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Gnadenlose Ausgrenzung

Die Bundesregierung nutzt EU-Richtlinien zur Verschärfung ihrer Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und Migranten

Von Ulla Jelpke

Am Montag (21. Mai) und Mittwoch (23. Mai) kommender Woche wird sich der Innenausschuß des Bundestags in zwei Sachverständigenanhörungen mit der Ausländerpolitik befassen. Anlaß dafür ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23. April 2007 »zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union«. Der 492 Seiten umfassende Entwurf beschränkt sich aber nicht auf die bloße Übertragung von insgesamt elf Richtlinien der Europäischen Union (wie etwa Familiennachzugsrichtlinie, Qualifikationsrichtlinie oder Verfahrensrichtlinie zur Zu- bzw. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft) in nationales Recht. CDU/CSU und SPD nutzen vielmehr diese Gelegenheit, um die Abschottungspolitik des früheren Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) weiter zu verschärfen, das ohnehin unzureichende Zuwanderungsgesetz noch rigider zu gestalten und zugleich beim Staatsangehörigkeitsrecht weitere Hürden zu errichten.

Bei der Bildung der großen Koalition nach der Bundestagswahl von 2005 feierte es die CDU/CSU als großen Erfolg, Vereinbarungen für ein noch restriktiveres Ausländerrecht im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 durchgesetzt zu haben. Die SPD macht diese Verschärfungen mit und behauptet, dafür habe man beim Bleiberecht Verbesserungen durchgesetzt. Die Regelungen zum Bleiberecht sind aber in Wahrheit völlig unzulänglich und nützen nur einem Bruchteil der rund 164000 »Geduldeten«. Keinesfalls rechtfertigt diese dürftige Konzession eine Zustimmung zum Kabinettsentwurf vom 23. April 2007. Deshalb fordern Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen die Abgeordneten des Bundestags auf, die geplante Neuregelung des Zuwanderungsrechts gänzlich abzulehnen. Doch trotz der heftigen Kritik aus der Fachwelt ist die Koalition offenbar entschlossen, ihr Gesetzespaket noch vor der Sommerpause durchzupeitschen. Unter diesen Umständen drohen die beiden Sachverständigen-Hearings, zu Alibiveranstaltungen degradiert zu werden.

Der »Asylkompromiß « von 1993

Die Debatte um Flüchtlings- und Migrationsfragen wurde in der BRD stets gemäß dem von Bayerns Hardliner Günther Beckstein (CSU) unverblümt ausgesprochenen Prinzip geführt, wonach »zwischen denen, die uns nutzen, und denen, die uns ausnutzen« zu unterscheiden sei. Die Verwertung von notwendigen Arbeitskräften im kapitalistischen Produktionsprozeß führte dazu, Einwanderung in begrenztem Umfang zuzulassen, ohne sich aber um eine Integration sowie um Rechts- und Chancengleichheit der zugezogenen Menschen wirklich zu kümmern. Offizielle Doktrin war, daß die BRD kein »Einwanderungsland« sei. Gegen diejenigen, die nicht in das Nützlichkeitsschema paßten, wurden immer perfektere Abschottungsmethoden ersonnen. Der »Asylkompromiß « von 1993 stellte die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl dar. Mit Abwehrmechanismen wie der sofortigen »Rückführung in sichere Drittstaaten«, dem Flughafenverfahren, der Verweigerung von Asyl bei »sicheren Herkunftsländern«, mit Abschiebehaft und neuerdings paramilitärischer Grenzsicherung im Mittelmeerraum (»Frontex«) wird seither erfolgreich das Ziel verfolgt, Flüchtlinge nicht mehr in das Gebiet der Europäischen Union einreisen zu lassen oder sie umgehend wieder daraus zu entfernen.

