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"Auch im Bereich ziviler Krisenprävention ist eine weitere Militarisierung der deutschen wie europäischen Sicherheitspolitik zu befürchten"

Frauensicherheitsrat in der Heinrich-Böll-Stiftung kritisiert den Bericht der Bundesregierung zum Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung"

Ende Mai legte die Bundesregierung einen Bericht zur Umsetzung des Aktionsplans "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" vor. Er umfasst den Zwei-Jahres-Zeitraum vom Mai 2004 bis April 2006. Der 136 Seiten umfassende Bericht ist auf der Website des Auswärtigen Amts herunterzuladen: www.auswaertiges-amt.de.
Der "Frauensicherheitsrat" in der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung verfasste zu diesem Bericht eine ausführliche kritische Stellungnahme, die wir im Folgenden dokumentieren.



Stellungnahme des Frauensicherheitsrats

zum Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’ für den Berichtszeitraum Mai 2004-April 2006

Am 31. Mai 2006 hat das Bundeskabinett den „1. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’“ vorgelegt, der im Jahr 2004 beschlossen worden ist.

Der Bericht umfasst vier Themenkomplexe
  • Handlungsfelder deutscher Präventionspolitik,
  • Voraussetzungen effektiver krisenpräventiver Politik: Stärkung von Strukturen, Fähigkeiten und Ressourcen,
  • Instrumente der Krisenprävention und
  • Perspektiven einer Krisenpräventionspolitik.
Angehängt sind ausgewählte Einzelmaßnahmen und Aktionsfelder aufgeführt.

Der Frauensicherheitsrat hat die Verabschiedung des Aktionsplans 2004 und die Berücksichtigung von Krisenprävention als „Querschnittsaufgabe“ grundsätzlich positiv bewertet. Denn der Frauensicherheitsrat ist froh über die Anwendung aller zivilpräventiven Maßnahmen, die zur Verhinderung von Krisen und gewaltförmigen Konflikten beitragen können bzw. durch die bewaffnete Konflikte und Kriege begrenzt oder – noch besser – beendet werden. Daher steht der Frauensicherheitsrat auch sämtlichen Aktivitäten und Unternehmungen, die die Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsplanes unternommen hat oder die in Planung sind, aufgeschlossen gegenüber.

Allerdings haben wir eine konkrete Berücksichtigung der Vorgaben der UN-Resolution 1325 und die systematische Implementierung der Geschlechterperspektive darin vermisst. Daher sind wir erfreut über die Feststellung der Bundesregierung in ihrem Bericht, dass „die Integration geschlechterspezifischen Perspektiven und Maßnahmen …von zentraler Bedeutung für den Erfolg von Krisenprävention und Konfliktbearbeitung (ist) “, sowie über den Verweis auf die UN-Resolution 1325 und ihre Bedeutung.

Jedoch sind wir überaus enttäuscht von den im Bericht vorgestellten konkreten Maßnahmen und Aktivitäten und besonders von den langfristig angelegten geschlechtersensiblen Strategien zu Konfliktprävention und -bearbeitung.

Als letztem von 12 Punkten in Kapitel B macht die Bundesregierung auf knapp drei Seiten Ausführungen zur „Gleichberechtigung der Geschlechter und Krisenprävention“ (S. 61-64). Hier führt sie detailreich aus, was sie unter „Integration geschlechterspezifischen Perspektiven und Maßnahmen“ in der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung meint: im wesentlichen die zahlenmäßige Erwähnung von Frauen und der UN-Resolution in anderen Dokumenten (wie der Abschlusserklärung zum Milleniumsgipfel von September 2005), die Beförderung von UN-Aktivitäten zur verstärkten Partizipation von Frauen in UN-Einrichtungen und –Missionen sowie die Förderung von Einzelprojekten in Krisen- und Postkonfliktregionen, die geschlechtersensibel ausgerichtet sind.

