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Sozialisierung der Gläubiger

Ein Schuldenschnitt würde neben Banken auch die öffentliche Hand in Euroland hart treffen

Von Hermannus Pfeiffer *

Private Banken und Investoren sind kaum noch für die Euro-Krise dingfest zu machen – die Schuldenpapiere Griechenlands und anderer Krisenländer hält längst die öffentliche Hand.

Die Verantwortlichen der Europäischen Zentralbank (EZB) warnen in schöner Regelmäßigkeit vor einer Umschuldung Griechenlands als »Horror-Szenario«. Ihnen geht es dabei vor allem um das eigene Haus. Unmittelbar würde ein Schuldenschnitt alle Gläubiger treffen, die marode Staatsanleihen besitzen. Dazu gehören aber längst nicht mehr allein private Anleger, Banken oder Hedgefonds, sondern auch die EZB. Und bald könnte das Gleiche für Irland oder Portugal, Spanien oder Italien inszeniert werden; auch Belgien ist ins Visier der Ratingagenturen geraten.

Schon als Reaktion auf die Finanzkrise ab 2007 hatte die Zentralbank ihre Regeln etwas gelockert und aktive Antikrisenpolitik betrieben. Die EZB-Bilanz verdreifachte sich. Um dann obendrein der Euro-Schwäche beizukommen, startete der EZB-Rat im Mai 2010 ein Wertpapierprogramm, das es der Zentralbank erstmals erlaubte, Staatsanleihen der Euroländer zu kaufen. Die Summe der aufgekauften Papiere soll laut Deutscher Bank mittlerweile 76 Milliarden Euro betragen. Zwei Drittel davon stammen aus Athen.

Gleichzeitig akzeptierte die EZB Staatsanleihen als vollwertige Sicherheit – trotz mehrfacher Herabstufungen durch Ratingagenturen und obwohl sie an den Finanzmärkten nur noch mit hohen Abschlägen gehandelt werden. Banken hinterlegen solche Sicherheiten bei der EZB und erhalten dafür Bargeld fürs Alltagsgeschäft auf ihre Konten gutgeschrieben.

»Heute liegt ein großer Teil der Risiken bereits in den öffentlichen Händen«, gab Bundesbankpräsident Jens Weidmann zu. Unterm Strich dürfte schätzungsweise jeder zweite Schulden-Euro durch die Bücher der EZB laufen. Bei einem Schuldenschnitt müssten dann die Eigentümer der Zentralbank gegebenenfalls zusätzliche Mittel zuschießen: die öffentlichen Haushalte in Berlin (19 Prozent), Paris (14 %) und Rom (12,5 %).

Neben der EZB dürfte ein Schuldenschnitt vor allem die griechischen Banken massiv treffen. Sie halten nach Berechnungen von Goldman Sachs 45 Milliarden Euro Anleihen und 18 Milliarden Euro Kredite. Die im internationalen Vergleich eher zierlichen Banken aus Hellas könnte ein radikaler Schuldenabschlag (»Hair-Cut«) tödlich treffen, denn er würde bis zu 80 Prozent des Kernkapitals auffressen. Soll die ohnehin schrumpfende griechische Wirtschaft nicht auch noch ohne Kredite dastehen, müssten die heimischen Banken vor jeglicher Umschuldung mit frischem Kapital aus öffentlichen Kassen ausgestattet werden.

Eine Umschuldung mit Abschlag wäre dagegen für europäische private Banken (und Versicherungen) wohl tragbar, zumal sie große Summen auf ihre Engagements bereits abgeschrieben haben. In Deutschland träfe es ausgerechnet Banken in staatlicher Hand hart – wie die Hypo Real Estate, die KfW und einige Landesbanken. Auch für deren Verluste müsste der Steuerzahler geradestehen.

Kaum anders als in Griechenland stellt sich die Lage in anderen Euro-Krisenregionen dar. Auch Irland und Portugal werden auf absehbare Zeit an den privaten Finanzmärkten keine Kredite mehr zu normalen Konditionen kriegen. Milliardenschwere Darlehen benötigen aber Staaten laufend: Alle paar Wochen müssen sich Regierungen »frisches« Geld borgen, um damit alte Schulden, deren Laufzeit endet, abzulösen. Im Fall der drei Krisenländer gibt es aktuell Geld nur noch vom Euro-Rettungsfonds und vom IWF. Aus alten privaten Schulden werden so neue öffentlich garantierte.

Mit jeder Milliarden-Tranche aus dem Rettungspaket werden alte Schulden abgelöst, die bislang fast ausschließlich von privaten Anlegern, Banken, Versicherungen und Fonds gehalten wurden. Im Falle einer radikalen Umschuldung würden Europas Schulden also sozialisiert.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2011


Forderungen von Banken unterschiedlicher Nationalität an Griechenland in US-Dollar.

Die Zahlen stammen von September 2010; neuere Daten sind noch nicht bekannt. Die Tabelle beinhaltet Kredite wie auch Derivat-Kontrakte und Garantien.
(Sept. 2010; in Mrd. Dollar)


Forderungen an Griechenland
  • Frankreich: 92,0
  • Deutschland: 69,4
  • USA: 43,1
  • Großbritannien: 20,4
  • Italien: 6,5
Gesamt: 277,9

Forderungen an Irland
  • Großbritannien: 224,6
  • Deutschland: 208,3
  • USA: 113,9
  • Frankreich: 78,1
  • Italien: 24,4
Gesamt: 813,7

Forderungen an Spanien
  • Deutschland: 242,4
  • Frankreich: 224,7
  • USA: 187,5
  • Großbritannien: 152,4
  • Italien: 41,8
Gesamt: 1098,8

Forderungen an Portugal
  • Spanien: 108,6
  • Deutschland: 48,5
  • USA: 47,1
  • Frankreich: 45,6
  • Großbritannien: 33,7
Gesamt: 321,8

Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich




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