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Conrad Schuhler: "Unter Brüdern"

Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt

Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus einem neuen Buch von Conrad Schuhler, das sich mit dem Konkurrenzverhältnis zwischen Europa und den USA befasst. Das Buch ist gerade im PapyRossa Verlag, Köln, erschienen. Der Autor befindet unternimmt im Herbst eine Lesereise und wird u.a. beim 10. Friedenspolitischen Ratschlag am 6./7. Dezember in Kassel referieren.
Der hier wiedergegebene Textauszug wurde am 8. Oktober in der Tageszeitung "junge Welt" veröffentlicht.



In der deutschen Öffentlichkeit ist im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg ein furioser Euronationalismus ausgebrochen, der sich vor allem auf zwei Momente stützt. Einmal seien Europas Machtquellen mit seiner Erweiterung denen der USA mindestens ebenbürtig. Zum anderen erweise sich Europa als das normativ überlegene soziale System.

In beiden Abteilungen rollt eine Propagandaoffensive, die den öffentlichen Diskurs mit einigem Erfolg zu bestimmen versucht. So erscheint seit Monaten kaum eine Ausgabe des Spiegel ohne dramatisch dargebotene Hinweise auf die schwindende Macht der USA und die kraftvolle Erneuerung Europas. Die Zahlen der EU nach der Erweiterung 2004 – BIP, Einwohner, Welthandelsanteil, Militärausgaben, Währungsreserven – werden denen der USA gegenübergestellt, um zu bilanzieren: »Auf Augenhöhe«. (Der Spiegel 30/2003) Emmanuel Todds »Nachruf« auf die Weltmacht USA hatte in Deutschland einen größeren Erfolg als im Heimatland des französischen Gaullisten. In allen großen deutschen Zeitungen konnte der Berater von Präsident Jacques Chirac seine These darlegen, »daß Bushs außenpolitische Brutalität das müde deutsch-französische Paar richtig auf Trab gebracht« habe. »Für sich allein sind Frankreich und Deutschland mittlere europäische Mächte, zusammengenommen bilden sie eine Weltmacht«, die »schon genug Dynamik entfaltet hat, um auch Rußland an sich zu binden«. (Der Spiegel, 12/2003) Die Zeit steht nicht nach: »Die ›Friedensachse Paris-Berlin-Moskau‹ wird nicht länger für eine flüchtige Konstellation gehalten. Offensichtlich gewinnt sie Dauer und Tragfähigkeit.« (Die Zeit, 18/2003) Diplomatischer, aber doch unverhohlen, formuliert Außenminister Joseph Fischer, Europa fehle bisher eine gemeinsame strategische Perspektive, zwar fehlten auch (noch) die militärischen Fähigkeiten, aber die ökonomischen und politischen seien vorhanden. Die Legitimationsfrage weise über die Macht der USA hinaus. »Die Europäer können Dinge, die andere nicht so können.« (Die Zeit, 20/2003)

Um die Übermacht der Europäer in der »Legitimationsfrage« tiefgründig zu demonstrieren, starteten europäische Intellektuelle von Rang eine beispiellose Kampagne. An ein und demselben Tag, am 31.5.2003, veröffentlichten sieben Philosophen und Publizisten in führenden europäischen Zeitungen Manifeste für eine neue Rolle Europas. Jürgen Habermas, der Initiator der Aktion, überschrieb seinen von Jacques Derrida mitunterzeichneten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Die Wiedergeburt Europas. Plädoyer für eine gemeinsame Außenpolitik – zunächst in Kerneuropa.« Ausdrücklich geht es um die Konfrontation mit den USA. »Europa muß sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen, um den hegemonialen Unilateralismus der Vereinigten Staaten auszubalancieren.« Zur »Gestaltung des Designs einer künftigen Weltinnenpolitik« sei Europa geradezu berufen. Es habe »unter Schmerzen lernen (müssen), wie Unterschiede kommuniziert, Gegensätze institutionalisiert und Spannungen stabilisiert werden können«. Deshalb verstehe Europa, »daß in einer komplexen Weltgesellschaft nicht nur Divisionen zählen, sondern die weiche Macht von Verhandlungsagenden, Beziehungen und ökonomischen Vorteilen«.