Diese Vielfalt der Projekte ist aus unserer Sicht zu begrüßen, ebenso wie die Förderung einzelner neuer Pilotprojekte. Jedoch erscheint uns die zeitliche Befristung und die oft mangelhafte Nachhaltigkeit der Projekte bedenklich. Zudem fällt bei der Bilanz zur Implementierung der UN-Resolution 1325 auf, dass die Bundesregierung sich hier mit Aktivitäten der Jahre 2002-2004 – also ihrer Vorgängerregierung - schmückt, für den Berichtszeitraum dieses Aktionsplans (ab 2004) konkrete Maßnahmen in UN-Missionen jedoch jenseits der geschlechtersensiblen Ausbildung von Personal in UN-Missionen kaum vorweisen kann. Auffällig ist auch, dass es keine systematische Darstellung von Konzepten hinsichtlich der Implementierung der UN-Resolution 1325 gibt, so dass der Blick auf ein ganzheitliches Ziel zu fehlen scheint.

Entsprechend bleibt es weitgehend bei Absichtserklärungen, die uns in Bezug auf Resolution 1325 bereits seit ihrer Verabschiedung im Jahr 2000 hinreichend bekannt sind, etwa, dass „die Bundesregierung kontinuierlich bestrebt (ist), neue … Maßnahmen ... zur weiteren Umsetzung der Resolution 1325…(zu erarbeiten)“. (S.63) Auch dies ist selbstverständlich grundsätzlich zu begrüßen, wenn es kein Lippenbekenntnis bleibt, ebenso wie der „Querschnittsansatz“, den die Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325 verfolgen will. Aber: genau dieser Querschnittsansatz, mit dem sie dem erklärten „Leitprinzip des Gendermainstreaming“ folgen möchte, ist faktisch weder im Bericht noch in den ins Visier genommenen Perspektiven zu entdecken.

An einzelnen Stellen, etwa bei der Aufzählung des „zivilen Expertenpersonals“ in UN-Missionen (30 %) oder in OSZE-Missionen (40 %) werden explizit Frauen und ihre Partizipation erwähnt, jedoch bedeutet dies leider nicht unbedingt die Implementierung der Geschlechterperspektive, und auch hier wird nicht weiter aufgeschlüsselt: Wie sieht es an der Spitze, in der Leitung, aus?

Ausserhalb von Kapitels B.12 fehlt die Geschlechterperspektive komplett bzw. erscheint der Bericht „genderblind“, obwohl bekannt ist, welch wichtige Rolle die Geschlechterdimension in vielen Bereichen vor, während und nach Konflikten spielt. Beispiele:
  • bei Benennung von Risiken für Konflikte (S. 11).
  • Bei der Darstellung von Handlungsfeldern(S. 14/15)
  • Bei der Frage der Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen (S.26)
  • Bei der Vorstellung von DDR –Maßnahmen (S.27ff.)
  • Beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen (S. 31ff)
Zusätzlich lässt der Bericht eine geschlechtersensible Sprache weitgehend vermissen.

Interessant ist, dass für den Bereich der Wirtschaftsförderung vom Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ eine Arbeitsgruppe „zur Rolle der Privatwirtschaft in Ziviler Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (S.42) eingerichtet wurde. Warum geschah dies nicht auch für die Umsetzung von Resolution 1325? Eine solche Arbeitsgruppe für die Frage der Implementierung der Geschlechterperspektive und der wirkungsvollen Umsetzung der Resolution wäre dringend anzuraten, zumal der Beirat des Ressortkreises, der zivilgesellschaftliche Gruppen einbindet, ebenfalls weitgehend Geschlechterexpertise vermissen lässt.

In diesem Zusammenhang verweisen wir als Frauensicherheitsrat auf die vielfältigen Aktivitäten und die in unserem Netzwerk versammelte Expertise in diesem Bereich, den wir gern in einem solchen Gremium einbringen würden. Anders als im vorliegenden Bericht dargestellt, hat das Auswärtige Amt beim Forum-Kompakt zu „Frieden braucht Frauen – Sicherheitspolitik braucht die Geschlechterperspektive“ bereits die Expertise des Frauensicherheitsrat genutzt und mit uns diese Veranstaltung gemeinsam durchgeführt.

