Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

BND liefert NSA monatlich 1,3 Milliarden Metadaten

WikiLeaks veröffentlicht Protokolle des NSA-Ausschus / LINKE fordert Regierungserklärung von Merkel: Kanzlerin ist Bundestag rechenschaftspflichtig, nicht dem US-Präsidenten / Menschenrechtskommissar des Europarates: Geheimdienstkontrolle ist unzureichend *


Update 12.25 Uhr: Öffentlich und dennoch irgendwie geheim. Die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat am Freitag Protokolle aus dem NSA-BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags veröffentlicht. Die 1380 Seiten transkribierter Sitzungsgespräche umfassen alle Sitzung des Ausschusses zwischen dem Mai 2014 und Februar 2015. Allerdings: Bei den veröffentlichten Dokumenten handelt es sich lediglich um Unterlagen, die nicht als geheim eingestuft worden sind, also aus dem öffentlichten Teil der Sitzungen stammen.

WikiLeaks begründet die Veröffentlichung damit, dass die Protokolle bisher zurück gehalten würden, Aufnahmegeräte untersagt sind und »Reporter in aufdringlicher Weise durch die Polizei beobachtet werden«, wie der Fall des Netzpolitik-Bloggers Andre Meister zeigen soll. Obwohl Journalisten wiederholt von den Sitzungen berichteten, seien die vollständigen Informationen somit nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglich. In der Tat lässt die bisherige Veröffentlichungspraxis des Bundestags zu wünschen übrig. Auf der Website finden sich bisher lediglich die Protokolle zu drei Sachverständigenanhörungen im Mai und Juni 2014.

»Als Leidtragende hat die Öffentlichkeit das Recht, die Arbeit des Untersuchungsausschusses einzusehen«, begründete WikiLeaks-Gründer Julian Assange die Veröffentlichung.

Update 9.30 Uhr: Der Bundesnachrichtendienst (BND) gibt offenbar deutlich mehr Daten an den amerikanischen Geheimdienst NSA weiter, als bisher bekannt. Wie die Zeit unter Berufung auf vertrauliche BND-Akten berichtet, soll der deutsche Geheimdienst »bis zu 1,3 Milliarden pro Monat« an die US-Amerikaner ungefiltert weitergeben. Bei diesen Rohdaten handelt es sich um Informationen über Kommunikationsvorgänge, so genannte Metadaten, die beispielsweise etwas darüber aussagen, wann und wie lange jemand auf welchen Websiten im Internet unterwegs war.

Das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen BND und NSA wäre damit noch deutlich größer als es Edward Snowden mit seinen Enthüllungen berichtete. Der US-Whistleblower hatte mit Bezug auf vertrauliche NSA-Dokumente von 500 Millionen Metadaten berichtet.

Berlin. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums und Linkenpolitker André Hahn hat Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, den Bundestag umfassend über das No-Spy-Abkommen und die BND-Affäre zu unterrichten. »Sie ist dem Bundestag rechenschaftspflichtig, nicht dem amerikanischen Präsidenten«, sagte Hahn der »Saarbrücker Zeitung«. Merkel müsse sich selbst positionieren, »und nicht nur über ihren Sprecher«, kritisierte der Linkspolitiker. »Ich erwarte, dass die Kanzlerin endlich eine Regierungserklärung abgibt.« Außerdem müsse sie alles unternehmen, »damit die Amerikaner aufhören, auf deutschem Boden zu spionieren«.

Zugleich kritisierte Hahn die SPD und ihr Verhalten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. »Parteichef Gabriel fordert volle Aufklärung, aber wenn's konkret wird, dann kneifen die Genossen«, sagte der Linke. So lehnten die Sozialdemokraten Sondersitzungen des Gremiums ab und blockierten eine Vernehmung des ehemaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla (CDU) - »auch zur Frage No-Spy-Abkommen«.

Medien hatten am Wochenende unter Berufung auf interne E-Mails vom Juli 2013 berichtet, dass es von Seiten der US-Regierung nie eine konkrete Zusage zu einem von Deutschland gewünschten No-Spy-Abkommen gegeben habe. Trotzdem habe der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am 12. August 2013 vor der Presse verkündet: »Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten.« SPD und Opposition warfen der Regierung daraufhin vor, die Öffentlichkeit wegen der damals bevorstehenden Bundestagswahl getäuscht zu haben.

Merkel wies dies am Montag zurück und verteidigte ihre Mitarbeiter. Jeder habe »nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet«, sagte sie. Das gelte sowohl für den heutigen Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) als auch für seinen Vorgänger Pofalla. Zu Details wollte sie sich in den zuständigen Ausschüssen des Bundestags äußern.

SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte, der ehemalige Kanzleramtschef Pofalla habe »entweder eigenmächtig oder aber im Auftrag der Kanzlerin die Unwahrheit gesagt«, so Schäfer-Gümbel. Pofalla hatte kurz vor der Bundestagswahl gesagt, dass die USA bereit seien, ein so genanntes No-Spy-Abkommen abzuschließen. Medienberichte legen jedoch den Schluss nah, dass es diese Bereitschaft nie gegeben hat. »Das war eine Täuschung und die Wähler haben einen Anspruch darauf, von der Kanzlerin eine Erklärung dafür zu bekommen«, sagte Schäfer-Gümbel.

Schäfer-Gümbel gab derweil Merkel eine Mitschuld an den immer weiter sinkenden Wahlbeteiligungen. »Die Entpolitisierung von Entscheidungen, so wie das Frau Merkel betreibt, ist Teil des Problems«, sagte Schäfer-Gümbel der StZ. »Es würde helfen, wenn die CDU-Vorsitzende häufiger Positionen bezieht und sie auch hält.« Merkel neige zum »Aussitzen« von Problemen, dieser Führungsstil sei jedoch ein »Auslaufmodell«.

Schäfer-Gümbel warf Merkel außerdem vor, häufig nicht verlässlich zu sein. Er nannte in diesem Zusammenhang ihre widersprüchlichen Entscheidungen beim Atomausstieg, bei der Debatte über eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags und bei der Pkw-Maut. »Die Liste an Beispielen ist lang«, so Schäfer-Gümbel.

Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muiznieks, hält die Kontrolle der Geheimdienste in Deutschland für unzureichend. »Das Kontrollsystem muss gestärkt werden«, sagte Muiznieks der Deutschen Presse-Agentur. Die Geheimdienstkontrolleure des Bundestages hätten nicht genügend Mitarbeiter mit Expertenwissen, um ihrer Rolle wirklich gerecht zu werden.

»In den Niederlanden haben die Kontrolleure jederzeit das Recht, Geheimdienst- Einrichtungen zu besuchen, dort mit Mitarbeitern zu sprechen und alle Akten einzusehen«, erklärte Muiznieks. Dies sei wichtig, damit die Abgeordneten wüssten, ob sie ein vollständiges Bild sehen oder nur das, was ihnen die Dienste zeigen wollen. In anderen EU-Staaten habe die Justiz größere Möglichkeiten als in Deutschland, die Arbeit der Geheimdienste zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuschränken.

Der Menschenrechtskommissar hatte bei einem Besuch in Deutschland in der vergangenen Woche Bundestagsabgeordnete und Beamte des Bundesnachrichtendienstes und des Innenministeriums getroffen. Die Opposition im Bundestag fordert von der Regierung mehr Informationen über die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem US-Geheimdienst NSA.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Mai 2015


Zurück zur Geheimdienst-Seite (Beiträge ab 2014)

Zur Geheimdienst-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage