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Verdächtigte Ausländer

Union und FDP wollen Visawarndatei, zanken sich jedoch um Details. Justizministerin gehen Pläne zu weit. Aber auch Leutheusser-Schnarrenberger will »Islamisten« fernhalten

Von Ulla Jelpke *

Die CSU hat den koalitionsinternen Streit um die geplante Visawarndatei verschärft. Auf ihrer Klausurtagung in Kreuth bekräftigte sie ihre Forderung nach Einführung der neuen Datensammlung, die angeblich zur »Verhinderung der illegalen Einreise von Terroristen und Verbrechern« dienen soll. Das Projekt ist – wenngleich nur in Detailfragen– innerhalb der Koalition umstritten, weil FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Unionspläne als zu weitgehend ablehnt.

Zu Jahresbeginn wurde ihr deswegen vom Koalitionspartner vorgeworfen, sie streue »Sand ins Getriebe«. Die Ministerin hatte darauf entgegnet: »Wenn rechtsstaatliche Bedenken als Sand im Getriebe wahrgenommen werden, dann ist es meine Aufgabe, den Sand zu streuen.«

Das Projekt hatte schon die große Koalition verfolgt, langfristig soll es nach dem Willen der CSU auf EU-Ebene umgesetzt werden. Die Datensammlung soll Ausländerämtern, Botschaften und Sicherheitsbehörden einen frühzeitigen Zugriff sowohl auf »verdächtige« Ausländer als auch auf diejenigen ermöglichen, die sie einladen. Leutheusser-Schnarrenberger äußerte vor wenigen Tagen, die Datei solle im wesentlichen dazu dienen, »Islamisten« fernzuhalten und das Visumverfahren zu erleichtern, indem die entscheidenden Behörden etwa rasch Informationen darüber erhalten, ob Einladende oder Visaantragsteller schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Dazu gehören insbesondere Daten über aufenthaltsrechtliche Verstöße oder zu Betäubungsmitteldelikten. So sollen Terrorismus, Schleuserkriminalität und Rauschgifthandel besser bekämpft werden. Die Absicht, auch sogenannte Vieleinlader zu speichern, hat die Union mittlerweile fallengelassen. Dennoch strebt sie kein Instrument zur Visa-Vereinfachung an, sondern eine weitere Datensammlung. Die Union wolle »eine umfassende Sicherheitsdatei, in der Informationen aus Visaanträgen automatisch und anlaßlos den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden«, berichtete Leutheusser-Schnarrenberger. Eine Arbeitsgruppe aus Innen-, Justiz- und Außenministerium soll nun eine Einigung erreichen.

Das Projekt selbst ist nicht strittig. Die Justizministerin zeigte sich dieser Tage zuversichtlich, daß eine Verständigung auf Grundlage des Koalitionsvertrages erreicht werde. Darin hatte die FDP der Datei bereits zugestimmt. Die Formulierung ist extrem vage: Personen, »die mit rechtswidrigem Verhalten in Zusammenhang mit dem Visumverfahren« oder »bei sonstigem Auslandsbezug« auffällig geworden sind, sollten »für eine nähere Überprüfung erkennbar gemacht werden«, heißt es. Daten zu Einladern, Verpflichtungsgebern oder Bestätigenden könnten aufgenommen werden, »wenn zu ihnen Warninhalte gespeichert sind«. Fraglich bleibt also nur, bis zu welchem Grad der Datenschutz für Besucher und Einlader eingeschränkt wird.

* Aus: junge Welt, 8. Januar 2011


Unsere Soldaten – unser Feind

Von Otto Köhler **

Ja, Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU) hat völlig recht: Die Einteilung von Flugpassagieren in Risikogruppen darf nicht pauschal abgelehnt werden. »Im Sinne von politischer Korrektheit so was sofort abzutun als Selektion, die in Deutschland sowieso nicht stattfinden dürfte, das halte ich für verkehrt«, bekannte der Innen- und Verfassungssenator dem ZDF. Bei dem Vorschlag gehe es nicht um Ethnien, nicht um Hautfarben: »Es geht darum, daß 80-Jährige erwiesenermaßen seltener als Terroristen auftreten als zum Beispiel Mittzwanziger. Insofern ist es doch ganz natürlich, wenn man sich darüber Gedanken macht, wieviel Intensität man auf welchen Personenkreis verwendet.« Das müsse man »ohne ideologische Scheuklappen« diskutieren, ordnete Heino Vahldieck, der acht Jahre lang Führer des Hamburger Verfassungsschutzes war, an.

Richtig. Und wenn aus dem Personenkreis der Mittzwanziger, aber auch der Jüngeren, Leute im Flughafen auftauchen, die zur schnellen Identifizierung einheitlich gekleidet und– schlimmer noch – sogar bewaffnet sind, dann sind sie ohne langes Überlegen vom Einchecken abzuhalten und festzusetzen. Denn im Regelfall handelt es sich um Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan kämpfen sollen und dies – das darf unterstellt werden – auch in aller Entschiedenheit wollen, ohne Rücksicht darauf, daß sie uns alle hier in der Heimat an Leib und Leben gefährden. Denn ihr Kampf am Hindukusch schickt den Terror in unser Land.

