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Die EU auf dem Weg zum Superstaat und zur Militärmacht

Ergebnisse der Ratstagung in Feira

Am 14. Juli veröffentlichte die DKP-Wochenzeitung "unsere zeit" einen Bericht über die Ergebnisse der EU-Ratstagung in Feira. Hier wurden die Weichen gestellt für die weitere Militarisierung der EU. Wir dokumentieren den Beitrag (Autor: Georg Polikeit):

Seit dem 1. Juli hat Frankreich turnusmäßig für das nächste halbe Jahr den Vorsitz in der "Europäischen Union" übernommen. Was ist davon zu erwarten?

Wer glauben sollte, dass mit dem französischen Vorsitz angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in Frankreich und der Spezifik der französischen "Linksregierung" eine Akzentverschiebung in der EU-Politik in Richtung Soziales und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verbunden sein könnte, wird enttäuscht werden. Schon die Rede des französischen Staatspräsidenten Chirac kurz vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft in Berlin ließ deutlich andere Schwerpunkte erkennen. Und es ist bisher nicht bekannt geworden, dass die "Linksregierung" unter Jospin hierzu kritische Anmerkungen gemacht oder andere Akzente in die Debatte gebracht hätte.

So wurde die "französische Präsidentschaft" der EU zwar medientaktisch geschickt mit einer "informellen Ratstagung" der Arbeits- und Sozialminister am 7./8. Juli zum Thema Beschäftigungs- und Sozialpolitik eingeleitet. Große neue Initiativen waren von ihr jedoch schon im Vorfeld nicht erwartet worden.

Der "Gipfel von Feira"

Die eigentlichen Schwerpunkte für die EU-Entwicklung während der französischen Präsidentschaft sind auf der letzten Ratstagung der EU in der portugiesischen Stadt Feira am 19./20. Juni d. J. bestimmt worden. Es lohnt sich, die Beschlüsse dieser Ratstagung auch im Nachhinein genauer unter die Lupe zu nehmen.

In den vorherrschenden bundesdeutschen Medien war bei der Berichterstattung über Feira fast nur von der sogenannten "Reform der Institutionen" die Rede. In der Tat wird es auch von den französischen Spitzenpolitikern selbst zur "wichtigste Aufgabe" während des französischen Vorsitzes über die EU erklärt, die "Regierungskonferenz" zur "Reform der Institutionen", die schon seit einiger Zeit in Gang ist, möglichst bis Ende des Jahres 2000 zum Abschluss zu bringen. Aber das ist nur die eine Hälfte der Vorhaben, die in Feira als "Prioritäten" für das nächste halbe Jahr festgelegt worden sind. Der andere Schwerpunkt betrifft die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik", d. h. die beschleunigte Fortsetzung der Militarisierung der EU.

Kurs auf den europäischen Superstaat

Bei der "Reform der Institutionen" geht es um Veränderungen im Aufbau der EU, die im Hinblick auf die beabsichtigte "Erweiterung der EU" durch die Aufnahme von zehn ost- und südosteuropäischen Staaten (Polen, Litauen, Lettland, Estland, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Slowenien) sowie Zypern, Malta und wahrscheinlich auch die Türkei vorgenommen werden sollen.

Im Vordergrund stehen dabei "institutionelle" Veränderungen, die darauf abzielen und sicherstellen sollen, dass die politische Vorherrschaft der derzeitigen EU-Führungsmächte, also insbesondere Deutschlands und Frankreichs, in den Gremien der EU auch dann nicht beeinträchtigt werden kann, wenn ihr nicht mehr 15 Mitgliedsstaaten wie jetzt, sondern 28 oder mehr angehören. Im Wesentlichen geht es dabei um drei Fragen: 1. die "Verkleinerung" der Brüsseler EU-Kommission, sodass künftig nicht mehr jeder EU-Mitgliedstaat in dieser zentralen EU-Exekutive vertreten ist und somit EU-Mitglieder erster und zweiter Klasse geschaffen werden; 2. die grundsätzliche Einführung von "Mehrheitsentscheidungen" anstelle des bisher bestehenden Vetorechts jedes einzelnen Staates bei wichtigen Fragen, was die Verlagerung der Entscheidungsrechte von der Ebene der Einzelstaaten auf die "supranationale" EU-Ebene verstärkt; 3. die "Stimmengewichtung" bei Abstimmungen in der EU nach der Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten, was die dominierende Stellung der großen Staaten gegenüber der Vielzahl der kleineren Länder institutionell absichern soll.

