Euro-Musterschülerin Merkel
Herabstufung mehrerer EU-Länder durch Standard & Poor's stärkt deutsche Position
Von Haidy Damm *
Nach der Herabstufung von mehreren EU-Staaten durch Standard & Poor's bemühen sich die Regierungen um Gelassenheit. Angela Merkel kann ihre Position in der Auseinandersetzung um die Schuldenkrise gestärkt sehen.
Neun Ländern hat die US-amerikanische Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) zum Wochenende schlechte Noten verpasst. Damit ist Deutschland innerhalb Europas eins von verbleibenen vier Ländern mit einer Topbonität. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war dieser Freitag der 13. also kein schlechter Tag. Denn die zur »Musterschülerin« aufgestiegene Regierungschefin hat damit ihren Partner Nicolas Sarkozy hinter sich gelassen. Der hatte zuletzt für Unstimmigkeit gesorgt mit seiner Forderung, eine Finanztransaktionssteuer notfalls auch im Alleingang durchzusetzen. Nicht nur in diesem Punkt dürfte Merkels Verhandlungsposition jetzt stärker sein als je zuvor. Ihr Projekt »Fiskalpakt«, das in einigen EU-Staaten kritisch gesehen wird, müsse jetzt »entschieden umgesetzt und nicht an allen Ecken und Enden aufgeweicht werden«, forderte sie am Wochenende.
Gleichzeitig relativierte Merkel die Abwertung: »Ich betone, es ist eine von drei Ratingagenturen.« Um deren Bedeutung weiter zu reduzieren, schloss sie sich der Forderung des stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Michael Meister an, die gesetzlichen Vorschriften bezüglich der Ratingagenturen zu ändern. Meister will in Zukunft eigene Bewertungen der betroffenen Finanzmarktakteure ermöglichen.
Auch die Forderung nach einer europäischen Ratingagentur kam wieder auf den Tisch. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte noch mehr Wettbewerb und »unabhängige, europäische Ratingagenturen, damit nicht politische oder wirtschaftliche Interessen zu Lasten Europas zur Geltung kommen können«. Den grundsätzlichen Konflikt, dass privat betriebene Agenturen ihren Einfluss auf die Politik stetig erhöhen, lässt der Liberale damit außen vor.
In seiner Politik bestätigt sah sich auch der italienische Regierungschef Mario Monti - trotz Herabsetzung um zwei Stufen. Denn die Agentur würdigte seinen Sparkurs und bescheinigte vielmehr der Opposition eine Gefahr für die Wirtschaft zu sein. Das dürfte den Widerstand gegen die Sparpläne weiter schwächen.
Unklar blieben am Wochenende die Auswirkungen auf den europäischen Rettungsfonds EFSF. Die Ratingagentur hat als Folge angekündigt, auch diesen eventuell herabzustufen, wenn keine Anpassungsmaßnahmen stattfinden.
Die Entscheidungen im Überblick
Die Ratingagentur Standard &
Poor's bewertet seit Freitag bei
insgesamt 16 Euroländern die Kreditwürdigkeit
von neun Staaten
schlechter, für sieben bleibt die
Note unverändert. Frankreich und
Österreich verlieren erstmals seit
Start der Länderratings 1975 ihre
Top-Bonität »AAA« und werden um
eine Stufe auf »AA+« heruntergesetzt.
Deutschland behält sein Top-
Rating, und auch der Ausblick ist
stabil. Nur die Slowakei hat noch
einen stabilen Ausblick, für alle
anderen 14 Länder ist er negativ.
Italien (»BBB+«), Spanien (»A«),
Portugal (»BB«) werden um zwei
Stufen heruntergesetzt, die Slowakei
(»A«) und Slowenien (»A+«)
um eine. Zypern (»BB+«) wird um
zwei, Malta (»A-«) um eine Stufe
herabgesetzt. Beide Länder sind so
klein, dass dies kaum eine Rolle
spielt. Für Belgien (»AA«), Estland
(»AA-«), Finnland (»AAA«), Irland
(»BBB+«), Luxemburg (»AAA«) und
die Niederlande (»AAA«) ändert
sich vorerst nichts. Damit haben
jetzt nur noch vier Euroländer ein
»Triple-A«, weltweit sind es 13 –
zählt man Hongkong, das kein eigener
Staat ist, nicht hinzu. (nd, 16.01.2012)
* Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012
Frankreich verliert AAA-Note
Rechtsregierung versucht Konsequenzen herunterzuspielen
Von Ralf Klingsieck, Paris **
Freitag der 13. war für Frankreich
wahrlich ein Unglückstag, denn die
US-amerikanische Ratingagentur
Standard & Poor’s entzog dem Land
die Bestnote AAA und stufte es herunter
auf AA+.