Gelungen sei den Europäern auch »die sozialstaatliche Befriedung von Klassengegensätzen«, sie hätten »Maßstäbe sozialer Gerechtigkeit« gesetzt, hinter die »auch eine künftige Politik der Zähmung des Kapitalismus in entgrenzten Räumen nicht zurückfallen« dürfe. (...) In Europa habe sich nämlich »im Kontext von Arbeiterbewegungen und christlich-sozialen Überlieferungen ein solidaristisches, auf gleichmäßige Versorgung abzielendes Ethos des Kampfes für mehr ›soziale Gerechtigkeit‹ gegen ein individualistisches Ethos der Leistungsgerechtigkeit durchgesetzt, das krasse soziale Ungleichheiten in Kauf nimmt.«

Der Mythos vom Sozialstaat

Die Habermas-Hymne auf den europäischen Sozialstaat ist pure Propaganda. Die Organisationsleistungen und Steuerungskapazitäten der europäischen Staaten sind ebenso wenig beispielhaft wie die Maßstäbe sozialer Gerechtigkeit. Mitten im flächendeckenden Abbau des Sozialstaates ist die Behauptung, in Europa habe sich ein solidarisches Ethos durchgesetzt, geradezu monströs. Was in Großbritannien unter Margaret Thatcher geleistet wurde, nämlich die Entmachtung der Gewerkschaften und die Auflösung der »Solidargemeinschaft«, wird auch in Deutschland seit den achtziger Jahren betrieben und erlebt unter der rot-grünen Regierung derzeit einen Höhepunkt. (...)

Habermas’ Fehler liegt darin, die speziellen Bedingungen des westdeutschen Wiederaufbaus mit strukturellen Gesetzmäßigkeiten des (europäischen) »Spätkapitalismus« zu verwechseln. In den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichnete die deutsche Wirtschaft kräftige Wachstumsraten, Arbeitskräfte wurden dringend gebraucht, Lohnzuwächse und »soziale Wohltaten« konnten im wesentlichen aus den jährlichen Wachstumsraten gewährt werden. Arbeiter und Angestellte wurden als entscheidender Faktor der Nachfrage geschätzt, denn das Wachstum der Wirtschaft wurde getragen von der Binnennachfrage. Überdies machte sich auf der anderen Seite der Elbe ein sozialistisches System anheischig, ein besseres Leben ohne Kapitalisten zu organisieren. Das deutsche Kapital und seine politischen Vertreter hatten also sowohl die Mittel als auch ein gesteigertes Interesse daran, ihre ursprünglichen Legitimationsdefizite zu kompensieren, zu denen auch die Komplizenschaft mit dem Nazisystem gehörte, was unter anderen sogar die CDU Nordrhein-Westfalens in ihrem Ahlener Programm zu einer prinzipiellen Verurteilung des Kapitalismus veranlaßt hatte.

Mit dem Abschluß der Wiederaufbauphase entfielen diese Faktoren. Jetzt wurde die deutsche Wirtschaft wieder vom Krisenzyklus erfaßt, die Wachstumsraten fielen geringer aus, die Binnennachfrage stockte, zunehmend wichtiger wurde die Nachfrage außerhalb der Landesgrenzen. Mit der wachsenden Bedeutung der Exporte wurden die Einkommen der Beschäftigten immer weniger als bedeutender Nachfrage- und immer mehr als zu minimierender Kostenfaktor angesehen. Deutschland wurde zum »nationalen Standort«, der durch Druck auf Masseneinkommen und Sozialtransfers für den globalen Wettbewerb fit zu machen war. Der Staat konnte weder den Krisencharakter der Wirtschaft beheben, noch hatte er länger soziale Kompensation der »Depravierten« zum strategischen Ziel.

