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Widerstand vor Ort

Forderungen nach Schuldenschnitt oder Vermögensabgabe sind richtig, aber in der EU nicht durchsetzbar. Druck muß aus den Defizitländern kommen

Von Andreas Wehr *


»Wohin mit dem Euro?« In diesen Wochen debattieren Ökonomen in der "jungen Welt" über die Zukunft der Europäischen Währungsunion. Am 27. Dezember erschien ein Beitrag des Publizisten Andreas Wehr, den wir im Folgenden dokumentieren.

Auch die Linke treibt die Sorge um den Euro um. Zur Bewältigung seiner Krise macht sie unterschiedlichste Vorschläge. Sie reichen von Euro-Bonds über eine Banklizenz für den Rettungsfonds, einen Marshallplan bzw. ein Zukunftsinvestitionsprogramm für den sozialen und ökologischen Umbau, einem europaweiten Schuldenschnitt bis hin zu Lohnerhöhungen in den kerneuropäischen Ländern.

Klassenkampf von oben

Doch welche Forderung ist richtig und vor allem durchsetzbar? Halten wir uns zur Beantwortung dieser Frage an die Aussagen des Klassengegners. In dankenswerter Klarheit hat der Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, die Absichten des Finanzkapitals dargelegt: »Die Lösung der Krise geschieht in den betroffenen Ländern selbst – durch Reformen, die nicht allein auf Ausgabensenkungen und Steuererhöhungen zielen, sondern auch Wachstumseffekte haben: Privatisierungen, effiziente Verwaltungen, funktionsfähige Arbeitsmärkte. (...) Es kommt darauf an, den Käuferstreik der privaten Investoren aufzubrechen und Euro-Anleihen für sie wieder attraktiver zu machen.« (FAZ vom 28.11.12) Das Finanzkapital versucht demnach durch »Käuferstreik«, also mit untragbar hohen Renditeforderungen für Staatsanleihen, bessere Bedingungen für sich herauszuschlagen. Die Ausbeutungsraten in den Defizitländern müssen erst einmal deutlich steigen, bevor es sich wieder zur Kreditvergabe herabläßt. So sollen Verluste wettgemacht werden, die die Finanzindustrie in der Krise erlitten hat. Es geht also um Klassenkampf, und der wird bekanntlich auf der Straße und in den Betrieben ausgefochten. Jeder erfolgreiche Generalstreik, jede verhinderte Privatisierung, jede unmöglich gemachte Zerschlagung einer sozialen Einrichtung in Griechenland, Portugal oder Irland streut Sand in das neoliberale Getriebe und erschwert so die »Lösung der Krise« im Sinne des übrigen Finanzkapitals.

Doch selbst ein erfolgreicher »Käuferstreik« der »privaten Investoren« ist nicht ohne Risiko. Ein massiv unter Druck gesetztes Land könnte ja kurzerhand den Spieß umdrehen und sich für zahlungsunfähig erklären – wie es bereits Argentinien, Uruguay und weitere Länder getan haben. Genau das wollen die Bourgeoisien der Defizitländer wie auch die Kerneuropas unbedingt verhindern, müßten doch dann Banken und Versicherungen enorme Kreditausfälle hinnehmen. Der »Käuferstreik« kann aber nur durchgehalten werden, wenn für die täglichen Zahlungsverpflichtungen wie auch für Zinsen und Tilgungen der alten Bankkredite der »bestreikten« Länder andere einspringen. Und genau diese Aufgabe übernehmen gegenwärtig die übrigen Euro-Staaten, indem sie zunächst ein Rettungspaket für Griechenland schnürten und dann einen Rettungsschirm für die ganze Euro-Zone schufen, der die Zahlungsfähigkeit von Irland und Portugal sichert. Auf diese Weise soll Zeit gewonnen werden, bis diese Länder so zugerichtet sind, wie es sich das Kapital wünscht, um anschließend wieder attraktiv für die Finanzmärkte zu sein. Diesem Zweck dienen die Verpflichtungen, die Griechenland, Irland und Portugal für die gewährten Rettungspakete in Memoranden eingegangen sind. Sie sehen einen kompletten neoliberalen Umbau dieser Gesellschaften in kürzester Zeit vor. Mit dem Euro-Plus-Pakt, der europäischen Wirtschaftsregierung und der Fiskalunion sollen diese Maßnahmen nun auf alle Euro-Länder und sogar auf die gesamte EU dauerhaft ausgeweitet werden.

Welche Antworten kann die Linke darauf geben? So richtig Forderungen nach einem radikalen Schuldenschnitt in der gesamten Eurozone, nach einer EU-weiten Vermögensabgabe oder gar nach einer Vergesellschaftung der Banken sind, so schwierig sind sie angesichts der gegebenen Machtverhältnisse in der EU durchsetzbar.

Brüsseler Diktat abwehren

Aussichtsreicher ist hingegen der Widerstand in den unter Druck des Finanzkapitals stehenden Defizitländern. Nur dort vor Ort kann der brutale neoliberale Umbau vereitelt werden. Die Chancen dafür stehen nicht einmal schlecht, denn mit der von Brüssel diktierten Kürzungspolitik bleiben die erhofften Wachstumseffekte überall aus: Für Griechenland, Portugal und Irland wird für 2012 erneut mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung gerechnet. So bleibt am Ende nur die Streichung eines erheblichen Teils der Staatsschulden, was eine herbe Niederlage für das Finanzkapital bedeuten würde. Mit der im Oktober 2011 beschlossenen Gläubigerbeteiligung an der Entschuldung Griechenlands wurde ein erster, wenn auch noch völlig unzureichender Schritt in diese Richtung getan. Umso fataler ist es, daß auf dem EU-Ratsgipfel Anfang November diese Maßnahme als »einmalige Ausnahme« bezeichnet und damit als für Portugal und Irland nicht anwendbar erklärt wurde.

Wichtigste Aufgabe der Linken in Kerneuropa ist es zu verhindern, daß der erpresserische Druck des Finanzkapitals aufrechterhalten werden kann, indem den Banken ihre unsicheren Forderungen in den Defizitländern durch europäische Rettungsschirme oder gar Euro-Bonds garantiert werden. Mit den Rettungsschirmen verbunden sind die von Brüssel diktierten neoliberalen Umbauprogramme. Die Defizitländer haben durch sie die Kontrolle über ihre Budgets verloren. Nur wenn sie diese Programme abwerfen und zugleich ihre Staatsschulden erheblich zusammenstreichen, können sie ihre Finanzsouveränität wiedererlangen und damit ihre Demokratien retten.

* Von Andreas Wehr erschien im Oktober 2011 im PapyRossa Verlag die zweite, erweiterte Auflage seines Buches »Griechenland, die Krise und der Euro«. Mehr unter andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, 27. Dezember 2011



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