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Euro-Kritik von links

Knallhartes neoliberales Profil: Die »Alternative für Deutschland« ist keine Alternative für Linke. Für ein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro gibt es keinen Grund

Von Sahra Wagenknecht *

In der letzten Woche wurde mir in verschiedenen Medien unterstellt, ich würde mich nicht hinreichend von der neu gegründeten »Alternative für Deutschland« (AfD) abgrenzen. Zum anderen wurden Positionen, die die Zukunft des Euros skeptisch sehen, in die Nähe der AfD gerückt. Beides ist falsch.

Zunächst zur AfD: Es besteht kein Zweifel, daß die AfD eine rechtskonservative Parteigründung mit knallhartem neoliberalen Profil ist. Viele ihrer Gründer haben schon vor Jahren für Niedriglöhne und Sozialabbau in Deutschland geworben. So gehörte Parteigründer Bernd Lucke 2005 zu den Unterzeichnern eines Appells, der »mehr Lohnzurückhaltung« in Deutschland verlangte. Die AfD will nicht höhere Steuern für Millionäre, sondern weitere Steuersenkungen für Reiche. Einer ihrer Sprecher wirbt dafür, Arbeitslosen und Rentnern das Wahlrecht zu entziehen. Aus all diesen Gründen ist die AfD für Menschen mit einem Mindestmaß an sozialem Anspruch unwählbar. Genau das habe ich in meinem ntv-Interview, das leider sehr selektiv zitiert wurde, gesagt.

Es gibt lediglich einen Bereich, in dem die AfD tatsächlich von der Linken abgeschrieben hat: das ist ihre Kritik an der Europapolitik der Kanzlerin. Wenn Vertreter der AfD betonen, daß die vorgebliche Euro-Rettung in Wahrheit eine Bankenrettung ist, wenn sie verlangen, daß private Investoren und nicht die Steuerzahler die Verluste tragen sollen und wenn sie einen Schuldenschnitt für die Krisenländer fordern, dann sind das Positionen, die Die Linke seit langem vertritt. Die Euro-Auflösung wird von der AfD bisher damit begründet, daß der Euro Südeuropa schade, weil er den Ländern die Möglichkeit nimmt, sich gegen die deutsche Exportoffensive mit Währungsabwertung zu verteidigen. Wenn die AfD suggeriert, daß Wechselkurse, die den Spekulanten überlassen werden, die Lebensverhältnisse in Südeuropa verbessern würden, muß man das als ökonomisch abenteuerlich kritisieren. »Rassistisch« oder »chauvinistisch« ist diese Argumentation aber nicht.

Es gibt für uns keinen Grund, eine neoliberale Partei wie die AfD im Wahlkampf sanft anzufassen. Aber es gibt sehr viele Gründe, sie dort anzugreifen, wo sie angreifbar ist, nämlich in ihren antisozialen und antidemokratischen Positionen. Unsachliche Beschimpfungen, die die Menschen nicht nachvollziehen können und die eher als Beweis unserer eigenen Verunsicherung ausgelegt werden, helfen der AfD statt ihr zu schaden.

Verostdeutschung

Zur Währungsdebatte: Schon immer wurde der Euro von links kritisiert. »Alle würdigen am Euro, daß sich die Exportchancen Deutschlands erhöhen würden. Wenn das dann so ist, dann müssen doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden. Anders ginge es doch gar nicht. Das heißt, wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern schwächen. Die werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können. Das ist eines der Probleme, das zu einer weiteren Spaltung innerhalb Europas führt. (…) Es ist ein Euro der Banken und der Exportkonzerne, nicht der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, nicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer«, so der PDS-Gruppenvorsitzende Gregor Gysi am 23.4.1998 im Bundestag. In der anschließenden Abstimmung votierte die PDS-Gruppe geschlossen gegen die Einführung des Euro und hielt Schilder mit dem Slogan »Euro – so nicht!« in die Höhe.

Wie schlimm es wirklich werden würde, konnte damals niemand ahnen. Deutschlands Wirtschafts- und Politikeliten nutzten die Mängel im Euro-Regelwerk und starteten mit der Agenda 2010 ein beispielloses Lohn- und Sozialdumping. Während die deutschen Arbeitnehmer auf Diät und Arbeitslose auf Hartz IV gesetzt wurden, explodierten die Exportüberschüsse. Ohne Abwertungsmöglichkeit waren die Länder der Eurozone der deutschen Exportwalze hilflos ausgeliefert. Zunehmende Defizite in der Leistungsbilanz gegenüber Deutschland waren die Folge. Finanziert wurden die Defizite durch Kredite. So profitierten die Banken ebenfalls –nicht unmaßgeblich auch die deutschen. Aus den Ungleichgewichten wurde eine akute Krise, nachdem sich in Folge des weltweiten Finanzcrashs die Kreditkonditionen für die verschuldeten Unternehmen und Banken sowie schließlich auch die der Staaten deutlich verschlechterten und ihnen die Zahlungsunfähigkeit drohte.