Zugleich wurde Frankreich eine
»negative Perspektive« bescheinigt,
was befürchten lässt, dass eine
weitere Herunterstufung in absehbarer
Zeit nicht auszuschließen
ist. Die Vorzeichen für den Bestnotenverlust
hatten sich schon seit
Wochen verdichtet, doch Präsident
Nicolas Sarkozy und seine
Rechtsregierung hofften bis zuletzt,
dass sie noch einmal verschont
würden. Immerhin stehen
in knapp 100 Tagen die Präsidentschaftswahlen
und einen Monat
später die Parlamentswahlen
an, bei denen ein Machtwechsel
zugunsten der Linken droht.
In diesem Licht ist die Entscheidung
von S&P ein schlechtes
Omen. Zwar halten sich die wirtschaftlichen
Konsequenzen in
Grenzen, denn die Finanzmärkte
hatten die Herabstufung längst
vorweggenommen, so dass Frankreich
für neu aufgenommene Kredite
schon seit Monaten deutliche
höhere Zinsen zahlen muss als
beispielsweise Deutschland, obwohl
beide Länder auf dem Papier
mit AAA auf gleicher Stufe standen.
Doch entscheidender ist der
politische Effekt. Noch vor Monaten
hatte Sarkozy die AAA-Note als
»nationalen Schatz« bezeichnet,
den er »um jeden Preis verteidigen
« wolle. Damit wurden auch die
zwei im Sommer im Abstand von
wenigen Wochen aufgelegten
Spar- und Maßhalteprogramme
begründet. Vor Weihnachten, als
Sarkozy den Notenverlust unausweichlich
kommen sah, erklärte er
in einem Interview vorbeugend:
»Der Verlust der AAA-Note wäre
eine zusätzliche Hürde, aber nicht
unüberwindbar.«
Jetzt blieb der Präsident
stumm, während Premier François
Fillon und Wirtschafts- und
Finanzminister François Baroin
den Medien gegenüber die Konsequenzen
der Herabstufung zu relativieren
und herunterzuspielen
versuchten. Doch das politische
Beben lässt sich nicht wegreden.
Präsident Sarkozy wollte nie der
»Kapitän des Club Med«, also der
in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik
als eher lax und unzuverlässig
eingeschätzten Mittelmeerländer,
werden. Er klammerte sich
an die Hoffnung, weiter auf einer
Stufe mit Deutschland und Bundeskanzlerin
Angela Merkel zu
stehen und mit ihr zusammen das
europäische Führungsgespann
abzugeben. Bestenfalls hätte er
noch hingenommen, dass Frankreich
zusammen mit Deutschland
heruntergestuft wird. Doch nun
gerät Frankreich und sein Präsident
deutlich ins Hintertreffen.
Wenn die Rechtsregierung jetzt
behauptet, die Entscheidung von
S&P sei nicht durch die von Frankreich
verfolgte Wirtschafts- und
Sozialpolitik motiviert, sondern sei
eine Folge der Krise der ganzen
Eurozone, dann ist das ein untaugliches
Ablenkungsmanöver.
Die Ratingagentur hat in ihrer Begründung
ganz eindeutig die
»mangelnde Wettbewerbsfähigkeit
« der französischen Wirtschaft
aufs Korn genommen, und die ist
eine Folge der Politik der vergangenen
Jahre. Dazu gehört nicht
zuletzt die hohe Staatsverschuldung.
Seit 1975 wird Frankreich
durch S&P bewertet, und seit 1974
hat das Land keinen ausgeglichenen
Staatshaushalt mehr gehabt.
Doch den höchsten Schuldenzuwachs
brachten die vergangenen
fünf Jahre. Das ist just die Amtszeit
von Präsident Sarkozy, der mit
seinen Steuergeschenken für Konzerne
und Besserverdienende die
Staatsfinanzen strapaziert und eine
aktive Industrie- und Beschäftigungspolitik
unmöglich gemacht
hat.
So wird denn auch die jetzt erfolgt
Herabstufung vom sozialistischen
Präsidentschaftskandidaten
François Hollande als »Quittung
für die Politik von Sarkozy und seiner
Regierung« bezeichnet. »Die
Kniefälle vor den Finanzmärkten
haben sich nicht ausgezahlt«,
schätzt er ein. Sarkozys Spar- und
Maßhaltekurs habe die Kaufkraft
der Franzosen geschwächt, damit
den Konsum gebremst und so den
Wirtschaftsaufschwung torpediert.
Jean-Luc Mélenchon, der Kandidat
der Linksfront aus Kommunistischer
Partei und Partei der
Linken, sagte: »Die Maßhaltepolitik,
die von den Finanzmärkten
gelenkt wird und bei der die Ratingagenturen
als Schiedsrichter
auftreten, hat sich als absolut untauglich
erwiesen. Die Europäische
Zentralbank muss jetzt den
Staaten Kredite zu denselben Bedingungen
einräumen wie den
Banken. Wenn sie das nicht tut, ist
das genauso wie die Entscheidung
von S&P eine Kriegserklärung gegen
die Finanzen Frankreichs.
Unser Land sollte reagieren, indem
es bis auf weiteres seine Mitgliedsbeiträge
an die EU zurückhält.«
** Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012
Österreich kalt erwischt
Regierung kündigt nach Herabstufung weitere Sparmaßnahmen an
Von Hannes Hofbauer **
Ministerien und Kanzleramt standen
an diesem Wochenende im Vollbetrieb.
