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Debatten um Europas Sicherheitsstrukturen

Treffen der OSZE-Außenminister in Kasachstan

Von Hans Voß *

Am Freitag (16. Juli) begann nahe der ehemaligen kasachischen Hauptstadt Almaty – Kasachstan ist in diesem Jahr Vorsitzender der OSZE – ein zweitägiges informelles Treffen der Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Kasachstans Außenminister Kanat Saudabajew, amtierender OSZE-Vorsitzender, will den »Korfu-Prozess weiterführen, der vor einem Jahr zur Festigung des Sicherheitsdialogs zwischen euroatlantischen und eurasischen Staaten begonnen wurde«. Den Anstoß hatte Russlands Präsident Dmitri Medwedjew mit seinem Vorschlag gegeben, Europas Sicherheitsgefüge durch ein verbindliches Vertragswerk neu zu ordnen.

Russland kritisiert, dass die Sicherheitsstandards für die europäischen Staaten unterschiedlich ausgeprägt sind. Besonders die Verschiebung der NATO-Grenzen nach Osten hat Ungleichgewichte geschaffen. Obwohl einige NATO-Staaten zögerten, den russischen Vorstellungen zu folgen, erklärten sich die Paktmitglieder bereit, einen neuen Diskussionsstrang in Gestalt informeller Treffen der OSZE-Außenminister zu eröffnen. Seit dem ersten Treffen 2009 auf der griechischen Insel Korfu spricht man vom Korfu-Prozess.

Die Geburt dieses Prozesses überraschte manche Beobachter. Hatte es der Westen doch stets abgelehnt, auf russische Initiativen zur Veränderung der europäischen Sicherheitslandschaft einzugehen. Stets wurde das Schicksal der NATO beschworen. Im Zuge des »Neustarts« will Washington Moskau jedoch nicht unnütz vor den Kopf stoßen. Skeptikern wurde entgegnet, die von den OSZE-Außenministern in Athen 2009 formulierten Leitlinien für den Korfu-Prozess böten den Spielraum, eigene Vorstellungen einzubringen.

Nüchtern betrachtet, stehen die Chancen, dass den russischen Vorstellungen in den Debatten eine Vorzugstellung eingeräumt wird, jedoch nicht allzu gut. Die NATO hat sich immer noch nicht selbst gefunden. Eine neue strategische Konzeption will die Allianz erst im November verabschieden. Deren Ziel soll es sein, die Stellung des Paktes für die nächsten zehn Jahre abzustecken. Solange die Bedingungen für die Fortexistenz der NATO jedoch noch unbestimmt sind, ist mit substanziellen Zugeständnissen im Hinblick auf die Veränderung europäischer Sicherheitsstrukturen nicht zu rechnen. Die NATO-Staaten vermeiden alles, was den Eindruck entstehen lassen könnte, sie visierten eine Auflösung ihres Paktes an.

Umso wahrscheinlicher ist, dass sie Fragen ins Zentrum rücken, durch die gewisser Druck auf Russland ausgeübt werden soll: die Zukunft Abchasiens und Südossetiens, den Abzug russischer Restverbände aus der Moldauischen Dnjestr-Republik, die Lösung des Problems Berg-Karabach.

Russland hat dem insofern Vorschub geleistet, als es gleichfalls einzelne Problemfelder ins Gespräch brachte: die Aktualisierung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) oder die Neufassung des Vertrags über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. So berechtigt die Forderungen erscheinen – sie erschweren derzeit den Einstieg in die neue Debatte über eine veränderte Sicherheitsstruktur.

Substanzielle Ergebnisse sind aus Almaty also nicht zu erwarten. Gut ist, dass überhaupt eine Debatte stattfindet. Ob zu deren Fortsetzung auch ein von Kasachstan gewünschter OSZE-Gipfel noch in diesem Jahr gehört, bleibt abzuwarten. Bisher war die Skepsis der NATO-Staaten unüberhörbar .

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juli 2010


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