Umso mehr bedauern wir, dass die gegenwärtige Regierung diese Möglichkeit des Dialogs mit uns bisher nicht nutzt und einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung von 1325, wie UN-Generalsekretär Kofi Anan von den UN-Mitgliedsstaaten fordert, sogar ablehnt. Damit ist zu befürchten, dass Deutschland sich im EU-Kontext langfristig isoliert, da andere EU-Staaten, die im Bereich der Implementierung der UN-Resolution 1325 führend sind, bereits einen Aktionsplan aufgelegt haben, wie England und Schweden, Norwegen und Dänemark.

Äußerst kritisch sehen wir, dass die gegenwärtige Bundesregierung das im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ entwickelte Konzept ziviler Prävention um die militärische Intervention erweitert und zu Präventionsmaßnahmen umdeutet.

Wir halten dies für einen Hinweis darauf, dass die in der europäischen Sicherheitsstrategie formulierte Priorität militärischer Maßnahmen auch im Bereich ziviler Krisenprävention eine Option wird, die eine weitere Militarisierung der deutschen wie europäischen Sicherheitspolitik befürchten lässt.

Diese Befürchtung wird auch gestützt durch den vorliegenden Entwurf eines geplanten Weißbuchs zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, das noch 2006 verabschiedet werden und die Aufgaben und die Art der Zusammenarbeit der für Sicherheit verantwortlichen Institutionen festlegen soll. Auch er lässt eine noch stärkere Konzentration auf militärische Mittel in der Sicherheitspolitik befürchten. Darüber hinaus weist auch die äußerst mangelhafte Ausstattung mit Ressourcen für die zivile Konfliktprävention, insbesondere im Vergleich zur militärischen Aufrüstung auf ein solches Primat militärischer Maßnahmen hin.

Wir wehren uns gegen die Vermischung ziviler und militärischer Maßnahmen und verweisen auf die Probleme, die daraus erwachsen und zum Beispiel in Afghanistan zunehmend sichtbar werden. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen kritisieren unteres Erachtens zu Recht, dass zivile Prävention für militärische Zwecke instrumentalisiert wird und damit die zivile Prävention an Ansehen verliert. Zudem muss eine klare Trennung der Kosten zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen erfolgen.

Der Frauensicherheitsrat fordert die Bundesregierung auf,
  • Ernst zu machen mit der Implementierung der Geschlechterperspektive als eigenständige Querschnittsaufgabe in sämtlichen Bereichen ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung
  • strikt zwischen zivilen und militärischen Formen der Krisenprävention und Konfliktintervention zu unterscheiden;
  • der zivilen Prävention und Intervention Priorität einzuräumen;
  • den Ressortkreis damit zu beauftragen, die Umsetzung der UN-Resolution 1325 systematisch in Maßnahmen des Aktionsplanes „Zivile Krisenprävention“ zu integrieren und dafür einen eigenen Aktionsplan UN-Resolution 1325 zu entwickeln
  • den Ressortkreis damit zu beauftragen, analog zur AG „zur Rolle der Privatwirtschaft in Ziviler Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ eine Arbeitsgruppe „zur Implementierung der Geschlechterperspektive und der wirkungsvollen Umsetzung von Resolution 1325“ unter Hinzuziehung ziviler Expertinnen einzurichten
  • die im Bundeshaushalt für zivile Krisenprävention verwandten Mittel im Bericht so aufzuführen, dass nachvollziehbar wird, ob zivile Krisenprävention qualitativ wie quantitativ im Sinne des Aktionsplanes gestärkt wird;
  • im Sinne des Gendermainstreamings ein gesondertes Genderbudgeting in diesem Bereich einzuführen.
Im August 2006

Gitti Hentschel/Ute Scheub für den deutschen Frauensicherheitsrat


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