Diese Politik wurde mit dem Prestigeprojekt der damaligen SPD/Grünen-Bundesregierung, dem Zuwanderungsgesetz von 2004, keineswegs aufgegeben oder geändert. Schon der Name (»Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern«) deutete an, daß es dabei vor allem um »Begrenzung« von Zuwanderung ging. Neue Möglichkeiten für legale Einwanderung wie etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt nach einem Punktesystem wurden, um die Zustimmung des Bundesrats zu erhalten, von SPD und Grünen einem Kompromiß mit der CDU/CSU geopfert. Umgekehrt setzte die Union schon damals eine Verschärfung der Ausweisungs- und Abschiebungsvorschriften durch. Insgesamt löste daher der »Zuwanderungskompromiß«, der am 1. Januar 2005 in Kraft trat, bei den Betroffenen große Enttäuschung aus. Die angekündigte Öffnung Deutschlands für neue Zuwanderer hat mit dem Gesetz nicht stattgefunden.

Selbst Neuerungen wie die Einrichtung sogenannter Härtefallkommissionen bewährten sich in der Praxis nicht. Denn bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen setzen sich die zuständigen Innenbehörden häufig über die Empfehlungen der Härtefallkommissionen hinweg. Zudem blieben Restriktionen wie die abgesenkten Sozialleistungen für Asylbewerber und Geduldete, die Residenzpflicht oder die hohen Hürden beim Ehegattennachzug auch nach dem Zuwanderungsgesetz bestehen. Selbst der integrationsfeindliche Status der »Kettenduldung« [1] wurde nicht abgeschafft.

Historischer Tiefstand

Als Auswirkung dieser Politik ist festzustellen, daß die Zahl der Asylsuchenden ständig abgesunken ist und einen historischen Tiefstand erreicht hat. So wurden im April 2007 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1203 Asylerstanträge gestellt. Damit ist die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zum Vormonat um 18,1 Prozent gesunken. Gegenüber dem Vorjahresmonat April 2006 ging die Zahl der Asylbewerber um 19,8 Prozent zurück. Von Januar bis April 2007 ist die Anzahl der Asylanträge im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 23,3 Prozent zurückgegangen. Selbst diese Zahlen sind hochgerechnet: Darin enthalten sind zirka 30 Prozent Asylanträge, die für minderjährige Kinder von Amts wegen gestellt wurden.

Im Zeitraum von Januar bis April 2007 hat das Bundesamt 9342 Entscheidungen (Vorjahr: 11600) getroffen. 66 Personen (0,7 Prozent) wurden als Asylberechtigte anerkannt. 596 Personen (6,4 Prozent) erhielten Abschiebungsschutz nach Paragraph 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. 5 337 Asylanträge (57,1 Prozent) wurden abgelehnt. 3131 Anträge (33,5 Prozent) wurden anderweitig erledigt (meist Zurückweisung in andere EU-Staaten). Bei 212 Personen (2,3 Prozent) hat das Bundesamt in der Zeit von Januar bis April 2007 Abschiebungshindernisse im Sinne von Paragraph 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes festgestellt.

Trotz niedriger Anerkennungsquote neuer Antragsteller setzte das Bundesamt dennoch eine hohe Anzahl von Verfahren zum Widerruf bereits anerkannter Asylgewährungen in Gang, oft bis zu zehn Jahre zurückreichend. Beispielsweise wurde im Jahr 2005 mehr als 11000 Flüchtlingen (davon über 7 000 aus dem Irak) der Asylstatus nachträglich wieder entzogen.

Diese Bilanz zeigt, daß eine an humanitären Kriterien orientierte Flüchtlings- und Migra­tionspolitik an vielen Stellen anzusetzen hätte. Beispielsweise müßte wieder für ein echtes Asylrecht mit fairen Verfahren gesorgt werden, an die Stelle einer rigiden Abschiebungspolitik müßte Schutz für die von Not und Gewalt bedrohten Menschen treten, statt einer dürftigen »Altfallregelung« wäre ein umfassendes Bleiberecht mit gleichzeitiger Abschaffung der Kettenduldung notwendig, die Zuzugshindernisse des »Zuwanderungsverhinderungsgesetzes« wären aufzuheben, eine wirkliche Integrationspolitik müßte die volle Gleichstellung der Migranten und Flüchtlinge als Ziel haben.

