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Ein Ende mit Schrecken

Schuldentilgung durch Druckerpresse oder Austritt Griechenlands aus Euro-Zone: Merkels Sparpolitik sind beide Szenarien vorzuziehen

Von Rainer Rupp *

Für den weiteren Verlauf der Euro-Krise zeichnen sich laut Deutschlandausgabe der International Business Times (IBT) vom Donnerstag »nur noch zwei mögliche Szenarien« ab – und beide seien »für die Menschen in der Euro-Zone katastrophal«.

Im ersten Szenario wird darauf verwiesen, daß nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Kreditinstitute aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien Ende 2011 insgesamt mehr als eine Billion Euro in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien angelegt hatten. Daher würden die Auswirkungen eines Zusammenbruchs der Euro-Zone weit über den Finanzsektor hinaus gehen. Ähnlich wie im Krisenjahr 2008 wären starke Einbrüche in der realen Wirtschaft und rapide steigende Arbeitslosigkeit vorprogrammiert. Alle Austrittkandidaten würden sich gezwungen sehen, ihre neuen/alten Währungen gegenüber dem Euro stark abzuwerten. Die Sparer in diesen Ländern würden am Ende fast alles verlieren. Doch durch den Austritt hätten diese Länder wieder die nationale Souveränität über ihre Geld- und Fiskalpolitik gewonnen. Mit Währungsabwertungen hätten sie die Möglichkeit, der Rezession zu entkommen. Im zweiten Szenario wird die Überschuldung der Euro-Staaten mit der Druckerpresse der Europäischen Zentralbank »wegzuinflationiert«. Europaweit würde das auf Jahre zu massigen Preissteigerung und einer Abwertung des Euro zum US-Dollar und anderen Währungen führen. Aber wegen der Euro-Abwertung wären die Arbeitsplätze zumindest relativ sicher, wenn auch mit weitaus geringeren Reallöhnen. Das »Weginflationieren« der Staatsschulden funktioniert nämlich nur dann, wenn zusammen mit den durch die Inflation vernichteten Sparguthaben auch die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten nur unzureichend durch höhere Löhne ausgeglichen werden. Denn irgend jemand muß letztendlich die Schulden der Banken bezahlen.

Während die beiden IBT-Szenarien ein Ende mit Schrecken versprechen, bedeutet das von der neoliberalen Sparzuchtmeisterin in Berlin forcierte sogenannte Fiskalpakt ein Schrecken ohne Ende, sogar für zukünftige Generationen.

Bisher haben die meisten Europäer geglaubt, irgendwie könne schon genügend Geld aufgetrieben würde, um ohne großen Krach einen Staatsbankrott der Euro-Krisenländer zu verhindern. Das weltweit hohe Prestige des Euro und die Zukunft des europäischen Projekts würden schon genügend Investoren mit dem notwendigen Geld anlocken. Besonders auf China, das mehrmals Ziel von Bettelreisen führender EU-Politiker war, wurden besonders große Hoffnungen gesetzt. Doch diese Vorstellungen haben sich als Wunschtraum entpuppt. Gao Xiqing, Präsident der China Investment Corporation (CIC), sagte laut der US-Agentur für Finanznachrichten Bloomberg im Mai, daß der nationale Staatsfonds aufgehört habe, europäische Staatsanleihen zu kaufen. »Was sich in Europa derzeit abspielt, ruft große Beunruhigung hervor. Wir sind nicht mehr gewillt, die staatlichen Wertpapiere der Länder der Region aufzukaufen«, so Gao. Derweil berichtete die Financial Times Deutschland Mitte der Woche, daß die 17 Euro-Staaten sich inzwischen in einer Arbeitsgruppe der Finanzstaatssekretäre mit detaillierten Notfallplänen auf einen möglichen Austritt Griechenlands vorbereiten. Dies zeige – so das Blatt –, »wie real aus Sicht der Regierungschefs inzwischen die Gefahr ist, daß die Griechen nach der Wahl am 17. Juni nicht im Euro zu halten sind«. Allerdings könnte die Dynamik des Ansturms auf griechische Banken bereits vorher den Exit Athens forcieren.

Die Vermögenden in Hellas haben schon seit Jahresbeginn begonnen, ihre Konten zu räumen und ihre Ersparnisse sicher in Londoner, Pariser und Berliner Luxusapartments zu investieren. In den letzten Wochen begannen nun auch griechische Kleinsparer, ihre Guthaben auszulösen. Dadurch verliert das griechische Bankensystem Berichten von Russia Today zufolge wöchentlich über vier Milliarden Euro und steuert auf den Zusammenbruch zu. Die Europäische Zentralbank (EZB) weigert sich unter Verweis auf das Fehlen einer politisch beschlußfähigen Regierung in Athen, mit frischem Geld auszuhelfen. So bleibt als einziger Ausweg, den Kollaps zu vermeiden, zum System einer souveränen, nationalen Notenbank zurückzukehren, welche die Banken eigenständig mit Geldmitteln versorgen kann. Nur wären dies keine Euros, das kann und darf nur die EZB, sondern Drachmen. Damit aber wäre der griechische Austritt besiegelt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012


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