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Klamauk um Freihandel

Unmittelbar vor dem G-8-Gipfel einigten sich EU-Kommission und US-Regierung auf Gespräche über Abkommen. Der mediale Beifall scheint indes verfrüht

Von Rainer Rupp *

Der G-8-Gipfel im nordirischen Enniskillen ist Geschichte. Das von Anfang an auf schönen Schein getrimmte Treffen bot nicht mehr als das Übliche, wenn die politischen Herrscher der sieben alten Industriestaaten (ehem. G7) und Rußlands zusammentreffen. Ein paar Floskeln, politische Augenwischerei und viel Protokollkrimskrams. Ein Ereignis wurde indes nahezu verklärend als Erfolg gepriesen: Die Verkündung vom bevorstehenden »größten Handelsabkommen aller Zeiten – gemeint war ein Freihandelsabkommen zwischen USA und EU. Das ist lange in Rede. Nun sollten angeblich schon im Sommer die Verhandlungen aufgenommen werden. Aber auch da scheint wieder viel heiße Luft dabeigewesen zu sein.

Nun, die Medien überschlugen sich am Montag in der üblichen Weise, als sie von der Einigung zwischen US-Regierung und EU-Kommission über die für Juli geplante Gesprächsaufnahme berichteten. Die Nachrichtenagentur dpa schwärmte vom »transatlantischen Mammutprojekt für mehr Wohlstand und Arbeitsplätze«. Die geplante Freihandelszone sei »mit 800 Millionen Einwohnern so groß wie keine andere auf der Welt«, was schon deshalb nicht stimmt, weil China allein einen einheitlichen Markt von 1300 Millionen Menschen darstellt. Und natürlich geht es laut dpa vorrangig um »mehr Wachstum und Arbeitsplätze«. Bei näherem Hinsehen darf das bezweifelt werden – zumindest was die Arbeitsplätze betrifft. Fraglich ist auch, ob bei einem solchen Abkommen nicht wichtige Umwelt-, Verbraucher- und andere Schutzregularien auf der Strecke bleiben.

Sollten tatsächlich alle Träume der Propagandisten der Freihandelszone eins zu eins umgesetzt werden, hätte das eine enorme Umstrukturierung sowohl der US-Volkswirtschaft als auch jener der EU zur Folge. Erst einmal würde diese wahrscheinlich mit der Vernichtung vieler Arbeitsplätze einhergehen. Ob die verlorenen Jobs dann wieder durch neue Stellen in den von der Freihandelszone profitierenden Branchen kompensiert und auch gleichgut bezahlt würden, ist eine andere Frage. Erfahrungsgemäß wird die zusätzliche Nachfrage in den vom Abkommen profitierenden Branchen zunächst durch die bessere Auslastung vorhandener Kapazitäten und den Einsatz neuer Technologien gedeckt. Die Schaffung von Arbeitsplätzen kommt erst ganz zum Schluß.

Allerdings werden die schönen Versprechen den Gewerkschaften vor die Nase gehalten, wie dem Esel vor dem Karren die Karotte. Gut verdienen werden indes hauptsächlich die Unternehmer: Durch eine höhere Produktivität und eine verbesserte Profitrate – ein Ergebnis, zu dem auch die ARD-Tagesschau auf ihrer Internetseite gekommen ist. (»Wer profitiert vom Freihandel?«, www.tagesschau.de/wirtschaft/faq-freihandelszone-eu-usa100~_origin-4372f61a-53af-4978-a851-0f08f0d42265.html)

Laut EU-Berechnungen könnte ein solches Abkommen für die Union einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 120 Milliarden Euro pro Jahr und 400000 neue Arbeitsplätze bedeuten. Jeder einzelne Haushalt profitierte damit in Höhe von 545 Euro pro Jahr, rechnet dpa das Projekt schön. Bei einem EU-USA-Handelsvolumen an Gütern und Dienstleistungen in beiden Richtungen von insgesamt 685 Milliarden Euro im Jahr 2012 macht ein Zoll von sieben Prozent (der Höchstsatz) rund 48 Milliarden Euro aus. Für die EU-Importe aus den USA würden das etwas weniger als die Hälfte, etwa 22 Milliarden Euro, an Ersparnissen (allerdings auf Kosten der staatlichen Zolleinnahmen) ausmachen. Das ist nur ein Sechstel der propagierten Zahl, die wohl auch zum Gipfel-Brimborium gehört.

