Wahrheitssuche im Geheimdienstsumpf
NSU-Prozess: Nebenklage will Gegenüberstellung von Quellenführer und mutmaßlichem V-Mann
Von Claudia Wangerin *
Am ersten Verhandlungstag nach der Pfingstpause haben Nebenklagevertreter im Münchner NSU-Prozess eine Gegenüberstellung von zwei Zeugen aus dem Geheimdienstmilieu beantragt. Ein Thüringer Neonazi hatte in dem mittlerweile zweijährigen Prozess um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« geleugnet, je V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) gewesen zu sein. Nach Aktenlage war er aber genau das – und gleichzeitig Sektionschef des mittlerweile verbotenen Netzwerks »Blood & Honour«. Letzteres leugnet er nicht. »Die Frage, ob der Marcel Degner, der in der Hauptverhandlung gehört worden ist, auch der Marcel Degner ist, der vom TLfV als V-Mann geführt worden ist, ist abschließend zu klären«, heißt es in dem Beweisantrag, den Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann am Dienstag verlas. Degner soll demnach vor Gericht mit dem ehemaligen Quellenführer des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Jürgen Zweigert, konfrontiert werden.
Als »Blood & Honour«-Funktionär hatte sich Degner in der Unterstützerszene des 2011 als NSU bekanntgewordenen Trios bewegt, das 1998 in Jena untergetaucht war: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die damals wegen unerlaubten Sprengstoffbesitzes gesucht wurden und im Jahr 2000 zum ersten Mal getötet haben sollen. Im November 1999 soll sich Degner alias »Quelle 2100« ausgerechnet mit dem späteren V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes, Thomas Starke, über das Trio unterhalten haben.
Laut einem Untersuchungsbericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer berichtete die »Quelle 2100« zeitnah dem Verfassungsschutz über die Begegnung mit Starke auf einem Neonazikonzert und die finanzielle Lage der drei Gesuchten. Starke soll Degner damals auf dessen Nachfrage mitgeteilt haben, das Trio brauche kein Geld, es würde jetzt »jobben«. Nach heutigen Erkenntnissen hatten Mundlos und Böhnhardt da bereits Banken überfallen.
Degner aber bestritt im März vor Gericht sowohl eine V-Mann-Tätigkeit als auch eine persönliche Bekanntschaft mit Mundlos, Böhnhardt oder der heutigen Hauptangeklagten Zschäpe. Das kauft ihm weder die Bundesanwaltschaft ab, noch engagierte Vertreter der Nebenklage, die sonst nicht immer einer Meinung mit den Anklägern sind. Zweigert soll nun bei einer Gegenüberstellung Licht ins Dunkel bringen.
In dem Beweisantrag, den mehrere Opferanwälte unterzeichneten, kamen auch die zum Teil widersprüchlichen Angaben eines weiteren Ex-V-Mann-Führers zur Sprache: Norbert Wießner hatte nach Aktenlage sowohl »Quelle 2100« als auch Tino Brandt alias V-Mann »Otto« und die damals noch minderjährige V-Frau »Jule« alias Juliane W. betreut. Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München wurde der Geheimdienstrentner wie Degner bereits zweimal als Zeuge gehört. Im April bekräftigte er vor Gericht, Degner sei von 1997 bis 2000 V-Mann gewesen – motiviert durch »geldliche Zuwendungen«.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Juni 2015
Zurück zur Geheimdienst-Seite (Beiträge ab 2014)
Zur Geheimdienst-Seite (Beiträge vor 2014)
Zurück zur Homepage