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Schluss mit der ökonomischen Souveränität

Wirtschafts- und Finanzunion als nächster Schritt auf dem Weg zur autoritären Transformation der Eurozone

Von Alexis Passadakis *

Allein der Dynamik und der Vielfalt der Vorschläge zur Kontrolle der nationalen Haushalte durch die europäische Ebene haftet etwas Anti-Demokratisches an - insbesondere, weil sie substanziell in die EU-Vertragsstruktur und die nationalstaatlichen Verfassungen eingreifen. Nach Ratifizierung des Fiskalpakts und des ESM stehen beim aktuellen Treffen der EU-Regierungschefs in Brüssel Vorschläge für eine »Echte Wirtschafts- und Finanzunion« auf der Tagesordnung. Parallel dazu läuft ein ordentliches europäisches Gesetzgebungsverfahren namens »Two-Pack«, um die Kontrollmöglichkeiten der EU-Kommission auf die Haushalte der Eurozonenstaaten zu verstärken. Das »Two-Pack« verschärft damit das »Six-Pack«, welches bereits am 13. Dezember 2011 in Kraft trat.

Ungeachtet dessen brennt Wolfgang Schäuble nach Absprache mit der Bundeskanzlerin ein weiteres Feuerwerk von Vorschlägen ab. Der Bundesfinanzminister fordert vor allem eine Vetoposition des EU-Währungskommissars gegenüber bereits verabschiedeten Haushaltsplänen der Mitgliedsländer. Dabei gehen die jetzt in Brüssel verhandelten Punkte bereits im Wesentlichen auf deutsche Initiative zurück. Denn die auf dem Gipfeltisch liegenden Vorschläge von Ratspräsident Herman Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi wurden bereits im Kanzleramt vorgelegt.

Bei der geplanten Wirtschafts- und Finanzunion geht es im Kern um zwei Punkte: Erstens soll es ein eigenes Eurozonenbudget geben und zweitens sollen alle Länder einen jährlichen Vertrag mit der Kommission über ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik abschließen. Dahinter verbirgt sich die Idee, die Politik der Strukturanpassungen, welche den sogenannten Krisenländern wie Griechenland derzeit mittels der »Memoranden« auferlegt wird, auf alle Staaten der Eurozone zu übertragen. Umbau sozialer Sicherungssysteme, Arbeitsmarktpolitik, Struktur des öffentlichen Dienstes sowie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Infrastruktur - all dies kann Gegenstand solcher »vertraglichen Arrangements« sein.

Zudem wird das Vorhaben heftigen Applaus von BusinessEurope, dem großen europäischen Unternehmenslobbyverband, ernten. Kein Wunder: Einer der Vordenker des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayek, definierte bereits in der 1930er Jahren die ökonomische Souveränität der Nationalstaaten als zentrales Ärgernis und Problem für eine liberale Weltwirtschaftsordnung. Damit soll nun Schluss gemacht werden: Das bedeutet, dass de Möglichkeit, auf nationalem Terrain gesellschaftliche Kompromisse bei Sozial- und Wirtschaftsfragen zu erzielen, durch Übertragung von Kompetenzen auf die supranationale Ebene beseitigt werden soll. Nachdem das Königsrecht der Parlamente, das Budgetrecht, durch Fiskalpakt etc. in ein enges Korsett eingeschnürt wurde, ist dieser Vorstoß der »vertraglichen Arrangements« die nächste Offensive im Zuge einer autoritären Transformation der EU/Eurozone.

Der Widerstand gegen den Fiskalpakt begann sehr spät und hier gelang keine europäische Koordinierung. Die neuen Pläne für eine »Wirtschafts- und Finanzunion« bieten der Mosaik-Linken in der Bundesrepublik einen neuen Angriffspunkt und eine Chance, das Gegenmodell eines solidarischen Europas zu entwerfen. Das kann aber nur mit einer klaren Positionierung zumindest einiger Gewerkschaften gelingen. Die französischen sozialen Bewegungen stehen indes schon in den Startlöchern.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. Oktober 2012


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