EU-Recht vorgeschoben

Nichts davon ist Inhalt des jetzt im Bundestag zu beratenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Im Gegenteil: In einer gemeinsamen Erklärung vom 14. März 2007 haben mehrere namhafte Organisationen die Politik von CDU/CSU und SPD als »flüchtlingsfeindlich, rückwärtsgewandt und integrationshemmend« kritisiert. Die deutsche Sektion von Amnesty International, der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, die Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltsverein, der Deutsche Caritasverband, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Diakonische Werk der EKD, die Rechtsberaterkonferenz der mit den Wohlfahrtsverbänden und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zusammenarbeitenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Neue Richtervereinigung und Pro Asyl waren und sind sich in ihrer Ablehnung einig. Ihr Hauptvorwurf lautet: Die Umsetzung von EU-Richtlinien wird zur Verschärfung des Asylrechts mißbraucht.

Die Bundesregierung beruft sich in ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich auf Richtlinien, welche die EU-Staaten mit Zustimmung der BRD zwischen 2002 und 2005 im Bereich des Ausländer- und Asylrechts beschlossen haben. Dabei verschweigt sie, daß sie die gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen im Flüchtlingsrecht gar nicht, nur unvollständig oder mangelhaft umsetzen will. Gleichzeitig enthält der Gesetzentwurf Rechtsänderungen, die in keinem Zusammenhang mit dem Europarecht stehen. So werden europarechtlich gar nicht erforderliche Verschärfungen des Asylrechts vorgesehen, etwa die Einführung einer »Zurückweisungshaft«.

Nach EU-Recht müßten Menschen, die vor »willkürlicher Gewalt« im Rahmen von bewaffneten Konflikten nach Deutschland geflohen sind, künftig einen Abschiebungsschutz erhalten. Der Gesetzentwurf enthält aber den Begriff der »willkürlichen Gewalt« nicht. Die Schutzbedürftigen sollen keinen individuellen Schutzanspruch einklagen können, sondern sind auf Abschiebungsstopps der Bundesländer angewiesen.

EU-Staaten sollen künftig Asylsuchende zurückweisen dürfen, wenn der Verdacht besteht, daß ein anderer EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig sei. Gegen eine solche Zuständigkeitsentscheidung soll es prinzipiell keinen Eil-Rechtsschutz mehr geben. Damit können Abschiebungen in andere EU-Staaten nicht verhindert werden, selbst wenn sie inhuman oder rechtswidrig sind. Schließlich sollen Asylsuchende so lange in Haft bleiben, bis die Zuständigkeit geklärt ist. Eine derartige »Zurückweisungshaft« verletzt internationales Recht, denn Flüchtlinge sollen während des Asylverfahrens grundsätzlich nicht inhaftiert werden.

Soweit das EU-Flüchtlingsrecht (ausnahmsweise) eine Verbesserung der Rechtsstellung ergäbe, hat die Bundesregierung solche flüchtlingsfreundlichen Passagen nicht in ihren Gesetzestext übernommen. So sind die europäischen Regelungen für religiös Verfolgte oder Kriegsdienstverweigerer im Gesetzentwurf von Union und SPD nicht ausdrücklich erwähnt. Statt dessen plant die Bundesregierung einen bloßen Verweis auf die EU-Richtlinie zum Flüchtlingsschutz. Dies ist unzureichend, denn EU-Richtlinien müssen zugunsten der Betroffenen vollständig in nationales Recht aufgenommen werden.

Lange Liste von Verschärfungen

Das Ehegattennachzugsalter soll nach dem Gesetzentwurf auf 18 Jahre hinaufgesetzt werden. Zudem müssen künftig Deutschkenntnisse schon vor der Einreise erworben und nachgewiesen werden. Dies wird von der CDU/CSU offen als Abwehrmaßnahme gegen junge Frauen aus sozial schwachen Schichten in der Türkei, insbesondere gegen Kurdinnen, begründet. Denn die geforderten Sprachkenntnisse werden dazu führen, daß für die meisten Betroffenen der Ehegattennachzug erst einmal versperrt wird. Deutschkurse sind nicht ohne weiteres zugänglich, sondern allenfalls in den größeren Städten, die für Bewohner entlegener Ortschaften praktisch nicht erreichbar sind. Solche Zuzugshindernisse verletzen daher europäisches Gemeinschaftsrecht und Artikel 6 des Grundgesetzes (Schutz der Ehe).