Die ebenso unzureichende wie unsoziale Steuerungskapazität zeigt sich heute – neben der allgemeinen Konjunkturpolitik, die gegen die synchrone Weltwirtschaftskrise so wenig ein Rezept kennt wie die neoliberalen Industriestaaten außerhalb der EU – unter anderem in der Entwicklung der Verschuldung und der dieser zugrundeliegenden Steuerpolitik. Sowohl Frankreich wie Deutschland, der »harte« Kern des Habermasschen Europas, sind deutlich über die Grenzen des sogenannten Stabilitätspakts hinaus verschuldet. Im Vertrag von Maastricht wurden ein jährliches staatliches Defizit von drei Prozent und addierte öffentliche Schulden von 60 Prozent des BIP als Höchstgrenzen in der Euro-Zone festgelegt. Deutschland und Frankreich liegen in beiden Bereichen klar darüber. Obwohl einerseits die sozialen Leistungen für die Bürger zusammengestrichen werden, wachsen andererseits die staatlichen Defizite. Die Kommunen in Deutschland, deren Infrastruktur die Qualität des sozialen Zusammenlebens wesentlich bestimmt, stehen landesweit vor der Zahlungsunfähigkeit. Ihr Defizit beträgt 2003 rund zehn Milliarden Euro. Die kommunalen Investitionen gehen um elf Prozent zurück und liegen damit um 37 Prozent unter dem Niveau von 1992. Alle sozialen Sicherungssysteme, nach Habermas garantierte solidarische Regelungen, werden im Rahmen der »Agenda 2010« drastisch reduziert. Allein die Kürzungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe und die Privatisierung des Krankengeldes kosten die Betroffenen über elf Milliarden Euro. Für einen 57jährigen verheirateten Durchschnittsverdiener macht der Verlust an Arbeitslosengeld rund 14500 Euro aus.

Verantwortlich für den schrillen Zweiklang »Höheres Defizit – geringere Sozialleistungen« sind die Steuergesetze zugunsten der Reichen und der Konzerne. Kapitalertrag-, Gewerbe-, Körperschaft- und veranlagte Einkommensteuer sanken in den Jahren 2001 und 2002 in Deutschland trotz höherer Gewinne um 50 Milliarden Euro. Der Anteil der Gewinn- und Kapitalsteuern am staatlichen Steueraufkommen ist seit 1980 von 26 Prozent auf 13,4 Prozent fast halbiert worden. Der Lohnsteueranteil stieg von 30,5 Prozent auf 31,9 Prozent, der der Umsatz- und Verbrauchsteuern, die von Arm wie Reich denselben Geldbetrag einfordern, sprang von 43,5 Prozent auf 55,8 Prozent. Die Einnahmen- und Ausgabenpolitik wie die gesamte Sozialpolitik Deutschlands folgen seit langem diesem Trend. In den letzten elf Jahren haben die Arbeitnehmer einen realen Einkommensverlust von 4,4 Prozent erlitten, während die Unternehmergewinne real, das heißt unter Abzug der Inflationsrate, um rund 40 Prozent stiegen. Infolge der ungleichen Einkommensverteilung werden die Unterschiede in der Vermögensverteilung immer größer. 365000 Millionäre vereinigen 26 Prozent des gesamten Geldvermögens auf sich. Diesem knappen halben Prozent der Bevölkerung stehen 50 Prozent gegenüber, die alle zusammen ganze 4,5 Prozent des Geldvermögens ihr eigen nennen können. 50 Prozent der Arbeitslosen und jeder zwölfte der Erwerbstätigenhaushalte gelten als arm.