Da mag der Frankreichs Staatschef Chirac noch so oft behaupten, dass niemand einen "europäischen Superstaat" wolle - tatsächlich wird genau dies durch die "Reform der Institutionen" weiter vorangetrieben. Mit diesen "Reformen" verwandelt sich der Charakter der EU weiter von einer "Gemeinschaft" von einzelnen souveränen Mitgliedstaaten, wie es ursprünglich konzipiert war, in die Richtung einer über den Mitgliedstaaten stehenden "europäischen" Staatsgewalt nach dem Modell der USA. In dieser EU werden immer mehr wichtige außen- wie innen-, wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen auf die übergeordnete EU-Ebene verlagert und die einzelnen Mitgliedstaaten haben nur noch eingeschränkte Entscheidungsbefugnisse. Sie werden faktisch in einen Status versetzt, wie ihn die Bundesländer in Deutschland gegenüber der Bundesregierung oder die US-Bundesstaaten gegenüber der Washingtoner Zentralregierung haben.

Die EU-Ratstagung von Feira fügte dieser bereits eingeleiteten Entwicklung in Richtung auf einen EU-Zentralstaat noch die "Neuerung" hinzu, dass nun auch die sogenannte "verstärkte Zusammenarbeit" zum offiziellen Tagesordnungspunkt der "Regierungskonferenz" wird. Das heißt, dass die besonders von deutschen Spitzenpolitikern vorgebrachte Konzeption von einem "Kerneuropa" durchgesetzt wurde (CDU-Schäuble nannte es schon vor mehreren Jahren "harter Kern", beim "grünen" Fischer hieß es unlängst "Gravitationszentrum", und Chirac bezeichnete es in Berlin als "Avantgarde").

Demnach sollen die "fortgeschrittenen" EU-Staaten das Recht haben, auf verschiedenen Gebieten eine "verstärkte Zusammenarbeit" zu vereinbaren und dafür innerhalb der EU auch eigenständige Beschlussgremien zu schaffen ("Union in der Union"), ohne dass die übrigen EU-Mitglieder sie daran hindern können. Beispiele dafür, die bereits jetzt praktiziert werden, sind die Einführung des "Euro", der ja nicht für alle EU-Staaten gilt, aber auch das "Schengener Abkommen" mit seinen restriktiven Vereinbarungen zur Einwanderungs- und Asylpolitik. Faktisch werden damit wiederum den wirtschaftlich stärksten Staaten Sonderrechte eingeräumt, ihre dominierende Position institutionalisiert und abgesichert. Sie können auf dem Weg eines Abkommens über "verstärkte Zusammenarbeit" Regelungen einführen, für die sie möglicherweise auf dem gewöhnlichen Weg der Beschlussfassung in der EU keine oder mindestens noch keine Mehrheit fänden. Wenn aber der "Kern" der fortgeschrittenen Länder dann auf diese Weise erst einmal solche Regelungen eingeführt hat, beispielsweise beim Steuer- oder Arbeitsrecht, dürften diese Regelungen später kaum mehr rückgängig gemacht werden können. Den restlichen Mitgliedstaaten bleibt danach kaum etwas anderes übrig, als sich diesen ohne sie vereinbarten Regelungen früher oder später anzuschließen.

Zusätzlich verstärkt wird der Marsch zum supranationalen EU-Staat auch durch den Beschluss von Feira, dass bereits auf der kommenden Ratstagung der EU im Oktober dieses Jahres in Biarritz der Entwurf einer sogenannten "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" beraten werden soll. Dieser Entwurf wird von einem sechzigköpfigen "Konvent" unter Leitung des früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog (CDU) ausgearbeitet. Über seinen Inhalt gibt es bisher für die europäische Öffentlichkeit so gut wie keinerlei Informationen. Es ist daher zu befürchten, dass dieser Text der oben skizzierten autoritären Richtung der EU-Entwicklung unter der Dominanz der imperialistischen Großmächte entsprechen wird. Selbst im günstigsten Fall dürfte er nur eine Zusammenfassung der bürgerlichen "Grundrechtskataloge" werden, wie sie derzeit in den meisten europäischen Verfassungen zu finden sind, und zwar auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, unter Ausschluss tatsächlicher effizienter Mitbestimmungs- und Eingriffsrechte der Menschen von der "Basis" und unter Ablehnung moderner sozialstaatlicher Rechte wie etwa des Rechts auf Arbeit, auf Mitbestimmung und Demokratie in den Betrieben, auf menschenwürdiges Wohnen usw.

