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Exempel Griechenland

Informeller EU-Gipfel in Brüssel: Die Fronten im Streit um den Kurs in der eskalierenden europäischen Schuldenkrise bleiben verhärtet

Von Tomasz Konicz *

Am heutigen Mittwoch dürfte das erste große Kräftemessen zwischen dem neu gewählten französischen Präsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel anstehen. Auf einem informellen EU-Gipfeltreffen in Brüssel will Hollande offiziell auf die Einführung von europäischen Anleihen – sogenannten Eurobonds – drängen, mit denen die Zinslast der südeuropäischen Krisenländer verringert werden könnte. Er werde diese von der Bundesregierung bisher abgelehnten Euro-Bonds »nicht allein vorschlagen«, erklärte der französische Staatschef ominös kurz nach dem G-8-Gipfeltreffen in Camp David. Bislang ist aber unklar, welche Staats- und Regierungschefs außer Italiens Premier Mario Monti diese Forderung noch unterstützen werden.

Aus Berlin kamen umgehend negative Signale. Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter bezeichnete Euro-Bonds am Montag gegenüber dem Deutschlandfunk als das »falsche Rezept zur falschen Zeit mit den falschen Nebenwirkungen«. Auch ein Treffen der Finanzminister Deutschlands und Frankreichs am selben Tag brachte keine Annäherung. Berlin verweigert sich diesem Vorhaben, da es die Zinslast für Deutschland anheben und den Spardruck von den europäischen Krisenländern nehmen würde.

Kurz vor dem Showdown zwischen Merkel und Hollande deuteten sich aber erste Risse in der Front der Befürworter der Euro-Bonds aus den europäischen Krisenstaaten an. Spaniens konservativer Premier Mariano Rajoy forderte rasche Lösungen, wie umfassende Interventionszusagen der EZB auf den Kapitalmärkten, da Eurobonds als schnelle Hilfsmaßnahmen ungeeignet seien. Polens Finanzminister Jacek Rostowski machte klar, weshalb die »Interventionen« auf den Finanzmärkten unabdingbar seien: »Europa muß dem Teufelskreislauf entkommen, einerseits Griechenland nicht im Euro halten zu können, und andererseits es sich nicht leisten zu können, Griechenland rauszuschmeißen«. Ohne massive Gelddruckerei der EZB würden die Finanzsektoren und öffentlichen Finanzen weiterer südeuropäischer Länder nach einem Ausscheiden Griechenlands zusammenbrechen.

Tatsächlich gebe es in der Frage der Lockerung der Geldpolitik »Bewegung«, berichteten US-Medien kurz nach dem G-8-Gipfel. Berlin muß schlicht die Geldschleusen der EZB öffnen, um seine Drohung eines Ausschlusses Griechenlands aus Euro-Zone und EU wahrmachen zu können. Flankiert von der entsprechenden Berichterstattung in den Massenmedien bereitet die Bundesregierung diesen Abschied von Griechenland bereits vor. Finanzminister Schäuble habe kurz nach den Wahlen in Hellas gegenüber »verschreckten« EU-Diplomaten erläutert, entsprechende Eindämmungsmaßnahmen vorbereitet zu haben, sollten Griechenlands Wähler nicht der Wahlempfehlung der Bundesregierung Folge leisten, berichtete der britische Telegraph.

Berlin wird auch alles daransetzen, an Griechenland ein Exempel zu statuieren, um so einen Disziplinierungseffekt bei den anderen europäischen Schuldenstaaten zu erreichen und hierdurch die eigene Dominanz in der Euro-Zone zu zementieren: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung formulierte diese Machtlogik der Abschreckung folgendermaßen: »Warum sollten andere Staaten noch sparen, wenn sie sehen, daß ein smarter Enddreißiger in Athen die gesamte Euro-Zone in die Knie zwingen kann?« Bundesbankpräsident Jens Weidmann forderte die europäischen Zentralbanken schon mal auf, ihre Exposition in Griechenland zu reduzieren. Die Bundesregierung ist sichtlich bemüht, in dieser Hinsicht möglichst bald unumkehrbare Fakten zu schaffen, da die Krisendynamik die Stimmungslage in der Euro-Zone weiter zuungunsten Deutschlands verschieben dürfte.

Zugleich startete im Vorfeld des heutigen Gipfels das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen einen Testballon, mit dem er eine massive »Vertiefung« der europäischen Währungsunion forderte. Die »Vorteile der Währungsunion« seien »so überragend«, daß diese durch eine Fiskalunion, eine Finanzmarktunion und eine politische Union erweitert werden müsse. Diese in Vorfeldorganisationen deutscher Außenpolitik immer wieder lancierten Überlegungen zielen auf eine umfassende Aushöhlung der Souveränität der Euro-Staaten ab. Bisher verweigern sich diesem Unterfangen angesichts der gegenwärtigen Machtarithmetik nicht nur die meisten europäischen Krisenstaaten, sondern auch das ökonomisch immer weiter hinter Deutschland zurückfallende Frankreich.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 23. Mai 2012


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