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Punktsieg für Angela Merkel

Die G8 einigen sich in der Wirtschaftspolitik auf ein "Mach, was du willst!"

Von Martin Ling *

Angela Merkel kann mit dem G-8-Gipfel in Camp David zufrieden sein. Ihr zuvor geäußertes Plädoyer für ein »Wachstum ohne Pump« wurde zwar nicht zur wirtschaftspolitischen Maßgabe erklärt, stieß aber auf weit mehr Verständnis als vorausgesagt.

Barack Obama zeigte sich auf seinem Landsitz Camp David als charmanter Gastgeber: Mit »Du hattest ja doch ein paar Sorgen«, begrüßte der USA-Präsident die deutsche Kanzlerin. Ob er damit auf die Euro-Krise oder die Röttgen-Krise oder gar auf beide zusammen anspielte, blieb offen. Wie so vieles beim G8-Gipfel, der eine konzertierte Strategie zur Bekämpfung der weltwirtschaftlichen Turbulenzen einmal mehr schuldig blieb. In der Abschlusserklärung wird der von Bundeskanzlerin Merkel geforderte Kurs der Haushaltssanierung genauso gewürdigt wie die Möglichkeit, staatliche Programme für mehr Wachstum aufzulegen.

Obamas Devise hieß offenbar, alle Teilnehmer zufriedenstellen zu wollen. Das gelang, indem sich auf kleinste gemeinsame Nenner geeinigt wurde - auf Kosten von substanziellen Richtungsentscheidungen: »Wir haben alle zugestimmt, dass Wachstum und Jobs unsere Priorität sind«, sagte Obama nach dem Ende des Gipfels. »Eine wachsende europäische Wirtschaft ist im besten Interesse aller«, fügte er hinzu. Die wirtschaftspolitische Debatte nehme inzwischen eine Richtung, die Hoffnung mache. Europa habe die Fähigkeiten, seine Probleme zu überwinden.

Von einem Schulterschluss zwischen Obama und dem neuen französischen Präsidenten Francois Hollande in Sachen staatlicher Konjunkturprogramme war in Camp David nichts mehr zu sehen. Vor dem Gipfel hatten beide deutliche Sympathien für eine solche Politik geäußert, Hollande steht diesbezüglich sogar bei seinen Wählern im Wort. Auf dem Gipfel klang dies vor allem bei Obama weit verhaltener. Er betonte nach Angaben aus Teilnehmerkreisen, dass es »keine künstlichen Impulse« für die Konjunktur geben dürfe. Merkel machte deutlich, dass die hoch verschuldeten G8-Länder anders als in der Finanzkrise 2008 gar nicht mehr die Möglichkeit hätten, nun mit klassischen Konjunkturprogrammen auf die Probleme zu reagieren. Merkel betonte: »Wir waren uns vollkommen einig, dass wir beides brauchen: Haushaltsdisziplin und die Sanierung unserer Haushalte und gleichzeitig alle Anstrengungen für Wachstum.« Die G8-Erklärung betont nun einen Dreiklang aus Sparen, Ankurbelung des Wachstums und strukturellen Reformen, kurzum ein »Mach was du willst!«, bei dem jedes Land seinen Politikmix ohne Abstimmung mit den anderen festlegen darf.

Hollande konnte wenigstens einen Achtungserfolg verbuchen: Er erreichte gemeinsam mit Italiens Premier Mario Monti, dass eine Formulierung in das Abschlusskommuniqué aufgenommen wurde, die als moderate Aufweichung der EU-Defizitziele gewertet werden kann. »Wir verpflichten uns zu fiskalischer Verantwortung und unterstützen in diesem Kontext die gründliche und nachhaltige Haushaltskonsolidierung, die die sich entwickelnden Wirtschaftsbedingungen der Länder berücksichtigt und die Zuversicht und wirtschaftliche Erholung untermauert«, heißt es. Unter sich entwickelnden Wirtschaftsbedingungen versteht Monti die Möglichkeit, in die Defizitberechnung seines Landes künftig nicht mehr die Schulden an Privatunternehmen oder Investitionen in Infrastrukturprojekte mitzurechnen. Das stößt bei den von Deutschland angeführten Austeritäts-Hardlinern auf Ablehnung.