Der Ausbau der Militärunion

Noch gravierender als die Entwicklung der EU im Bereich der "Institutionen" sind jedoch die Weichenstellungen, die die Tagung von Feira auf dem Gebiet der Militärpolitik beschlossen hat. Dies wurde in der aktuellen Medienberichterstattung von dieser Tagung fast gänzlich unterschlagen.

Tatsache ist aber, dass der Prozess der Militarisierung der EU, der seit dem Kölner EU-Gipfel von 1999 eingeleitet wurde, mit der Tagung von Feira im Eilzugtempo weiter vorangetrieben wird. Zur Erinnerung: Auf dem Kölner EU-Gipfel im Juni 1999 war im Schatten des Jugoslawienkrieges und unter Auswertung der in diesem Krieg gemachten "Erfahrungen" beschlossen worden, eine eigenständige EU-Militärstreitmacht neben und außerhalb der NATO aufzubauen. Sie sollte über eigenständige Befehlsstrukturen, Führungsstäbe, Truppenteile, Planungsinstanzen, Satellitenanlagen usw. verfügen und sich auf einen eigenständigen "europäischen" Rüstungskomplex stützen können.

Auf dem EU-Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 war dieses Vorhaben weiter konkretisiert worden. Festgelegt wurde die Bildung von drei neuen militärpolitischen Gremien in der EU sowie die Aufstellung von "europäischen Krisenreaktionsstreitkräften" in Stärke von zunächst 60 000 Mann unter "autonomem" Oberkommando der EU.

Der Gipfel von Feira begrüßte nun die "zufriedenstellenden Fortschritte", die auf dem Weg in diese Richtung inzwischen zu verzeichnen seien, und bekräftigte seine "Entschlossenheit, eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, die geeignet ist, das außenpolitische Handeln der Union zu stärken".

Mit dem letzten Satz ist das Militär und die Fähigkeit zur eigenständigen Kriegsführung offiziell in einem EU-Dokument zum außenpolitischen Handlungsinstrument der EU, militärische Drohung und militärische Intervention also zu einem normalen Mittel "europäischer Politik" erklärt worden.

Seit dem 1. März 2000 haben die drei neuen Militärgremien die Arbeit aufgenommen, nämlich das "Politische Sicherheitskomitee" (PSK), bestehend aus Vertretern der Verteidigungsministerien, das "Militärkomitee" (MK), bestehend aus den Stabschefs der Mitgliedstaaten, und ein ständiger europäischer Generalstab in Brüssel. Offiziell haben sie zunächst "provisorischen" Status. In Feira wurde aber festgelegt, dass sie so bald wie möglich nach der nächsten EU-Gipfeltagung in Nizza im Dezember 2000 in "ständige politische und militärische Strukturen" umgewandelt werden sollen.

Als konkretes Planungsziel war bereits auf der Helsinki-Tagung der EU festgelegt worden, dass es um eine europäische Militärstreitmacht unter dem "autonomen Kommando" der EU "in der Größe eines Armeekorps" gehen soll, das innerhalb von 60 Tagen weltweit in vollem Umfang als "schnelle Eingreiftruppe" einsetzbar ist und diesen Einsatz mindestens ein Jahr lang ununterbrochen aufrechterhalten kann. Diese "Fähigkeit" soll bis spätestens Anfang des Jahres 2003 erreicht sein. Inzwischen ist dieses Planziel auf einer Tagung der EU-Verteidigungsminister am 20. Mai d. J. "weiter präzisiert" und danach auf einem "ersten Seminar nationaler Sachverständiger für Verteidigungsplanung" am 22. - 24.5. in Brüssel beraten worden.