Selbstverständlich war und ist eine konstruktive Bekämpfung der Krise möglich. Die Linke hat dazu entsprechende Vorschläge gemacht – von einer europaweiten Vermögensabgabe bis zur Direktfinanzierung der öffentlichen Haushalte durch die Europäische Zentralbank. Und natürlich könnten die Ungleichgewichte auch von Deutschland aus behoben werden: Die südeuropäischen Länder brauchen keine Abwertung, wenn Deutschland die jahrelangen Lohnsenkungen und Sozialkürzungen durch überproportionale Reallohnsteigerungen, höhere Renten und bessere Sozialleistungen wieder ausgleicht. Das ist das Programm der Linken. Würde es umgesetzt, müßte niemand über ein mögliches Auseinanderbrechen der Währungsunion und Alternativszenarien nachdenken.

Diktatur der Troika

Die Bundesregierung fährt bekanntlich einen anderen Kurs. Sie zwingt den Krisenländern die Alternative auf: Austritt aus der Gemeinschaftswährung oder »Hilfskredite«, die daran gebunden sind, sich der Diktatur der Troika zu unterwerfen. Die Troika wird gebildet aus der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds. Keine dieser Institutionen hat eine demokratische Legitimation. Alle machen rabiate Lohn- und Sozialkürzungen sowie Privatisierungen zur Bedingung für Kredite. Daß sich die Politik der Bundesregierung verändern wird, wenn nach den Bundestagswahlen Merkel mit einem Vizekanzler Steinbrück regiert, ist nicht zu erwarten. Immerhin hat die SPD der vermeintlichen Euro-Rettungspolitik mit ihren brutalen Konditionen stets zugestimmt.

Bislang stehen die Krisenstaaten dieser Erpressung relativ machtlos gegenüber und haben jedes Kürzungsprogramm aus Mangel an Alternativen akzeptiert. Immer mehr Menschen in den betroffenen Ländern werden sich allerdings die Frage stellen, wie lange sie sich solchen Diktaten noch aussetzen wollen. Arbeitslosenraten von über 25 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 bis 60 Prozent sind ein eindeutiger Beweis, daß es so nicht weitergehen kann. Es ist kein Zufall, daß mittlerweile 72 Prozent der Spanier der EU mit Misstrauen begegnen. Vor fünf Jahren waren es gerade mal 23 Prozent. Ein Euro unter diesen Rahmenbedingungen ist antieuropäisch, denn er zerstört jeden Rückhalt für das europäische Projekt.

In Zypern hat sich die linke ehemalige Regierungspartei AKEL bereits für einen Ausstieg aus dem Euro ausgesprochen. Die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien plädiert dafür, über Verbleib oder Ausstieg aus der Währungsunion die Bevölkerung entscheiden zu lassen. Angesichts dieser Entwicklungen kann sich Die Linke der Frage nicht verweigern, was passiert, wenn sie ihre Krisenlösungskonzepte weiterhin nicht umsetzen kann. In diesem Kontext ist die Debatte über einen durch Kapitalverkehrskontrollen stabilisierten Ausstieg mehrerer Länder aus dem Euro von Relevanz, denn eine solche Politik würde zumindest verhindern, daß die Währungen zum Spielball der Spekulation werden. Es ist daher nicht verwunderlich, daß ein kontrollierter Euro-Ausstieg als quasi Notwehrmaßnahme seit längerem in fortschrittlichen Wissenschaftskreisen diskutiert wird. Peter Wahl und Andreas Fisahn schrieben Ende 2012 in der Zeitschrift Sozialismus: »Gegebenenfalls ist auch die vorübergehende Flexibilisierung des Euro durch regional unterschiedliche Wechselkurse oder die Festlegung von Kursschwankungskorridoren legitim. Wenn dies in geordneter und abgestimmter Form geschieht, könnten die negativen Auswirkungen begrenzt werden und die Kosten wären geringer als bei einer chaotischen Auflösung der Euro-Zone.« In eine ähnliche Richtung argumentieren linke Ökonomen wie Heiner Flassbeck oder der früher Gerhard Schröder nahestehende Direktor des Max-Planck-Instituts Wolfgang Streeck, der heute keine Perspektive eines sozialen und demokratischen Europa innerhalb des Euro mehr sieht. Die Linke muß sich diese Sichtweise nicht zu eigen machen, aber es steht ihr nicht gut zu Gesicht, die Sorge um die soziale Katastrophe in Südeuropa als »nationalistisch« und »antieuropäisch« zu denunzieren.

Bei nüchterner Betrachtung könnte sich herausstellen, daß der Slogan »Ja zum Euro um jeden Preis« weiter rechts im politischen Koordinatensystem zu verorten ist als der Slogan »Euro – so nicht!«. Über ein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro freuen sich vor allem diejenigen, die von der Währungsunion bisher am meisten profitiert haben – die Eigentümer der Banken und Exportkonzerne. Nicht umsonst machen die neoliberalen Lobbyisten der Initiative »Zukunft soziale Marktwirtschaft« aktuell mit einer Studie der Bertelsmann Stiftung für ihren Euro Werbung, den die PDS aus guten Gründen 1998 abgelehnt hat.

* Sahra Wagenknecht ist Vizechefin der Partei Die Linke und Erste stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: junge Welt, Dienstag, 7. Mai 2013


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