Die weitere »Agenda 2010«-Politik der rot-grünen Regierung wird die sozialen Ungleichheiten noch vertiefen. Besonders hart getroffen werden die Arbeitslosen und alle, die den Leistungsansprüchen im neoliberalen Zeitalter nicht mehr genügen und deshalb als »überflüssig« aus dem Erwerbsleben und möglichst auch aus den sozialen Sicherungssystemen hinausgedrängt werden sollen. Die Massenarbeitslosigkeit liegt im Mai 2003 nach OECD-Kriterien in der Eurozone mit 8,8 Prozent höher als der OECD-Durchschnitt (7,2 Prozent), höher als in den 15 EU-Ländern (8,1 Prozent – hier kommen zu den zwölf Euroländern Großbritannien, Dänemark und Schweden hinzu) und beträchtlich höher als in den USA (6,1 Prozent). Die höchste Rate weist Deutschland mit 9,4 Prozent auf, dicht gefolgt von Frankreich (9,1 Prozent). Dies ist ohne Frage kein Nachweis einer sozialen Kompetenz des Systems. Es trifft aber zu, daß die Arbeitslosen bisher besser geschützt waren als in den USA. Die »Agenda 2010« gibt jedoch das solidarische Prinzip vollständig preis, sie liefert vielmehr die Begründung, warum Arbeitslose und »Minderleister« generell keine sozialen Leistungen verdient haben. (...) Der frühere Bundesgeschäftsführer und heutige »Vordenker« der SPD, Peter Glotz, begrüßt dementsprechend die »Agenda 2010« als die dem digitalen Kapitalismus angemessene soziale Strategie: »Die Wissensgesellschaft erweist sich als eine Gesellschaft des bewußten Ausschlusses vieler aus der modernen Arbeitswelt ... Wir werden auf Dauer mit einer neuartig zusammengesetzten Unterklasse leben müssen, die wissensintensive Jobs entweder nicht bekommt, oder wegen der stark verdichteten Arbeit nicht will.« (Die Zeit 20/2003)

Habermas hat recht, wenn er das US-System als unsolidarisch, als unsozial brandmarkt. Er irrt indes, wenn er meint, sein Kerneuropa biete das Gegenmodell. Bushs Redenschreiber hätte es in der Substanz nicht anders formuliert als Peter Glotz, den die SPD als ihren Mann in den Europäischen Konvent zur Beratung der »Europäischen Verfassung« geschickt hat. Der Irrtum erstreckt sich auch auf das zweite Selbstlob, Europa sei aus geschichtlicher Erfahrung eine Macht des Friedens.

Zivile Gegenmacht Europa? Antwort: weder zivil noch Gegenmacht. Die Europäer sind nach ihrem heutigen Standard und ihren Perspektiven dem Hegemon USA nicht gewachsen. Ihre militärische Potenz reicht nicht aus, um mit den USA als globale Interventionsmacht zu konkurrieren. Ihre wirtschaftliche Kraft ist bedeutend geringer, ihre innere Kohäsion ist schwach und schwindet von Jahr zu Jahr mehr. Ihre Spaltung geht tief, und ihre Abhängigkeit vom US-Markt wächst. Es kommt noch eines hinzu: Die treibenden gesellschaftlichen Kräfte haben gar kein Interesse, die USA tatsächlich herauszufordern.

US-Konkurrenten: China?

Die Hälfte der US-Bevölkerung glaubt, China werde in den nächsten hundert Jahren die größte Herausforderung für die Weltmacht USA sein – acht Prozent tippen auf Japan, sechs Prozent auf Europa und Rußland. (Wall Street Journal, 16.9.1999). Politologen aus dem neokonservativen Lager formulieren: »Es ist gewiß nicht unvermeidlich, daß China zu einer Bedrohung der amerikanischen Interessen wird, aber die USA werden weitaus eher mit China in einen Krieg eintreten als mit irgendeiner anderen Großmacht.« (Zitiert bei Joseph S. Nye, a. a. O., S. 44). Dies ist die Diktion der Bush-Regierung: Bevor China so stark wäre, um US-Interessen zu gefährden, würden die USA zum Angriff übergehen. Tatsächlich hat China in den letzten 20 Jahren mit jährlichen Wachstumsraten von acht bis neun Prozent sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) verdreifacht. Dennoch kommt es mit seinen 1,3 Milliarden Menschen nur auf rund zwölf Prozent des BIP der USA (290 Millionen Einwohner). Zwar ist es mit 53 Milliarden Dollar ausländischen Direktinvestitionen in 2002 zum Favoriten der kapitalexportierenden Industrieländer geworden, und wird es wohl noch eine Weile bleiben, denn eine riesige industrielle Reservearmee – mindestens 400 Millionen Menschen müssen vom Land in die Städte transferiert werden – wird für lange Zeiten für niedrige Löhne sorgen. Schon jetzt suchen 260 Millionen Menschen eine Arbeit. Die städtischen Eliten haben große Einkommenszuwächse erlebt, während 800 Millionen Landbewohner in den letzten fünf Jahren Einbußen hinnehmen mußten.

