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Dublin lässt Europa warten

Irland legt keinen "Lissabon-Fahrplan" auf EU-Gipfel vor

Von Uwe Sattler *

Fünf Tage vor dem EU-Gipfel in Brüssel gibt es Unstimmigkeiten über die Tagesordnung: Die irische Regierung will sich offenbar nicht dazu äußern, wie es nach dem Nein der Bevölkerung auf der grünen Insel zum Lissabonner Vertrag weitergehen soll.

Deirdre Farrel ist derzeit eine gefragte Frau in Brüssel. Seit die Iren vor vier Monaten mit Nein beim Referendum über den Lissabonner Vertrag stimmten, muss die Sprecherin der EU-Vertretung Dublins nahezu täglich Anfragen beantworten, wie es weitergehen soll. Denn tatsächlich liegt das Vertragswerk seit jenem 12. Juni auf Eis, es kann nur bei Zustimmung in allen Mitgliedstaaten in Kraft treten. Von Zugeständnissen und Schutzklauseln für die irischen Landwirte ist nun die Rede und natürlich von einer zweiten Abstimmung. »Alle Optionen liegen auf dem Tisch«, meint die Sprecherin. Dass jetzt Dublin die Ankündigung, auf dem EU-Gipfel am kommenden Mittwoch ihre Vorschläge zum Ausweg aus der Krise vorzulegen, zurückzog, macht den Job von Frau Farrel nicht leichter.

Noch zu Monatsbeginn hatte Irlands Regierungschef Brian Cowen angekündigt, beim Gipfel in Brüssel einen »genauen Aufriss der Fortschritte« zu geben, die seit dem Nein der Iren gemacht worden seien. Der Bericht, so kündigte Cowen an, werde eingehend »die Motive für die Ablehnung des Reformvertrages analysieren und Empfehlungen für Schlussfolgerungen« enthalten. Am Montag allerdings erklärte Irlands Außenminister Micheál Martin, diesen Rapport werde es nicht geben. »Im Dezember dürften wir in der Lage sein, etwas Genaueres zu sagen und die nötigen Schritte auf dem Weg zu unserem Ziel eines vollständigen Engagement in der Union zu skizzieren«, vertröstete Martin seine EU-Partner auf den nächsten Gipfel.

Dass sich die Situation dann geändert haben wird, ist unwahrscheinlich. Zumal sich die Sorge der Iren vor Sozialabbau und ungezügelter Marktwirtschaft, für die der Lissabonner Vertrag die Weichen stellt, noch wachsen wird. Nicht nur die Finanzkrise zieht auch Irland in Mitleidenschaft, das Land rutscht zudem in die erste Rezession seit 25 Jahren, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Neben der sozialen Frage war für viele Iren auch die Furcht vor einer Souveränitätsabgabe an Brüssel für das No ausschlaggebend.

Im Europaparlament scheint man dagegen die Schuld für die irische Ablehnung an einer Person festzumachen: Declan Ganley. Die von dem 30-Jährigen gegründete Organisation »Libertas« war eine der Hauptkräfte im Lager der Lissabon-Gegner. Ganley hatte kürzlich gegenüber der »Irish Times« eingeräumt, er habe »Libertas« ein »persönliches Darlehen« in Höhe von 200 000 Euro gegeben. Seine Organisation habe etwa 800 000 Euro für ihre Kampagne ausgegeben, andere Quellen sprechen von 1,3 Millionen. Führende Europaabgeordnete mutmaßen, es könne auch Geld aus Geheimdienst- und Militärkreisen der USA geflossen sein und fordern nun Aufklärung über die Herkunft der Finanzen. Grünen-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit meinte, Ganley sei Unternehmer im militärisch-industriellen Komplex und es gäbe Kreise in den USA, die ein stärkeres Europa verhindern wollten.

Nicht um Spekulationen, sondern um den sachlichen Umgang mit dem irischen Nein geht es EU-Kommissarin Margot Wallström. Sie warnte vor dem Europaparlament, Irland zu bedrängen oder zu isolieren. »Jede Lösung muss sowohl die Position einer großen Mehrheit von EU-Ländern respektieren als auch akzeptabel für das irische Volk sein.« Ob eine solche Lösung aber so schnell gefunden wird, dass der Lissabon-Vertrag wie geplant noch vor den Europawahlen im kommenden Juni in Kraft tritt, ist mehr als fraglich.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Oktober 2008


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