Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ziel Marktöffnung

Europäische Politiker skizzierten auf EU-Afrika-Gipfel ihre Strategien für den Kontinent. »Verantwortung« bedeutet Kriegseinsätze

Von Simon Loidl *

In Brüssel ist am gestrigen Donnerstag der vierte EU-Afrika-Gipfel zu Ende gegangen. Das zweitägige Treffen fand unter dem Motto »Investieren in Menschen, Wohlstand und Frieden« statt. Neben hochrangigen Vertretern der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union (AU) nahmen mehr als 80 Staats- und Regierungschefs aus beiden Kontinenten teil. Für Unmut im Vorfeld des Gipfels sorgte die Einflußnahme der Gastgeber auf die Zusammensetzung der afrikanischen Delegation.

So gab es Auseinandersetzungen um die Teilnahme von Vertretern Sudans und Eritreas. Beide Länder waren schließlich in Brüssel vertreten – wenn auch nicht durch ihre Staatschefs. Afrikanische Politiker kritisierten, daß auch Vertreter von Ländern, die nicht Mitglied der AU sind, zu dem Treffen eingeladen wurden. Konkret geht es dabei um Marokko, das wegen der anhaltenden Besetzung der Westsahara kein AU-Mitglied ist, und um Ägypten, dessen AU-Mitgliedschaft seit Juli 2013 aufgrund des Militärputsches suspendiert ist. Überflüssig zu erwähnen, daß die Demokratische Arabische Republik Sahara, anerkannt von der AU, nicht jedoch von EU oder Vereinten Nationen, keine Einladung aus Brüssel erhielt. Zimbabwes Präsident Robert Mugabe wiederum blieb dem Gipfel fern, da die europäischen Behörden seiner Gattin keine Einreisegenehmigung erteilten. Dies hatte auch die politisch gewichtigste Absage zur Folge, nämlich jene von Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Er sei der Ansicht, daß die Zeiten, in denen »uns befohlen wird, wer zu kommen hat und wer nicht kommen darf«, vorbei sein sollten, begründete Zuma seine Entscheidung, nicht am Gipfel teilzunehmen, gegenüber südafrikanischen Medien.

Inhaltlich ging es bei dem Treffen um die künftige Zusammenarbeit zwischen den beiden Kontinenten. Neben den aktuellen Militäreinsätzen der EU in afrikanischen Ländern spielten die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zwischen der EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) eine Rolle. Bei den Abkommen geht es im Wesentlichen um die Errichtung von Freihandelszonen. Damit sollen nach dem Ende des Kolonialismus entstandene Sonderregeln, welche ehemaligen Kolonien kleine Vorteile beim Handel mit europäischen Staaten zugestanden hatten, endgültig beseitigt und die afrikanischen Märkte für europäische Waren geöffnet werden. Für die EU ist die zollfreie Einfuhr in afrikanische Länder – ein zentraler Punkt der EPAs – nicht zuletzt in Hinblick auf die chinesische und US-amerikanische Konkurrenz um den wiederentdeckten afrikanischen Markt von Bedeutung. Gerade das starke Engagement Chinas in vielen Staaten Afrikas ermöglicht es diesen aber, gegenüber Europa weit selbstbewußter aufzutreten als in der Vergangenheit.

In dieser Situation versucht die EU, Geschlossenheit zu signalisieren. Frankreich und die BRD präsentierten sich erneut als vereint auftretendes europäisches Führungsduo. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz während des Gipfels bekräftigten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande ihre Zusammenarbeit in Afrika. Merkel hob insbesondere das militärische Engagement Frankreichs in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik hervor. Berlin unterstütze Paris dabei und würde dies künftig verstärkt tun, so Merkel. Neben der »klassischen Entwicklungspolitik« gelte es für Deutschland, »aus der historischen Entwicklung heraus« in Afrika ebenfalls »stärker Verantwortung zu zeigen«, kündigte Merkel weitere Beteiligungen an Kriegseinsätzen an.

Daß bei der Afrika-Strategie der EU militärische und ökonomische Aspekte verzahnt sind, unterstrichen auch »Verteidigungsministerin« Ursula von der Leyen und ihr französischer Kollege Jean-Yves Le Drian in einem am Mittwoch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Artikel. In dem Beitrag brachten die beiden die Interessen der EU auf den Punkt: »Es geht um die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern, strategische Handelsinteressen und auch um die Sicherheit europäischer Staatsbürger in Afrika.« Von der Leyen und Le ­Drian lassen keinen Zweifel daran, daß die Öffnung der afrikanischen Märkte auch weiterhin unter Zuhilfenahme militärischer Mittel erfolgen wird: »Militärische Mittel ersetzen gewiß keine politischen Lösungen. Aber sie können zur Stabilisierung und zum Schutz der Bevölkerungen beitragen und damit entscheidende Voraussetzungen für einen Wiederaufbau schaffen«, so die beiden Politiker in der FAZ.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. April 2014


Aktionsplan gegen »illegale« Einwanderer

Zweitägiger EU-Afrika-Gipfel in Brüssel endet mit Absichtserklärungen und einem Fünfpunktekatalog zur Migration

Von Christa Schaffmann, Brüssel **


Europäische und afrikanische Staaten wollen gegen die illegale Einwanderung vorgehen, zugleich aber neue Möglichkeiten für Arbeitsmigration eröffnen.

Der vierte EU-Afrika-Gipfel ist Geschichte. Wollte man Noten vergeben, so erhielten die rund 90 Delegationen aus Afrika und Europa in Rhetorik und in Verschlüsselung von Botschaften jedenfalls eine Eins, mit der Substanz haperte es. Es wurde viel von gemeinsamer Zukunft, von Problemen für beide Kontinente, die man nur gemeinsam lösen könnte und von Chancen für beide Seiten gesprochen.

Konkret vereinbarten beide Seiten am Donnerstag in Brüssel, zusammen dafür zu sorgen, dass weniger Menschen ihre afrikanische Heimat Richtung Europa verlassen. Die »legale Migration« solle hingegen »besser« organisiert werden, heißt es in einer auf dem EU-Afrika-Gipfel verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Auch solle die »Mobilität« von Arbeitskräften innerhalb und zwischen den beiden Kontinenten verstärkt werden. Zudem müsse der Schutz von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Vertriebenen gestärkt werden.

Afrikanische Politiker hatten vorab ihren Wunsch nach langfristigen Krediten zum Ausdruck gebracht, um über längere Phasen solide planen zu können, hatten die EU-Agrarpolitik kritisiert und auf Zugeständnisse der Europäer gehofft, die jedoch ihre Agrarlobby nicht verärgern wollen. Stattdessen gerieten Afrikas Grenzen, Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen sowie der Militäreinsatz der EU in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) in den Mittelpunkt. Gleich zwei Mal wurden die rund 800 akkreditierten Journalisten zu Briefings dieses Thema betreffend eingeladen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande priesen die starke Verbindung beider Länder und die Parallelität der Ansätze in ihrer Entwicklungspolitik. Im europäischen Rat, so Merkel, sei man sich einig, dass das bisherige Engagement Einzelner in Afrika ein gemeinsames werden solle. »Für Deutschland beginnt damit eine neue Wegstrecke, wie sie in Mali bereits erkennbar war und jetzt in der ZAR durch strategische Lufttransporte fortgesetzt wird.« Deutsche Bodentruppen werden dagegen nicht entsendet.

Der französische General Philippe Ponties, der die EU-Operation leitet, dankte allen beteiligten Ländern, darunter Georgien, Estland, Lettland und Polen, für ihre Bereitschaft, Soldaten zu stellen. Im Mai soll eine Truppenstärke von 800 Mann erreicht sein, die für den Anfang erforderlich sei. Er rechne mit einem Einsatz von sechs Monaten, Umfang der Truppe und Dauer des Einsatzes würden aber von der konkreten Entwicklung der Lage im Lande abhängen. Zunächst gelte es vor allem, den Flughafen und die flüchtenden Menschen zu schützen und humanitäre Hilfe überhaupt möglich und sicher zu machen. Ob Frankreich seine 1600 Mann starken Truppen reduzieren werde, konnte oder wollte er nicht sagen.