Dafür, daß es trotz schöner Versprechungen doch nicht so schnell mit dem Freihandel klappen wird, haben erst einmal die Franzosen gesorgt. Sie sind entgegen anderslautenden Meldungen wohl doch nicht bereit, ihre nationale Film-, Fernseh- und Musikindustrie auf dem Altar der neoliberalen Globalisierung zu Gunsten des Hollywood-Kommerz zu opfern. Paris hat im Vorfeld des Gipfels darauf bestanden, daß die audiovisuellen Industrie samt der staatlichen Subventionen für diese Branche von der EU-Kommission bei ihren Gesprächen mit den USA ausgeklammert wird. Das hat nicht nur in Washington für böses Blut gesorgt. Auch Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte den französischen Präsidenten François Hollande deswegen rüde angegriffen.

In einem Interview mit der International Herald Tribune vom 16. Juni hatte der wenig legitimierte Eurokratenboß die französischen Bemühungen, ihre nationale Kultur zu schützen diffamiert: »Einige unter ihnen sagen, sie gehören zur Linken, aber tatsächlich sind sie kulturell extrem reaktionär«, so Barroso, dessen Einlassungen nicht nur bei Frankreichs Kulturschaffenden für einen Aufschrei der Empörung gesorgt hat. Auch Hollande war der feierlichen EU-USA Erklärung über die Aufnahme der Freihandelsgespräche am Rande des G-8-Gipfels, an der auch Barack Obama und Barroso teilgenommen hatten, demonstrativ ferngeblieben.

Derweil drohten die US-Amerikaner zur Vergeltung für den Pariser Kulturschutz einige eigene Branchen, in die die Europäer gerne unreguliert eindringen möchten, vom Verhandlungstisch zu nehmen – wie ausgerechnet den Sektor der Finanzdienstleistungen. Dem würden die Europäer wohl mit weiteren Ausnahmeregelungen folgen. Frankreich kann insbesondere in mediterranen EU-Ländern mit großem Verständnis für den Schutz des nationalen Kulturerbes rechnen. Die mächtigen Finanzdienstleister in Großbritannien und Deutschland und ihre jeweiligen Regierungen in Berlin und London haben dafür kein Verständnis. So droht das »Jahrhundertprojekt« zu scheitern, bevor es richtig angefangen hat.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. Juni 2013


Nur vorläufig

Frankreich verteidigt demokratische Kultur

Von Thomas Wagner **


Nachdem sich unter Europas Kulturschaffenden herumgesprochen hatte, daß die USA und die EU ernsthaft beabsichtigen, noch in diesem Sommer in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zu treten, hagelte es Proteste. Denn plötzlich stand alles zur Disposition: Buchpreisbindung, öffentlich-rechtlicher-Rundfunk und jede Form der Kultursubvention. Nun scheint das Schlimmste abgewendet. Vorerst zumindest. Denn nach längerem Streit der zuständigen Minister wurden Kultur und Medien vom gemeinsamen Verhandlungsmandat der EU ausgenommen. Ausschlaggebend war das Insistieren der französischen Regierung auf eine sogenannte kulturelle Ausnahme. Frankreich setzte sich mit der Forderung durch, Film, Musik und andere Medien aus den Verhandlungen zunächst auszuklammern.

Luc Jochimsen, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke begrüßte die Entscheidung am Dienstag: »Frankreich hat sich Gott sei Dank nicht bewegt. Dieses Land legt großen Wert auf seine Kultur und seinen Mediensektor und weiß um die Wichtigkeit der kulturellen Identität einer Gesellschaft, eines Staates und somit auch Europas.«

Ebenfalls erfreut, aber deutlich vorsichtiger, hatte sich bereits am Montag der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, geäußert: »Der Kompromiß, daß der Kultur- und Mediensektor nur nach Zustimmung durch die EU-Mitgliedstaaten bei den laufenden Verhandlungen doch noch einbezogen werden kann, ist ein Etappensieg für die europäische Kultur. Deutlich wurde beim Ringen um das Verhandlungsmandat aber auch, wie groß das Interesse der USA an einem Marktzugang zum europäischen Kultur- und Mediensektor ist«, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Sein Verband glaubt nicht, daß der Liberalisierung der europäischen Kultur nach US-amerikanischem Vorbild damit endgültig ein Riegel vorgeschoben wurde. »Wir werden die jetzt beginnenden Verhandlungen des Freihandelsabkommen sehr genau beobachten, damit sichergestellt wird, daß nicht durch die Hintertüre doch noch die kulturelle Vielfalt in Europa ausgehebelt wird«, betonte Zimmermann. Tatsächlich geht es bei der »kulturellen Ausnahme« nicht nur um die Bewahrung nationaler Eigenheiten, sondern noch viel mehr um die Verteidigung der letzten Reste einer demokratischen Kultur gegen die Gesetze des kapitalistischen Marktes und die Begehrlichkeiten der Medienkonzerne.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. Juni 2013


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