Von diesen inneren Problemen, die mit Sicherheit zu erheblichen sozialen Spannungen führen, werden Chinas Potenzen in der nächsten längeren Entwicklungsphase absorbiert. Um sein forciertes Wachstum fortzusetzen, braucht China den US-Markt, der schon heute die meisten chinesischen Exporte aufnimmt. Es braucht die USA ferner, um seinen wachsenden Ölbedarf zu sichern. Anfang der neunziger Jahre noch Erdölexporteur, mußte das Land 2000 schon 31 Prozent seines Ölbedarfs einführen. Solange die USA Ölmenge und Ölpreise entscheidend beeinflussen können, hängt Chinas Zukunft wesentlich von der Haltung Washingtons ab.

Rußland?

In den Augen der US-Strategen – ob republikanische oder demokratische – stellt Rußland für die USA deshalb eine Bedrohung dar, weil es annähernd so viele strategische und taktische Atomwaffen besitzt wie die USA (rund 10000). Angesichts der überlegenen Militärtechnologie der USA wäre ein Angriff Rußlands allerdings Selbstmord. Die Wirtschaftskraft der USA übertrifft die Rußlands um das Dreißigfache. Die US-Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind sechzigmal höher als die russischen, die Militärausgaben neunmal. Die strategische Stärke Rußlands liegt in den gewaltigen Ölvorkommen. Auf die GUS entfallen neun Prozent der Weltreserven (Rußland: 6,7). Im Jahr 2000 war die GUS nach Saudi-Arabien der größte Erdölförderer. Wird in diesem Tempo weiter Öl verbraucht und exportiert, sind die russischen Ölvorräte in 20 Jahren erschöpft. Bis dahin ist Rußland bei der Nutzung seiner Hauptressource auf das Wohlwollen der USA angewiesen. Deren globale Präzisionswaffen – wie auch ihre militärische Präsenz in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion rund um das Kaspische Meer – sind eine latente Gefahr für die Pipelines der Russen. Die Dominanz der USA über den Weltölmarkt birgt eine ökonomische Drohung: Fällt der Ölpreis um einen Dollar pro Barrel, fehlen in Rußlands Jahresbudget eine Milliarde Dollar.

Japan?

Japans Wirtschaft ist mit 40 Prozent des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) die zweitgrößte der Welt. Auch sein Rüstungshaushalt steht hinter den USA an zweiter Stelle der Weltrangliste, ist größer als die Militärbudgets Rußlands und Chinas zusammen. Dennoch spielt Japan nur eine geringe weltpolitische Rolle, was vor allem seinem schon ein Jahrzehnt währenden wirtschaftlichen Rückgang geschuldet ist. Von 2000 auf 2002 ist sein BIP um 17 Prozent gefallen (zu laufenden Preisen und Wechselkursen – in konstanten Dollars machte der Rückgang acht Prozent aus). (International Herald Tribune, 4.3.2003). Wie schon 1996 liegt seit 1999 die Inflationsrate unter Null, 2002 lag sie bei minus 1,5 Prozent. Diese Deflation bremst Konsum wie Investitionen, da morgen alles billiger ist als heute. Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen. Überdies besitzt die zweitgrößte Wirtschaftskraft der Erde kein eigenes Öl. 88 Prozent ihres Ölbedarfs bezieht sie derzeit aus dem Mittleren Osten, der immer vollständiger unter Kontrolle der USA steht.

Conrad Schuhler: Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt.
Neue Kleine Bibliothek 89, PapyRossa Verlag, Köln 2003; 165 Seiten, 11 EUR (ISBN 3-89438-268-6)



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