Schließlich galt es für die
Staatsspitzen, den drängenden Medien
erklären zu müssen, wie so etwas
passieren konnte. Standard & Poor’s
hat Österreich ein A durch ein + ersetzt;
und dazu auf einen weiteren
»negativen Ausblick« hingewiesen.
Für ein Land wie Österreich, das
bereits für die Begleichung des
Schuldendienstes, also der Zinsen,
neue Staatsanleihen aufnehmen
muss, bedeutet die Rückstufung
der Ratingagentur Standard &
Poor’s großes Ungemach. Sie
kommt einer offiziellen Warnung
an alle großen Investoren gleich,
sich das Risiko für den Ankauf österreichischer
Staatsanleihen mit
einer höheren Rendite vergelten zu
lassen. Mit einem Wort: um die
Zinsen für die insgesamt 218 Milliarden
Euro Staatsschulden bezahlen
zu können, die fast 75 Prozent
des BIP ausmachen, wird
noch mehr Geld benötigt. Die Spirale
nach unten hat weiteren
Schwung aufgenommen.
Die Ursachen für die schlechte
Nachricht liegen im Osten. Dort, in
Ungarn, Rumänien und der Ukraine
haben österreichische Banken
in den vergangenen 15 Jahren
Megaprofite eingefahren. Dies geschah
zum guten Teil mit unlauteren
Methoden. Zudem wurde vergessen,
auf die Kreditwürdigkeit
der Kreditnehmer zu achten, die
mit vollen Händen bedient worden
waren. Allein in Ungarn belaufen
sich die von österreichischen Banken
vergebenen Kredite auf 32
Milliarden Euro. Wie viele davon
uneinbringlich sind, kann man erahnen,
wenn man weiß, dass der
ungarische Premier erst vor zwei
Monaten ein Kreditablösegesetz
durch das Parlament gebracht hat,
das Wechselkurse staatlich festlegt.
Österreichische Banken wie
die Raiffeisen, die Erste Bank oder
die Bank Austria hatten Millionen
von ungarischen Kunden Schweizer
Frankenkredite aufgeschwatzt
und sie mit billigen Zinsen gelockt.
Damals lag der Kurs des Franken
zum Forint bei 1:150, Ende 2011
betrug er 1:240. Da helfen billige
Zinsen nicht mehr, wenn sich das
Kapital, das zurückbezahlt werden
muss, um drei Viertel erhöht. Um
den Bankrott von Millionen Häuslebauern
und Kleinkreditnehmern
abzuwehren, ließ Orban den
Wechselkurs mit 1:180 staatlich
festsetzen. Die Banken müssen die
Differenz zum Marktwert des
Franken tragen. Ihr Gang zu nationalen
und EU-Gerichten kümmerte
die ungarische Regierung
bisher wenig.
Die Marktführerschaft österreichischer
Banken in Osteuropa
mit einem Anteil von 22 Prozent
am gesamten Kredit- und Sparsektor
entpuppt sich in Krisenzeiten
als Bumerang. Das musste um
die Jahreswende auch eine der
größten europäischen Banken erkennen.
Die italienische UniCredit,
»Mutter« u.a. der Bank Austria,
versucht seit Wochen verzweifelt,
neues Kapital zusammenzubringen,
um ihre Verluste im Osten
auffangen zu können. Auch große
Baufirmen wie die Porr AG oder
die Handelskette Spar dümpeln mit
tiefroten Bilanzzahlen noch
schlechteren Zeiten entgegen. Da
hilft es auch nichts, dass ihre Chefs
die ebenfalls von Viktor Orbans
Partei Fidesz eingeführten Steuerabgaben
für Großkonzerne als
»rechtswidrig« bezeichnen und
ihre Anwaltskanzleien zu Gerichtsgängen
treiben. Die Abgabe
muss geleitet werden. Allein Spar
kostet dies für 2011 zusätzlich 25
Millionen Euro.
Der Verlust des dritten A hat
also unmittelbar mit den Megaprofiten
der 1990er Jahren in Osteuropa
zu tun. Während diese als
Dividenden in private Investorenhände
flossen, wird für das nun
entstandene Minus – wieder einmal
– der österreichische Staat zur
Kasse gebeten. Seine Organe predigen
als Lösung aus der Misere
erneut die Durchsetzung härterer
Sparmaßnahmen. Unter dem Eindruck
der Rückstufung hat Vizekanzler
Michael Spindelegger
(ÖVP) die Richtung vorgegeben:
»Wir müssen jetzt die Anstrengungen
für das Sparpaket beschleunigen
«, sagte er gegenüber
der »Presse« und erklärte, welche
»Kostentreiber« besonders ins Visier
zu nehmen seien: »die Pensionen,
das Gesundheitssystem und
die Infrastruktur.« Standard &
Poor’s haben ganze Arbeit geleistet.
*** Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012
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