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Brüsseler Mauscheleien

Wikileaks offenbart die destruktive Rolle der EU-Klimaschutzkommissarin

Von Wolfgang Pomrehn *

Neben einigen eher belustigenden, aber wenig erhellenden Spitzen des hiesigen US-Botschafters über das deutsche Regierungspersonal haben die Veröffentlichungen bei Wikileaks auch interessante Details über die US-amerikanische Klimadiplomatie zutagegebracht. Unter den durchgesickerten Dokumenten befinden sich auch einige Gesprächsprotokolle von Treffen des stellvertretenden US-Sonderbotschafters Jonathan Pershing mit der EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Was in den nicht als geheim, aber als sensibel eingestuften Papieren über die Treffen zwischen Pershing und der Dänin berichtet wird, zeigt vor allem, wie wenig beide Seiten an ernsthaftem Fortschritt in den Verhandlungen interessiert sind.

So hat sich Hedegaard offenbar ganz auf die US-Strategie eingelassen, sozusagen die Klimaverhandlungen ganz neu zu erfinden. Die USA wollen, daß das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll nicht verlängert, sondern ein völlig neuer Vertrag erarbeitet wird. Das würde nicht nur eine erhebliche Verzögerung bedeuten, sondern auch, daß zahlreiche Kompromisse und Detailregelungen, die in den letzten 15 Jahren erarbeitet wurden, im Papierkorb landen.

Als Grundlage der Verhandlungen würde Washington gern die dürre und unverbindliche Erklärung von Kopenhagen, den sogenannten Kopenhagen-Akkord nehmen. Die EU, so geht es aus den Gesprächsnotizen hervor, unterstützt dieses Ansinnen zumindest insofern, als daß sie Druck auf Entwicklungsländer ausgeübt hat, damit diese sich Akkord anschließen. Hedegaard wies gegenüber Pershing insbesondere darauf hin, daß die kleinen Inselstaaten, die gewöhnlich als besonders eifrige Mahner für Klimaschutz auftreten, ja einen hohen Finanzbedarf haben und sich insofern als treue Verbündete erweisen könnten. Mit anderen Worten: Brüssel und Washington wollen sich Unterstützung für ihre Verzögerungsstrategie erkaufen.

Außerdem sucht Hedegaard offenbar nach Wegen, die in Kopenhagen gemachten Finanzversprechen weiter aufzuweichen. 100 Milliarden Euro werden nach Einschätzung der Kommission jährlich für einen Fonds gebraucht, aus dem in den Entwicklungsländern Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel sowie die Einführung klimaschonender Technik finanziert werden sollen. Die EU und die USA haben in Kopenhagen zugesagt, daß dieser Topf ab 2020 eingerichtet wird und in den nächsten Jahren bereits 30 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden.

Nun wollen einige EU-Regierungen das Geld, wie Hedegaard Pershing erzählte, nur als Kredite herausrücken. Zugleich fragte sie ihn, ob auch Washington nach »kreativen Wegen der Finanzierung« sucht. Bei den Entwicklungsländern kommt derlei ziemlich schlecht an. Sie sehen in den Geldern eine Wiedergutmachung für angerichtete Schäden. »Eigentlich unvorstellbar: Ich brenne dein Haus ab und gebe dir einen Kredit für den Wiederaufbau«, kommentierte EU-Parlamentarierin Sabine Wils von der Linkspartei die EU-Politik.

Richtig verwunderlich ist das alles allerdings nicht. Hedegaard war im Januar 2010, zum Zeitpunkt der Gespräche, ganz frisch im Amt. Zuvor war sie bis Ende 2009 dänische Umweltministerin und als solche Gastgeberin der großen UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, in die seinerzeit so viele Hoffnungen gesteckt und dann enttäuscht worden waren. Das hatte unter anderem auch damit zu tun, daß Hedegaard sich im Vorfeld nicht wirklich um ein Ergebnis bemüht hatte, das allen gerecht geworden wäre, sondern frühzeitig gemeinsam mit den USA eine Rückzugslinie ausgearbeitet hatte. Quasi zur Belohnung haben die europäischen Regierungen sie gleich im Anschluß zur Klimakommissarin und damit auch zur Chefunterhändlerin für die Gemeinschaft bei den Klimagesprächen gemacht.

Unterdessen haben verschiedene internationale Organisationen anläßlich der gerade in Cancún laufenden diesjährigen Klimakonferenz auf die Dringlichkeit der Lage hingewiesen. Die Internationale Energieagentur, eine Einrichtung der OECD und bis vor wenigen Jahren fest an der Seite der Ölindustrie bei den Verharmlosern, warnt, daß die Treibhausgasemissionen weiter steigen. Das Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken, könne beim derzeitigen Trend nicht erreicht werden. Die Agentur hatte in ihrem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht erstmalig darauf hingewiesen, daß sich die konventionelle Ölförderung nicht weiter steigern läßt. Aus beiden Gründen empfiehlt sie den Staaten dringend, mehr Geld in den Ausbau erneuerbarer Energieträger zu stecken.

Auch vom UN-Umweltschutzprogramm UNEP kommen warnende Hinweise. UNEP-Chef Achim Steiner stellte am Dienstag in Cancún eine Studie über den weltweiten Zustand der Gebirgsgletscher vor. Insbesondere in Asien, Alaska und Südamerika nimmt deren Masse stark ab. Vor allem im Himalaya bedrohen derzeit zahlreiche Gletscherseen die Menschen in den Gebirgstälern. Das Schmelzwasser staut sich vielerorts hinter wenig stabilen Wällen aus Geröll und Eis, die jederzeit brechen können. Wenn in einigen Jahrzehnten die Gletscher ganz verschwunden sein sollten, werden Hunderte von Millionen Menschen an den Flüssen Probleme bekommen, weil diese den zuverlässigsten Teil ihrer Zuläufe verlieren.

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2010


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