Vier neue Elemente

In Feira sind zu dieser Planung nun vier neuen Elemente hinzugekommen:
  1. Es wurde das Verfahren für die weitere Formierung der eigenständigen EU-Militärstreitmacht gemäß den Vorschlägen der Stabschefs und Verteidigungsminister gebilligt.
  2. Es wurden Festlegungen für eine engere Abstimmung dieses Vorgehens mit den Instanzen der NATO getroffen.
  3. Es wurden Überlegungen gebilligt, wie "Drittländer", die nicht oder noch nicht Mitglied der EU sind, an den EU-Militärplanungen beteiligt werden können.
  4. Den Maßnahmen im eigentlichen militärischen Bereich wurde unter der Überschrift "Nichtmilitärische Aspekte der Krisenbewältigung" ein ganzes Kapitel hinzugefügt, wonach neben den direkten militärischen Streitkräften auch noch eine gemeinsame europäische Polizeitruppe von 5000 Mann für "internationale Missionen" aufgestellt wird.
Was die Aufstellung der EU-Truppe angeht, soll nun zunächst das "Militärkomitee" das globale "Planziel" von 60 000 Mann auf die einzelnen "Komponenten" (Truppenteile, Waffengattungen usw.) aufschlüsseln und dabei "ermitteln, über welche Fähigkeiten die EU verfügen muss, damit sie der gesamten Bandbreite der Petersberg-Aufgaben gerecht werden kann" (d. h. zu eigenständigen militärischen Interventionen und Kampfeinsätzen nach dem Muster des Jugoslawienkrieges in allen Teilen der Welt fähig ist).

Auf der Grundlage der vom "Militärkomitee" erarbeiteten Zielplanung werden dann entsprechende "Anforderungen" an die Mitgliedsstaaten übermittelt, die von diesen wiederum mit "ersten Angeboten für nationale Beiträge zum Planziel" beantwortet werden sollen. Diese "nationalen Beiträge" werden anschließend vom Militärkomitee der EU-Stabschefs "geprüft". Sobald dies erfolgt ist, findet, noch in diesem Jahr, eine "Beitragskonferenz" statt, die alle Planungen auf diesem Gebiet definitiv absegnet. Es wird ein besonderer "Überprüfungsmechanismus" geschaffen, der danach fortlaufend kontrolliert, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten ihre Zusagen und Verpflichtungen auch tatsächlich einhalten, das heißt die zugesagten Truppenteile und Einrichtungen ständig einsatzbereit zur Verfügung halten.

Um Widerstände in der NATO gegen die Aufstellung dieser "autonomen" EU-Eingreifarmee abzuschwächen, die vor allem aus den USA kommen, wurde festgelegt, dass "unter voller Wahrung der Beschlussfassungsautonomie der EU" (auf diesen Ausdruck wird an mehreren Stellen des Dokuments immer wieder Wert gelegt) ständige Konsultationen mit den NATO-Gremien stattfinden. Es soll eine "Ad-hoc-Arbeitsgruppe" gebildet werden, deren Aufgabe es sein soll, ein "Sicherheitsabkommen zwischen der EU und der NATO" auszuarbeiten. Darin sollen sowohl ein ständiger "Informationsaustausch" und "Dialog" zwischen EU und NATO zur Gewährleistung von "Transparenz" über die jeweiligen Planungen und Maßnahmen geregelt als auch "Modalitäten für den Zugang der EU zu den Mitteln und Fähigkeiten der NATO" festgelegt werden.

Die Einbeziehung Osteuropas

Klarer als bisher wurde in dem Dokument von Feira auch festgelegt: "Die Europäische Union wird Drittländer ermutigen, zusätzliche Beiträge zu leisten. Damit diese Länder zur Verbesserung der europäischen militärischen Fähigkeiten beitragen können, wird der nächste Vorsitz (also der französische, d. Verf.) geeignete Maßnahmen hinsichtlich der Beitragskonferenz treffen." Mit anderen Worten: Nicht der EU angehörende "Drittländer" sollen aufgefordert werden, sich aktiv an der Bildung der EU-Eingreiftruppe zu beteiligen und damit in die EU-Militärorganisation eingebunden werden. Dabei geht es nicht nur um die sechs europäischen NATO-Staaten, die der EU nicht angehören (Norwegen, Island, Polen, Tschechien, Ungarn u. die Türkei). Auch die "Beitrittskandidaten", mit denen zur Zeit über die Bedingungen verhandelt wird, die sie erfüllen müssen, um in die EU aufgenommen zu werden (neben Malta und Zypern vor allem die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland), sind im Visier der EU-Militärplaner.

Im Ergebnis dieser "Drittländer"-Einbeziehung könnten also alle ost- und südosteuropäischen Staaten bis unmittelbar an die Grenze Russlands und der anderen Nachfolgestaaten der UdSSR, im Süden der Ex-UdSSR in Richtung Kaukasus, in die Militärstruktur der EU eingebunden und damit zugleich zum militärischen Operations- und Aufmarschgebiet für den EU-Generalstab werden. Damit wird deutlich, dass es bei der EU-"Osterweiterung" keineswegs nur um die "ökonomische Integration" dieser Länder in den "gemeinsamen europäischen Markt" geht. Ziel ist die Ausweitung des politischen und militärischen Machtbereichs der imperialistischen EU-Konstruktion weit über ihre bisherigen Grenzen hinaus nach Osten - und dort liegt dann wahrscheinlich auch der Hauptschwerpunkt künftiger militärischer "Einsatzszenarien".