Sowohl Merkel als auch Hollande erklärten, dass die eigentlichen Entscheidungen, mit welchen Maßnahmen die EU die Schuldenkrise in der Euro-Zone bekämpfen wollen, Ende Juni auf dem EU-Gipfel in Brüssel fallen. Dieses Treffen wird durch einen Sondergipfel am kommenden Mittwoch in Brüssel vorbereitet.

Griechenland gehört zwar nicht zu den G8-Staaten, doch an der Krise in Hellas kommt kein Gipfel vorbei. »Alle G8-Mitgliedstaaten wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt«, sagte Merkel. Voraussetzung sei, dass das Land seine Verpflichtungen einhalte. »Das ist von allen gleichermaßen hier so geteilt worden.«

Obama verwies zudem ausdrücklich auf die harten Einschnitte, die das griechische Volk im Zuge der Sparpolitik erleide. Wie schon bei der Begrüßung von Merkel präsentierte er sich auch hier als verständnisvoller Gastgeber.

* Aus: neues deutschland, Montag, 21. Mai 2012

Die Absichten von Camp David

Die Staats- und Regierungschefs verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung auf dem Landsitz von US-Präsident Barack Obama in Camp David.

In der Wirtschaftspolitik gestehen sich die führenden Industriestaaten und Russland (G8) zu, selbst die Maßnahmen für mehr Wachstum zu bestimmen. Wachstumsprogramme und Haushaltssanierung stehen gleichberechtigt nebeneinander.

Sollten die Rohölpreise dramatisch steigen, halten sich die G8 die Möglichkeit offen, mit dem Verkauf von staatlichen Reserven gegenzusteuern.

In der gemeinsamen Erklärung zur Außenpolitik wird Iran eindringlich aufgefordert, Aufklärung über sein Atomprogramm zu geben. Iran steht unter Verdacht, an der Atombombe zu bauen.

Die Führung und die Aufständischen in Syrien werden aufgefordert, den Konflikt mit friedlichen Mitteln beizulegen.

Die Partnerschaft mit Afrika hat für die G8 Tradition. In diesem Jahr stand die Ernährungssicherung im Mittelpunkt. Die von den USA initiierte »neue Allianz« mit sechs Staaten aus der Sub-Sahara-Region wurde durch ein Abkommen ins Leben gerufen. Es sollen insbesondere bessere Bedingungen für Hilfe zur Selbsthilfe durch private Investitionen geschaffen werden.

In Camp David wurden auch stärkere internationale Anstrengungen für den Klimaschutz diskutiert. Die G8-Staaten haben sich zu einer sauberen, sicheren und bezahlbaren Energiepolitik verpflichtet, auch wenn der Energiemix in den G8-Staaten sehr unterschiedlich ist. In diesem Zusammenhang diskutierte der Gipfel über die Auswirkungen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auf die Infrastruktur der Staaten sowie das Thema Energieeffizienz. nd




G8 mit Lippenbekenntnissen

Von Martin Ling **

Die G8 blieben sich in Camp David treu: Trotz aller vollmundigen Ankündigungen seit der Pleite von Lehman Brothers 2008, mit einer gemeinsamen Strategie das Primat der Politik über die Wirtschaft und die Finanzmärkte zurückzugewinnen, bleibt es bei Stückwerk. Jedes Land tüftelt an seinen eigenen Konzepten.

So richtig es ist, dass es keine wirtschaftspolitische Blaupause gibt, die den unterschiedlichen Lagen in den Ländern gleichermaßen gerecht wird, so falsch ist es, keine gemeinsame Rahmenpolitik zu verabreden. Deutschland mag mit seiner Agenda 2010 besser durch die Weltwirtschaftskrise kommen als die anderen G8-Staaten. Doch nur zulasten zunehmender prekärer Beschäftigung im Inland und steigender Arbeitslosigkeit im Ausland, wo die deutschen Exporte dank sinkender Lohnstückkosten Arbeitsplätze vernichten. Deutschland sägt damit an dem Ast, auf dem es sitzt. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in der Euro-Krise, wo die Einheitswährung ein Abpuffern von Ungleichgewichten durch Wechselkursanpassung ausschließt. So wird den Schwachen nur Kaputtsparen als »Option« offeriert. Und das G8-Bekenntnis, Griechenland in der Euro-Zone halten zu wollen, verkommt zum Lippenbekenntnis. Denn ohne einen konzertierten Kurswechsel ist das nicht möglich.

** Aus: neues deutschland, Montag, 21. Mai 2012 (Kommentar)


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