Zum Thema Flüchtlinge und Migration wurde ein Fünfpunkteplan verabschiedet. Danach sollen Menschenhandel effektiver bekämpft, illegale Einwanderung in Kooperation verringert, Tragödien wie vor Lampedusa vermieden und legale Migration besser gemanagt werden. Dies wurde vor allem als Teil eines Sicherheitsproblems behandelt. Folgerichtig wurde den afrikanischen Staaten eine Verdoppelung der finanziellen Mittel – verglichen mit den zurückliegenden drei Jahren – für den Aufbau einer eigenen Sicherheitsarchitektur zugesagt und zusätzlich auf die Missionen in Mali, Kongo, Somalia und jetzt ZAR verwiesen, die alle letztlich auch mit dem Flüchtlingsthema zusammenhingen. Ob das Geld auch für Waffenkäufe im Interesse einer besseren Ausstattung afrikanischer Streitkräfte verwendet werden darf, wurde nicht erwähnt. Dabei hatte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon in seiner Eröffnungsrede noch appelliert, die Menschenrechte aller Migranten, unabhängig von Status und Umständen, zu achten.

Die Bilanz des Kameruner Journalisten Birthe Demaison: Wohlklingende Worte über partnerschaftliche Beziehungen, dabei sind die Interessen sehr unterschiedlich. Europa sitze immer am längeren Hebel. Unter Druck habe sein Land das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen EPA unterzeichnet, von dem er sich wenig Vorteile für Kamerun und viele für die europäischen Staaten verspreche. In Wahrheit gelte eben nicht, dass Afrikaner Lösungen für afrikanische Probleme finden sollen, sondern Europa präsentiert seine Lösungen und findet Wege, sie durchzusetzen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. April 2014


Die Stimmen der Eingeschlossenen

Afrikanische Migranten informieren im Internet über den Alltag von Flüchtlingen zwischen Wüste und Meer in Nordafrika

Von Andrea Ploeger und Katja Herzberg ***


Auf das elende Leben von Flüchtlingen an den Grenzen spanischer Exklaven in Marokko wollen zwei junge Männer mit der Internetseite »Voix des Migrants« (Stimme der Migranten) aufmerksam machen.

Seit Trésor und Geraud in Deutschland sind, erreichen sie täglich Hilferufe aus Marokko. So wie zuletzt von den Überlebenden des Angriffs auf Migranten an den Grenzen der spanischen Exklaven Melilla und Ceuta am 6. Februar. Durch Gummigeschosse und Ertrinken verloren mindestens 15 Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu flüchten, das Leben. Eben jenen wollen Trésor und Geraud eine Stimme geben. Daher haben sie in Facebook die Seite »Voix des Migrants« eingerichtet. Dort berichten sie über die Menschen, die »zwischen Wüste und Meer« eingeschlossen sind.

2011 trafen sich erstmals afrikanische Bewegungen und Organisationen für globale Bewegungsfreiheit aus Afrika und Europa anlässlich einer Karawane zum Weltsozialforum in Dakar. Trésor und Geraud waren damals bei der ARACEM (Assoziation der Abgeschobenen aus Zentralafrika in Mali) aktiv. Jetzt leben sie in Deutschland. Auf ihrem Weg haben sie in acht beziehungsweise fünf Jahren 25 Grenzen überquert. Viele ihrer Wegbegleiter haben unterwegs Leben oder Gesundheit verloren. Sie mussten Freunde und deren Kinder beerdigen.

Über ein Jahr lang waren sie in Marokko gestrandet. Dort müssen sich Migranten im Wald an den Grenzzäunen verstecken und können jederzeit Opfer rassistischer Überfälle werden, ohne die Verbrechen anzeigen zu können. Geraud, der aus Kamerun stammt, wirft marokkanischen und spanischen Behörden vor, die Rechte von Menschen des subsaharischen Afrikas zu missachten. Die Schüsse auf Flüchtlinge seien ein Beispiel für die Menschenrechtsverletzungen gegen Afrikaner. »Für sie gelten nicht dieselben Rechte, sie haben keine Bewegungsfreiheit«, sagt Geraud.

