und -Rat geführt: Bei Frontex soll der Posten eines Menschenrechtsbeauftragten entstehen. Dieser Beauftragte soll Einsätze abbrechen können, wenn gegen Grundrechte verstoßen wird. Das Besetzungsverfahren für den Posten läuft noch.

Darüber informierte Frontex Diamandouros auf seine Anfrage aus dem Frühjahr. Eingeständnisse von Verstößen werden in der Stellungnahme nicht gemacht, weshalb sich der Bürgerbeauftragte offenbar genötigt fühlt, weiter zu forschen. In einer Mitteilung von letzter Woche ruft er »Interessengruppen und Organisationen, die im Bereich Schutz der Grundrechte aktiv sind«, dazu auf, die Antworten von Frontex zu kommentieren. Auch die EUAgentur für Grundrechte soll ihre Meinung zu den Kollegen des Grenzschutzes darlegen.

Bis 30. September will der Bürgerbeauftragte die Stimmen sammeln. Die anschließende Auswertung soll ergeben, ob Diamandouros ein Verfahren gegen Frontex eröffnet oder nicht.

Dass solche Verfahren sinnvoll sind, obwohl dem Bürgerbeauftragten keine rechtlichen Mittel zur Verfügung stehen, zeigt der erfolgreiche Abschluss eines anderen Falles. Der Ombudsmann hatte aufgrund von Klagen von Betroffenen die EU-Kommission aufgerufen, ihr nicht-öffentliches »Frühwarnsystem« zu überarbeiten. Darin werden Firmen, Organisationen und Vereine, aber auch Privatpersonen und öffentliche Einrichtungen erfasst, die im Verdacht der Korruption stehen. Das System besteht aus mehreren Stufen und wird vor allem bei der Vergabe von EU-Fördergeldern angewendet.

Die Kommission hatte Verdächtige in die Datenbank aufgenommen, ohne die Betroffenen darüber zu informieren. Das, so der Bürgerbeauftragte, verletze das Grundrecht der Betroffenen, sich vor der Aufnahme in das System gegen die Verdachtsmomente zu verteidigen. Die EU-Kommission sieht dies nun ein. In einer Stellungnahme zu den Vorwürfen kündigte sie an, ihr Frühwarnsystem im kommenden Jahr überarbeiten zu wollen.

Dem Ombudsmann reicht dieses Versprechen. Er hat den Fall mit der Forderung, auch schon in der Übergangszeit für die Einhaltung der Grundrechte zu sorgen, vor wenigen Tagen für abgeschlossen erklärt.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 27. Juli 2012


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