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Können Kriege "humanisiert" werden?

Konvention gegen inhumane Waffen: Vorerst kein Durchbruch bei der heimtückischen Streumunition

Von Wolfgang Kötter *

Ist es möglich, zwischen grausamen und weniger grausamen Waffen zu unterscheiden? Die Frage klingt absurd. Doch trifft das so genannte humanitäre Völkerrecht genau diese Differenzierung. Jahrhunderte lang galt das Recht auf Krieg (jus ad bellum) als akzeptierte Norm des internationalen Rechts. Spätestens die Gründung der UNO hat das verändert und Normen für den Gebrauch von Waffen gesetzt.

Selbst der nach dem Ersten Weltkrieg 1919 gegründete Völkerbund, der weltweit für Frieden sorgen sollte, schloss militärische Konfrontationen nicht aus, falls alle anderen Wege, einen Streit zu schlichten, vergeblich seien. Wirklich geächtet wurde der Krieg erstmals im Briand-Kellogg-Pakt von 1928. Trotzdem mussten noch mehr als 50 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg sterben, bevor 1945 die UN-Charta verabschiedet wurde, die alle Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtete, untereinander auf Gewalt zu verzichten.

Dennoch gab es seither über 550 Kriege und gewaltsam ausgetragene innerstaatliche Antagonismen. Das vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung herausgegebene Conflict-Barometer 2007 geht von einem breiteren Ansatz aus und vermerkt allein für das vergangene Jahr 328 Konflikte, davon 31 als "hoch gewaltsam" eingestufte. Dabei kamen weltweit etwa eine halbe Million Menschen ums Leben - nicht durch biologische, chemische oder gar atomare Waffen, sondern durch konventionelle. Laut Kinderhilfswerk terre des hommes wurden seit 1990 mehr als zwei Millionen Kinder in Kriegen getötet und über sechs Millionen verletzt.

Wie Taschenlampenbatterien

Ende der siebziger Jahre sah sich die Politik endlich gezwungen, über besonders grausame (konventionelle) Waffen zu verhandeln, nicht jedoch deren Abrüstung oder völlige Vernichtung ins Auge zu fassen. Man suchte und fand lediglich Regeln der Kriegführung, die Restriktionen bei einigen spezifischen Waffenarten einschlossen. Besonders wurde der Schutz von Personen normiert, die nicht oder nicht mehr an Kampfhandlungen teilnahmen - Zivilisten, Verwundete, Kriegsgefangene oder Sanitäter. Die mit dieser "Humanisierung" des Krieges geschaffenen Rechtsnormen wurden in der Regel mit dem Etikett "humanitäres Völkerrecht" versehen. Als dessen Vorläufer firmierten die Haager Landkriegsordnung von 1907 wie auch die später ausgehandelten Genfer Konventionen und Protokolle (s. Kasten).

Auf heutige Waffenstandards bezogene Reglementierungen enthält die 1980 abgeschlossene "Inhumane-Waffen-Konvention" (ihr gehören 103 Staaten an), die freilich - die Jahreskonferenz im November 2007 hat es erneut gezeigt - bei der Ächtung von Streumunitionen nicht mit aller Härte verbietet, was längst verboten sein müsste. Davon betroffene Staaten wie Laos, Kambodscha, Libanon, Serbien und Tschad fordern vehement ein rasches Verbot. Doch Russland, China, Kuba und Weißrussland lehnen die Aufnahme von Verhandlungen ab. Gegen ein Verbot sind ebenfalls die USA, Brasilien, Indien, Pakistan und Südkorea, obwohl Streubomben eine extrem hinterhältige Waffe sind. Sie bestehen aus mehreren Sprengsätzen in jeweils einem Behälter, der sich noch in der Luft öffnet und bis zu 600 Munitionskörper verteilt, die kaum die Größe von Taschenlampenbatterien haben und deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen besteht. Sie sollen beim Aufprall explodieren, verwandeln sich aber bei hoher Blindgängerquote in heimtückische Zeitbomben.

Nach dem von Handicap International vorgelegten aktuellen Report Circle of Impact sind momentan weltweit 400 Millionen Menschen in 26 Ländern von derartigen Blindgängern bedroht. Offiziell registriert wurden bisher über 13.000 Opfer - Experten schätzen, die Annahme von über 100.000 sei realistischer. Während des Libanon-Krieges im Sommer 2006 setzten sowohl die israelische Luftwaffe als auch die Hisbollah-Milizen massenhaft Streumunition gegen Wohngebiete ein, allein der Südlibanon war mit über vier Millionen Sprengkörpern übersät. Das UN-Zentrum zur Minenbekämpfung schätzt, dass es in dieser Region noch immer 1,6 Millionen Blindgänger gibt, von denen erst 120.000 geräumt werden konnten, so dass nur acht Prozent der betroffenen Gebiete vollständig gesäubert sind. Seit dem Ende der Kampfhandlungen im Libanon starben 33 Menschen durch Fundmunition.

Durch die Hintertür

Auch wenn seit Mitte Januar in Genf erneut Experten über Streumunition verhandeln - ein Konsens über verbindliche Verbote wird nicht erwogen. Anzunehmen ist, dass es vorläufig - wie einst bei Landminen - lediglich um einen limitierten Einsatz und endlose Übergangsfristen im Interesse von Produzenten und Anwendern gehen wird. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Tschechien treten für einen "Drei-Punkte-Plan" ein, mit dem stufenweise veraltete Munition durch High-Tech-Streumunition ersetzt werden soll. Sie schlagen vor, zunächst solche Streubomben zu verbieten, von denen die Zivilbevölkerung "inakzeptabel bedroht wird". So genannte "ungefährliche Munition" mit einer Fehlerquote von unter einem Prozent soll hingegen noch bis mindestens 2015 eingesetzt werden dürfen.

