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EU: Die einschleichende Aufrüstung

Entwurf eines neuen Grundsatzberichtes "über die Europäische Sicherheitsstrategie" - Der "Kuhne-Bericht"

Von der Öffentlichkeit (sprich: den Medien) weitgehend unbemerkt präsentierte im November 2004 der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Helmut Kuhne den Entwurf eines neuen Grundsatzberichtes "über die Europäische Sicherheitsstrategie". Davon handelt der nun folgende Beitrag, den wir der informativen Website www.hpmartin.net entnommen haben. Das endgültige Dokument wurde schließlich am 23. März 2005 vom Europäischen Parlament veröffentlicht: REPORT on the European Security Strategy (2004/2167(INI)). Die deutsche Endfassung ist hier: Bericht über die Europäische Sicherheitsstrategie.



EU: Die einschleichende Aufrüstung

Beschluss um Beschluss robben sich Militärfreunde in der EU voran. Im Unterausschuss "Sicherheit und Verteidigung" des EU-Parlaments wurde am 20. November 2004 der Entwurf eines neuen Grundsatzberichtes "über die Europäische Sicherheitsstrategie" vorgestellt. Er bestärkt all jene, die vor einer Militarisierung der EU warnen. So will der Berichterstatter "im Hinblick auf die Planung zukünftiger Missionen" etwa "die Begeisterung und den Enthusiasmus jüngerer Menschen nutzbar machen". Wer kann da noch neutral bleiben?

Der Sitzungsort ist bekannt, die europäischen Christdemokraten nutzen den Saal 3 C 50 für ihre Fraktionssitzungen in Brüssel. Auch an diesem Montag Nachmittag wird darin das Abendland verteidigt, aber gleich fraktionsübergreifend. Der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Helmut Kuhne präsentiert als Berichterstatter seinen "Entwurf eines Berichts über die Europäische Sicherheitsstrategie" (Dokument 2004/2167(INI).

Darin heißt es unter anderem:

"11. anerkennt die beträchtlichen Fortschritte, die bei der Ausweitung der militärischen Fähigkeiten der EU erzielt wurden, sowie insbesondere die Bedeutung der mit der NATO ausgehandelten Berlin-Plus-Vereinbarung.

17....im Hinblick auf die Planung zukünftiger gemischter ziviler und militärischer Missionen der EU...drängt darauf,...die Begeisterung und den Enthusiasmus jüngerer Menschen nutzbar zu machen;

28. stellt fest, dass die größte Bedrohung für die Kohärenz und den Erfolg der ESS (Europäische Sicherheitsstrategie) weiterhin der mögliche Mangel an ausreichenden Haushaltsmitteln ist, die über das gesamte Spektrum der Politiken und Instrumente der EU verfügbar sind;...fordert, dass dieser Punkt bei den derzeitigen Verhandlungen über die künftige Finanzielle Vorausschau 2007-2013 nicht in Vergessenheit gerät;

29. betont dennoch seine feste Überzeugung, dass sich die weitere Trennung der Finanzierung gemeinsamer Kosten für zivile Operationen über den Haushalt der EU von der Finanzierung der Kosten für Operationen militärischer oder verteidigungspolitischer Natur außerhalb des Haushalts der EU als zunehmend unhaltbar erweisen wird, da im Rahmen der GASP durchgeführten Missionen zunehmend gemischt sein werden, wie die Einrichtung des zivilen und militärischen Stabs zeigt;

30. ...nimmt insbesondere die Probleme zur Kenntnis, die die derzeitigen Ausschreibungsverfahren für rasche Maßnahmen innerhalb der ESVP aufwerfen; drängt die Kommission daher, eine gründliche Prüfung von Sonderverfahren oder Ausnahmen für die zukünftigen Maßnahmen und Operationen innerhalb des Finanzrahmens vorzunehmen;

35. ermuntert die neue Europäische Verteidigungsagentur, die Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit der NATO im Rüstungsbereich zu prüfen;

36. nimmt den komplementären Charakter einiger Politiken und Programme der NATO und der EU zur Kenntnis; ermutigt beide Parteien zu prüfen, wie diese Programme und Politiken wirksam eingesetzt werden könnten, um sich gegenseitig zu verstärken;

40. begrüßt den Vertrag über eine Verfassung für Europa als eine wichtige Grundlage für die Fortführung der ESS und ihre Entwicklung;

41. drängt der Rat und die Kommission, unverzüglich die nötigen Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Tätigkeiten im Geiste der Zusammenarbeit vor der endgültigen Ratifizierung des Vertrags für eine Verfassung für Europa miteinander zu verzahnen;"

