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Rückfall ins 19. Jahrhundert

Deutscher Kulturrat beteiligt sich am Widerstand gegen Freihandelsabkommen TTIP. 46.000 Unterschriften an SPD-Spitzenkandidaten zur Europawahl übergeben

Von Jana Frielinghaus *

Wie da seit einem Jahr in Brüssel und Washington in Hinterzimmern ein Vertrag mit tiefgreifenden Folgen für Millionen ausgekungelt wird, das sät Zweifel – gerade bei Menschen mit Glauben an »unsere Demokratie«. »Da wird verhandelt wie im 19. Jahrhundert«, konstatiert Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, das schon 2015 in Kraft treten soll, wird vom zuständigen EU-Kommissar Karel de Gucht immer wieder als Job- und Wohlstandsmotor angepriesen, substantielle Bedenken redet er klein – und verspricht für die Zukunft mehr »Transparenz«. Zimmermann findet, wenn die Vereinbarung »in unser aller Interesse« sei, dann hätte man sie auch von Anfang an öffentlich diskutieren können. Die bisherige Vorgehensweise sei »vollkommen inakzeptabel«, sagte der Chef des Kulturrats am Dienstag in Berlin.

Gemeinsam mit Jutta Sundermann vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC informierte er darüber, daß ab sofort namhafte Künstler den Protest gegen TTIP tatkräftig unterstützen. Sie werden im Rahmen der am heutigen Freitag beginnenden Tournee »Kul.Tour stoppt TTIP – raus aus der Freihandelsfalle!« in 16 deutschen Städten auftreten – mit Kabarett, Theater, Lesungen, Liedern, Rock- und Folkkonzerten. Parallel werden ATTAC-Aktivisten über die mit TTIP verfolgten Pläne informieren und diskutieren. »Liberalisierung ist kein Wundermittel. Das hat uns auf den Finanzmärkten gerade an den Abgrund geführt«, begründete der Kabarettist Arnulf Rating seine Teilnahme an der Tour. Bei dem Abkommen gehe es »um fast 50 Prozent des Welthandels«, da müßten alle mitreden dürfen.

ATTAC-Sprecherin Sundermann umriß die Ziele, die mit dem TTIP nach Erkenntnissen des Netzwerks verfolgt werden. Es sei ein »Angriff auf soziale, ökologische und rechtliche Standards dies- und jenseits des Atlantiks – und auf die kulturelle Vielfalt«. Zudem würde das mitverhandelte Klagerecht für Konzerne gegen Staaten »das Recht auf fatale Weise privatisieren« (siehe jW vom 25.3.). Befürchtet werden u.a. eine Erweiterung des Marktes für genmanipulierte Lebensmittel, die Ausweitung der Risikotechnologie Fracking bei der Erdgasgewinnung, mehr Lohndumping und Aushöhlung der Rechte von Beschäftigten.

Künstler aller Sparten fürchten, mit dem TTIP könnten Schutzmechanismen ausgehebelt werden, die in der Europäischen Union für einen Erhalt kultureller Vielfalt sorgen sollen – wie z.B. die Buchpreisbindung und das Urheberrecht, aber auch die Art der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens und die staatliche Kulturförderung. Weil Kunst eben nicht genauso Ware sei »wie etwa eine Schraube«, sagte Arnulf Rating, müsse dieser Bereich von vornherein von den Verhandlungen ausgenommen werden. Olaf Zimmermann, in dessen Organisation 236 Kulturverbände zusammenarbeiten, betonte jedoch, der Kulturrat wolle dafür kämpfen, daß die Verhandlungen zum TTIP insgesamt abgebrochen werden. Es könne nicht sein, daß die Branche ihre »Schäfchen ins trockene bringt« und sich für den »Rest« nicht mehr interessiere.

Rating wies darauf hin, daß das TTIP von den meisten Parteien im Europawahlkampf gar nicht thematisiert werde. Unterdessen haben Vertreter des Kampagnennetzwerks Campact dem Spitzenkandidaten der sozialdemokratischen Parteien der EU zur Europawahl, Martin Schulz, am Montag eine Petition mit 460000 Unterschriften gegen TTIP übergeben. An dem Online-Appell hatten sich so viele Menschen beteiligt wie an keinem anderen von Campact initiierten. Die Unterzeichner fordern von dem SPD-Politiker, die Verhandlungen abzubrechen. In einer Campact-Pressemitteilung heißt es, der amtierende EP-Präsident habe sich bei der Übergabe der Petition für einen »Neustart« der TTIP-Verhandlungen ausgesprochen. Gefordert wird aber – sowohl von Campact als auch von ­ATTAC und den zahlreichen im deutschen Bündnis gegen das Abkommen zusammengeschlossenen Verbänden – ein »klares Nein« zum Vertrag an sich.

* Aus: junge Welt, Freitag, 2. Mai 2014

Freihandelsabkommen TTIP ablehnen!



Am 2. Mai beginnt die von Attac organisierte Tournee Kul.tour in Fulda. In den folgenden zwei Wochen werden wir jeden Tag in einer anderen Stadt auf die Freihandelsfalle TTIP aufmerksam machen – mit Konzerten, Kabarett, Theater und Lesungen. Dafür konnten wir Konstantin Wecker, Sabine Leidig, Arnulf Rating, Urban Priol, Hans-Günter Butzko, Rainer von Vielen und andere Künstler_innen gewinnen. Bitte schauen Sie vorbei und laden Sie Freund_innen und Bekannte ein!

Demokratie vor Lobbyinteressen: Attac macht Druck gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Unser Kurzfilm zur Kampagne fasst in vier Minuten wichtige Kritikpunkte zusammen.

Schon mehr als 45.000 Menschen unterstützen unseren Appell. Jetzt mitmachen und online unterschreiben: TTIP und CETA stoppen! [externer Link]

Die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und mit Kanada müssen dringend gestoppt werden! Das fordert ein breites Bündnis aus mehr als 50 Organisationen und organisiert politischen Druck.

Weitgehend abgeschirmt von der kritischen Öffentlichkeit verhandeln EU-Kommission und US-Regierung derzeit die Transatlantische Han­dels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Auch die Parlamente der betroffenen Länder werden nicht ausreichend informiert – sie sollen erst nach Vertragsabschluss mit "ja" oder "nein" abstimmen.

Gegenstand der geplanten Vereinbarung ist keine Kleinigkeit: Es geht um die Etablierung der größten Freihandelszone auf der Erde. Bereits jetzt erwirtschaften EU und USA zusammen fast die Hälfte des globalen Brutto­inlandprodukts – TTIP soll ihre dominante Position in der Konkurrenz zu den sogenannten Schwellenländern absichern.

Auch die Menschen in Europa und Amerika haben einschneidende Verschlechterungen ihrer Lebensqualität zu befürchten – nicht nur wegen Gen­food, Hormonfleisch und Chlorhühnchen. Es ist zu erwarten, dass demokra­tische Rechte, soziale Standards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level "harmonisiert" werden sollen.

TTIP wird außerdem die Macht der Konzerne stärken und die Gestaltungsmöglichkei­ten der Gesellschaft massiv einschränken.

Das Attac-Netzwerk lehnt die neoliberale Ausrichtung der Verhandlungen ab und setzt sich im Bündnis mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen dafür ein, das Abkommen zu verhindern.

Quelle: Website von attac; http://www.attac.de/




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