Um auf die Situation der zentralafrikanischen Migranten in Marokko an den Grenzen zu Spaniens Exklaven aufmerksam zu machen, traten Geraud und Trésor auf Veranstaltungen in deutschen Großstädten auf. Zudem organisierten sie Kundgebungen vor der spanischen Botschaft in Berlin und beim Sitz von European Security Fencing, der Firma, die mit Klingen versehene Zäune herstellt, an denen sich Migranten schwere Verletzungen zufügen.

»Immer wieder gibt es Attacken mit vielen Opfern wie Anfang Februar. Einige Schwerverletzte befinden sich noch immer in kritischem Zustand«, berichtet Trésor, der in ständigem Kontakt mit Flüchtlingen in Nordafrika steht. Die Behörden gehen auch gegen die Behausungen der Flüchtlinge in Marokko vor. »Und es gibt natürlich das Problem des Hungers. Die Leute sind gezwungen, von Abfällen zu leben«, weiß Trésor. Die Welt der Migranten an den Grenzzäunen von Ceuta und Melilla sei eine »verlorene«. »Migranten leben dort wie Rechtlose. Die Welt hat keine Ahnung, was für ein Drama sich dort abspielt«, ergänzt Geraud.

Das soll sich ändern. Die Betroffenen wollen ihre Situation bekannt machen, aber ihnen fehlen die Mittel. Daher suchen Gerard und Trésor nach Spenden in Form von Mobiltelefonen, Kameras oder Laptops, die sie nach Nordafrika schicken.

Damit sich die Flüchtlinge auch gegenseitig unterstützen können, informieren die beiden in Asylunterkünften in Deutschland. Thema ist unter anderem der für Mai geplante »Marsch der Migrant_innen« nach Brüssel, mit dem die Stimmen Geflüchteter – jener, die noch auf dem Weg sind, sowie derer, die bei der Flucht ihr Leben verloren haben – ins Europäische Parlament gebracht werden sollen.

www.facebook.com/voix.desmigrants

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. April 2014


Partnerschaft ohne Augenhöhe

Martin Ling über die Erklärung des vierten EU-Afrika-Gipfels ****

Kein EU-Afrika-Gipfel, ohne dass sie beschworen wird: die Partnerschaft. Sie sei unverzichtbar, sagte der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach Abschluss der Gespräche in Brüssel. Ob bei Sicherheitsfragen, Handel und Investitionen oder bei der Migration: Zusammenarbeit ist angesagt und wurde per Aktions- und Fünf-Punkte-Plan versprochen.

In der Tat: Es gibt Probleme wie den islamistischen Terror, der sich in Teilen Afrikas immer breiter macht und auch Europa Sorgen bereitet. Und in der Tat, Barroso hat nicht Unrecht mit seiner Aussage: »Wenn die Wirtschaft in Afrika wächst, ist das eine Chance für Afrika, aber auch für Europa.« Doch bei allem Betonen gemeinsamer Interessen ist nicht zu übersehen, dass es der EU nicht darum geht, Afrikas Interessen auf Augenhöhe zu berücksichtigen. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als beim Handel: 150 Millionen Euro plant die EU allein 2014 wieder ein, um Agrarexporte nach Afrika zu subventionieren. Ein lohnendes Geschäft, denn für die damit dort verkauften Hähnchenschenkel, das Milchpulver oder das Tomatenmark gibt es in der EU ohnehin keine kaufkräftige Nachfrage. Was für die europäischen Bauern sinnvolle Resteverwertung ist, entzieht afrikanischen Kleinbauern häufig die Existenz. Echte Partnerschaft erfordert fairen Handel. Zwischen EU und Afrika ist der nicht in Sicht.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. April 2014 (Kommentar)


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