Sozialdemokrat Kuhne hat in die Begründung seines Berichtes unter anderem geschrieben:

"Ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zum Planziel war die offizielle Annahme des Statuts der im Verfassungsvertrag vorgesehenen Europäischen Verteidigungsagentur am 12. Juli 2004. Die künftige Tätigkeit dieser Agentur sollte der EU - prinzipiell - nicht nur bei der Weiterentwicklung ihrer Verteidigungsfähigkeiten auf dem Gebiet des Krisienmanagements, sondern auch bei der Rationalisierung der Forschungs- und Entwicklungskosten innerhalb der Mitgliedstaaten zugute kommen und langfristig zur Schaffung eines europäischen Rüstungsmarktes beitragen. In dieser Phase seiner Entwicklung sollte nicht nur dem Scheitern früherer europäischer Rüstungskooperationsabkommen und - agenturen, einen größeren Mehrwert zu schaffen, Aufmerksamkeit gewidmet werden, sondern auch der Kritik innerhalb der Verteidigungsindustrie daran, dass die derzeitigen Haushaltsmittel, die dieser Agentur - sowie der Rüstungsforschung im Rahmen des Forschungsprogramms der EU zugewiesen wurden - nach wie vor unzureichend zur Erreichung der angestrebten Ziele sind. Wenn die EU tatsächlich einen realen Vorteil aus der Agentur ziehen soll, dann muss sie in die Lage versetzt werden, aktiv Anstrengungen zu unternehmen, um eine langfristige Zusammenarbeit aufzubauen, die über die kurzfristigen Fähigkeiten des Planziels 2010 hinausgeht."

"Was die Beziehungen zur NATO betrifft, so sind Zusammenarbeit und Komplementarität die Schlüsselbegriffe. ...Ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit könnte über die neue Europäische Verteidigungsagentur im Rüstungsbereich liegen."

"Mit dem bekannt gegebenen Verfassungsvertrag verfügt die EU über eine solide Grundlage, um die ESS zu verfolgen. ...Abschließend lässt sich feststellen, dass der Verfassungsvertrag besondere Schwachstellen im Bereich der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament aufweist (fehlende Ausweitung der derzeitigen Gemeinschaftsverfahren auf die GASP innerhalb des Vertrags) und keine Lösung für das Problem der transparenten Budgetierung (gemeinsame Kosten für die militärischen Operationen der ESVP werden weiterher über Nachtragshaushalte oder Startmittel aus den Haushalten der Mitgliedstaaten anstatt aus dem Hauhalt der Gemeinschaft finanziert) bietet. Ihr Berichterstatter bedauert diese Versäumnisse und kann nur seiner Hoffnung Ausdruck geben, dass sie bei der nächsten Gelegenheit behoben werden."


In der Debatte stößt sich nur ein Abgeordneter ernsthaft an dem Bericht. Er weist auch darauf hin, dass in der EU selbst für Fachleute unklar sei, welchen Umfang die Finanzmittel haben, die schon jetzt in militärische Aufwendungen fließen. Ein beabsichtigter Sonderfonds werde diese Kontrolle noch schwieriger machen.

Der Ausschuß-Vorsitzende Karl von Wogau (CDU) betont hingegen, es sei "ausserordentlich nützlich", dass der Berichterstatter in früheren Jahren als Mitglied des Haushaltskontrollausschusses viel Erfahrung mit Budgetfragen habe sammeln können. Helmut Kuhne, derart gelobt, meint als letzter Redner: "Die meisten Punkte", die von seinen Abgeordentenkollegen zuvor angesprochen worden waren, "empfinde ich als Wünsche zu Präzisierungen. Zur NATO empfehle ich dem Ausschuss, dazu etwas zu sagen, auch weil Personal aus diesem Bereich kommt." Und er fordert schlußendlich, man solle "nicht einen Text beschließen, der vor Abgrenzungsneurosen strotzt".

Der Kuhne-Bericht wurde am 16. März im Ausschuss angenommen und soll im April 2005 im Plenum des Europäischen Parlaments beschlossen werden.

Da soll später keiner sagen, er habe nichts davon gewußt.

Quelle: DIE EUROPäISCHE TRANSPARENZ-INITIATIVE, Homepage der ETI: www.hpmartin.net

Hier geht es zu den Dokumenten:
Bericht über die Europäische Sicherheitsstrategie (2004/2167(INI))
Endgültig (A6-0072/2005); Berichterstatter Helmut Kuhne (23.3.2005)
REPORT on the European Security Strategy
Final: A6-0072/2005; Committee on Foreign Affairs, Rapporteur: Helmut Kuhne (23.3.2005)


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