Zum Militär noch eine Polizeitruppe

Ein Musterbeispiel für Verschleierung und Irreführung sind die Festlegungen von Feira zum Kapitel mit der Überschrift "Nichtmilitärische Aspekte der Krisenbewältigung". Während der Normalbürger beim Lesen dieser Überschrift denkt, es handle sich um Maßnahmen im "zivilen Bereich", die den Einsatz von Militär vermeiden sollen, geht es in Wirklichkeit darum, neben der Truppe für die direkte militärische Intervention in fremden Ländern auch noch eine paramilitärische Einsatztruppe unter dem Kommando der EU zu bilden, die als "Polizeitruppe" etikettiert wird.

Wörtlich heißt es dazu im Dokument von Feira: "Die erste Priorität, die im Lichte der Krisen ermittelt wurde, denen sich Europa in der jüngsten Zeit gegenüber sah und noch gegenüber sieht, ist die Polizei."

Genau analog zum Vorgehen im direkten militärischen Bereich wird festgelegt: "In Würdigung der zentralen Funktion der Polizei bei internationalen Krisenbewältigungseinsätzen und angesichts des zunehmenden Bedarfs an Polizeibeamten für derartige Einsätze (!) verpflichten sich die Mitgliedstaaten der EU zu einer Verstärkung ihres Potenzials für die Entsendung von Polizeibeamten für internationale Polizeieinsätze."

Als Planziel bis zum Jahr 2003 wurde die Zahl von 5000 Polizeibeamten festgelegt, von denen 1000 innerhalb von 30 Tagen marschbereit sein sollen. Und damit es keine Irrtum über den Einsatzzweck gibt, wurde ausdrücklich festgehalten, dass sie "für die ganze Bandbreite der von Krisenprävention bis Krisenbewältigung reichenden internationalen Einsätze" geeignet sein müssen, und zwar ausdrücklich auch "in instabilen Situationen, wie etwa im unmittelbaren Anschluss an Konflikte" - also nicht etwa anstelle einer Militärintervention, sondern in Ergänzung zum Militäreinsatz.

Es folgen ausführliche Bestimmungen über die "vorausplanende Bestimmung und Schulung einer hinreichend großen Zahl von Polizisten" in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten für diesen Zweck, über die "Entwicklung eines allgemeinen Konzepts für die Ausübung der Polizeigewalt" in fremden Ländern und für die "Interaktion zwischen Militär- und Polizeikräften in Situationen im Anschluss an Konflikte, in denen beide gleichzeitig eingesetzt werden". Ferner über die "Aufstellung von Leitlinien und Vorgaben der EU für die internationale Polizeiarbeit" und über "eine noch genauere Erfassung der Kategorien von Polizeibeamten und Experten in den Datenbanken der Mitgliedstaaten und der EU". Für Letzteres wird beim Ratssekretariat der EU eine "Polizeidatenbank" aufgebaut.

Übrigens soll Ähnliches auch für den Einsatz von "Richtern, Staatsanwälten, Strafvollzugsexperten und anderen wichtigen Personengruppen innerhalb des Gerichts- und Strafvollzugswesens" festgelegt werden.

Es ist unübersehbar, dass mit der Ratstagung von Feira für die Amtszeit Frankreichs im EU-Vorsitz die Weichen nach dem klassischen "Dreiklang" imperialistischer Politik gestellt worden sind: Wirtschaftsmacht - Staat - Militär. Also weitere ökonomische "Integration" (lies Unterordnung) via "Euro" und EZB ("Europäische Zentralbank"), Ausbau der supranationalen Staatsgewalt unter Dominanz der Großmächte (insbesondere der Achse Berlin - Paris) und Ausbildung der Interventionsfähigkeit in Verfolgung globaler Profit-, Herrschafts- und Expansionsinteressen. Für ein "soziales Europa" ist da kein Platz.

Georg Polikeit

Alle Zitate und Angaben stammen aus: "Europäischer Rat (Santa Maria da Feira) - Schlussfolgerungen des Vorsitzes", 19. und 20. Juni 2000 - Press Release 6 (19-06-2000) - Nr. 200/00

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