Bevor er versehentlich die Wahrheit über die deutschen Militäreinsätze in aller Welt aussprach und zurücktrat, meinte der damalige Bundespräsident Horst Köhler, das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr, insbesondere zu deren »Einsätzen«, sei von »freundlichem Desinteresse« gekennzeichnet. Das ist vorbei. Nachdem Innenminister Wolfgang Schäuble und sein Nachfolger Thomas de Maizière immer wieder vor Terroranschlägen in Deutschland gewarnt haben, ist das »freundliche« einem »blanken Desinteresse« gewichen, wie zum Weihnachtsfest der ehemalige NATO-Befehlshaber General Egon Ramms im deutschen Nachrichtenmagazin klagte. Erbittert stellte er fest: »Das Militär ist generell unpopulär.« Mehr und mehr setzt sich – trotz zunehmender Wehrpropaganda in ARD und ZDF – die Erkenntnis durch, daß die Bundeswehr eine Gefahr für uns alle ist. Der General a.D. aber verfügte im Spiegel: »Die Soldaten wollen geliebt werden.«

Warum sollten wir sie lieben? Wenn sie am Hindukusch bleiben und nicht endlich den Befehl zu kämpfen (zu töten) verweigern, sind sie eine Gefahr für uns. Sie locken, wie die Innenminister richtig erkannt haben, aber so nicht auszusprechen wagen, den Terror in unser Land. Denn die Zahl der Opfer unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan steigt von Tag zu Tag.

Unsere »Helden« – so Freiherr zu Guttenberg –, sie kämpfen, sie töten in Afghanistan von Anfang an für die Interessen der Großkonzerne und keineswegs für, sondern gegen unsere Sicherheit vor terroristischen Anschlägen. Während das Verteidigungsministerehepaar in Afghanistan seine Kriegsshow abzog, erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland ein Grundsatzartikel des renommierten Militärexperten Lothar Rühl, der das bestätigte, indem er Guttenberg zu unterstützen vorgab: »Der unlängst erhobene Vorwurf, ›der ursprüngliche Verteidigungsauftrag der Bundeswehr‹ werde vom Verteidigungsminister ›umgedeutet‹, um ›Wirtschaftskrieg‹ führen zu dürfen, ist ohne Grundlage.« Der Vorwurf, so Rühl, widerspreche der Logik des EU-Ratsbeschlusses vom 12. Dezember 2003, gefaßt von den Staats- und Regierungschefs unter Mitwirkung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Brüssel, über die »Europäische Sicherheitsstrategie«. Danach sei die EU »als Zusammenschluß von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialprodukts weltweit erwirtschaften«, ein »globaler Akteur«, dem »zudem ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung steht«. Rühl, Staatssekretär a.D. im Bundesverteidigungsministerium: »Dieser Feststellung schließt sich unmittelbar der Hinweis an, daß ›europäische Streitkräfte in so entfernten Ländern wie Afghanistan, Osttimor und in der DRK (Kongo) eingesetzt wurden‹. Die Verbindung von weltwirtschaftlichem Akteur mit legitimen ökonomischen wie politisch-strategischen Interessen und dem Einsatz von europäischen Streitkräften weltweit ist also deutlich dargestellt.« Das ergebe sich aus einem »erweiterten Sicherheitsbegriff«, der »die wirtschaftliche Sicherheit« einschließe. Dieser Sicherheitsbegriff werde »zur Stabilisierung Afghanistans« praktiziert. Gegen Strukturen, die »Investoren abschrecken« und ein »normales« Wirtschaftsleben verhindern.

Kurz: Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan – schon immer – ausdrücklich für die kapitalistische Wirtschaftsordnung, für den »freien Zugang zu Märkten und Ressourcen«. Militärexperte Rühl: »Der Nordatlantikpakt hat in den Jahren 1991, 1999 und wiederum 2010 darauf hingewiesen.«

Und wenn Gasprom die Lieferung von Öl und Gas unterbricht? Dann gilt Blut für Öl – gegen die, so Rühl, »Sperre des freien Zugangs zu Märkten und Ressourcen« oder auch des »freien Flusses von Erdöl und Erdgas«. Das ist »erweiterte Verteidigung«. Das ist Wirtschaftskrieg. In diesem Krieg hat Oberst Georg Klein – bis heute unbestraft – bei Kundus ein Massaker an über 140 Menschen vollbracht. Daß wir in der Heimat für diesen Massenmord nicht mit einem Terroranschlag in Berlin, Hamburg oder München zahlen müssen, können wir nur hoffen. Die deutschen Soldaten am Hindukusch stehen – so berichtete der Spiegel unwidersprochen – wie ein Mann hinter dem Massakeroberst. Sie sind unser Feind.

** Aus: junge Welt, 8. Januar 2011


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