Eine von norwegischen und britischen Militärexperten veröffentlichte Studie belegt nun allerdings, dass es keinerlei Streumunition gibt, die unter realen Kriegsbedingungen derart geringe Fehlerquoten aufweist. Im Südlibanon habe der entsprechende Wert bei zehn Prozent gelegen. "Angesichts dieser neuen Beweise kann kein Land glaubwürdig die Anwendung einer neuen Generation sich selbst zerstörender Streumunition rechtfertigen", erklärt die Co-Autorin der Studie, Grethe Ostern: "Die Staaten dürfen den Daten der Hersteller nicht blind vertrauen." Belgien, Norwegen, Ungarn und Österreich haben Streumunition bereits geächtet und kritisieren (wie andere Staaten auch) den "Drei-Punkte-Plan" als unlogisch, weil er letztlich doch erlaube, was verboten gehöre. "Offenbar geht es der Bundesregierung mehr um den Schutz ihrer Waffenbestände und die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie als um den Schutz von Zivilisten", urteilt Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de. "Es ist einfach nicht nachzuvollziehen, welchen militärischen Nutzen Streumunition hat, da 98 Prozent der Opfer dieser Waffen Zivilisten sind."

Rund 250 Organisationen haben sich inzwischen gegen die Verschleppungsmanöver der Diplomatie zur Cluster Munition Coalition vereint und verlangen ein kategorisches Verbot von Streumunition. In Norwegen begannen abrüstungswillige Staaten Anfang 2007 den "Oslo-Prozess" und setzten ihn im Mai in Lima fort. Im Dezember trafen sich dann in Wien offizielle Vertreter von 138 Staaten und über 140 NGO-Gesandte, um Eckpunkte eines Vertrags über die Ächtung von Streumunition auszuhandeln. Sie einigten sich dabei in so wichtigen Fragen wie Opferhilfe, Munitionsräumung und Vernichtung der Bestände. Noch bestehen Meinungsunterschiede zur Definition von Streumunition und zum Verbotsumfang.

Exempel Minen-Verbot

"Antriebsmotor für diesen Prozess ist eine neue Form der multilateralen Diplomatie: Die enge Vernetzung zwischen Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Parlamentariern, Überlebenden, Diplomaten, Wissenschaftlern und engagierten Bürgern", lobt Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik das kollektive Unternehmen.

Weitere Treffen folgen nächsten Monat im neuseeländischen Wellington und im Mai in Dublin, so dass schon bis August ein Vertrag vorliegen könnte, der in Oslo zu unterzeichnen wäre. "Streumunition wie auch Landminen in den Mülleimer der Geschichte zu werfen", darin besteht das Ziel, wie der UN-Kordinator für humanitäre Hilfe, Jan Egelund, einmal formulierte. Dass es möglich ist, beweist die auf ähnliche Weise bewirkte Ächtung von Anti-Personenminen durch das vor zehn Jahren mit dem "Ottawa-Prozess" erreichte Abkommen, das von allen Staaten fordert, diese Sprengkörper sofort zu räumen und zu vernichten.

Abkommen des humanitären Völkerrechts

  • Genfer Konvention zum Schutz von verwundeten Soldaten und Sanitätern (1864);
  • Haager Landkriegsordnung zur Behandlung von Kriegsgefangenen (1907);
  • Genfer Konvention über die Behandlung von verwundeten und kranken Angehörigen der Land- und Seestreitkräfte sowie medizinischem Personal (1949);
  • Genfer Konventionen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und zum Schutz von Zivilpersonen (1949);
  • Zusatzprotokolle I und II über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und von Bürgerkriegen (1977);
  • Konvention über inhumane Waffen (1980).

Briand-Kellogg-Pakt

Dieser als Kriegsächtungs-Pakt bekannt gewordene Vertrag wurde am 27. August 1928 von zunächst elf Regierungen unterschrieben. Seinen Namen verdankte er den Außenministern Frank Billings Kellogg (USA) und Aristide Briand (Frankreich). Die Unterzeichner verpflichteten sich, auf den Krieg als Mittel ihrer Politik zu verzichteten, und erklärten Angriffskriege zu völkerrechtswidrigen Handlungen. Ausgenommen blieben das Recht auf Selbstverteidigung und die Teilnahme an Sanktionen des Völkerbundes.

UN-Charta - Artikel 2,4

"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Inhumane-Waffen-Konvention

  • Protokoll I verbietet den Einsatz von Splitterwaffen, die im menschlichen Körper mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können und deshalb deren operative Entfernung erschweren.
  • Protokoll II schränkt den Gebrauch von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper, der so genannten booby traps.
  • Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm, inklusive Phosphorgeschossen.
  • Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die den Sehnerv und die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören und Gegner innerhalb von zwei Millionstel Sekunden irreparabel blenden.
  • Protokoll V verpflichtet dazu, Kriegsschauplätze von explosiven Kampfmittelrückständen - nicht explodierte Granaten, Streumunition, Bomben und Blindgänger - zu räumen, die nach Ende der Kämpfe Zivilisten töten oder verletzen können.


* Aus: Wochenzeitung "Freitag" 04, 25. Januar 2008


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