Des weiteren soll der Familiennachzug beim Verdacht einer »Zweckehe« untersagt werden. Damit werden wieder einmal Ausländer/innen, die eine/n Deutsche/n heiraten, unter Pauschalverdacht gestellt. Dagegen fehlt im Gesetzentwurf eine Stärkung der Aufenthaltsrechte von (potentiellen) Opfern von »Zwangsverheiratungen«.

Im Gesetzentwurf werden keine Vorschläge zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie gemacht, obwohl gerade diese Richtlinie die Mindeststandards für Asylsuchende während ihres Verfahrens festlegt. In einer Reihe von EU-Richtlinien wird dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern durch spezifische, auf das Kindeswohl gerichtete Vorschriften Rechnung getragen. Diese Vorgabe ignoriert der Gesetzentwurf. Statt dessen soll eine Rechtsgrundlage für die Altersfeststellung durch körperliche Eingriffe (wie etwa der Röntgen­untersuchung der Handwurzelknochen) geschaffen werden. Dies stellt einen gravierenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen dar und ist aus wissenschaftlicher Sicht höchst umstritten.

Auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung von traumatisierten Asylsuchenden und der spezifischen Betreuung besonders bedürftiger Personen fehlt es an einer Umsetzung der europäischen Standards im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Nicht berücksichtigt wird insbesondere die Verpflichtung, daß Personen, die Folter, Vergewaltigung oder andere schwere Gewalttaten erlitten haben, im Bedarfsfall die erforderliche medizinische und psychotherapeutische Behandlung erhalten. Auch müßte für Asylsuchende, die über den Luftweg einreisen, immer dann, wenn sie zu diesen besonders schutzbedürftigen Gruppen gehören, ein Einreiseanspruch normiert werden. Dies verlangt das EU-Recht. Dann müßte die BRD aber zumindest in diesen Fällen das »Flughafenverfahren« endlich abschaffen, aber dazu ist die Bundesregierung nicht bereit.

Die »Qualifikationsrichtlinie« sieht nicht nur für anerkannte Flüchtlinge, sondern auch für Personen mit sonstigen menschenrechtlichen Abschiebungshindernissen (»subsidiärer Schutz«) einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor. Die bisherige deutsche Rechtslage steht hiermit nicht in Einklang, weil in der BRD eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden muß, sondern lediglich im Wege einer Ermessensentscheidung erteilt werden soll. Die Bundesregierung sieht die zwingend erforderliche Rechtsanpassung in ihrem Gesetzentwurf nicht vor – eine weitere Verletzung von Gemeinschaftsrecht!

Mit der EU-Richtlinie zu den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ist es nicht vereinbar, einen Verstoß gegen die Residenzpflicht unter Strafe zu stellen. In Deutschland dürfen Asylbewerber oder sogenannte Geduldete nicht den Bezirk verlassen, in dem sie leben. Verstoßen sie gegen diese Pflicht, drohen Geldstrafen oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Diese strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Residenzpflicht ist jedenfalls aufgrund des Europarechts nicht mehr zulässig. Das wird jedoch von der Bundesregierung ignoriert, wobei es aus menschenrechtlicher Sicht ohnehin geboten wäre, die Residenzpflicht ganz abzuschaffen.

Keine Rücksicht auf Illegalisierte

Im Sinne eines wirksamen Opferschutzes und einer wirksamen Verfolgung von Menschenhändlern ist es nicht ausreichend, den Opfern nur ein bedingtes Aufenthaltsrecht einzuräumen. Es ist geradezu zynisch, Frauen (die ja meist die Opfer sind) nur so lange den Aufenthalt zu gestatten, bis sie in einem Strafverfahren ihre Aussage gemacht haben.

Der besondere Ausweisungsschutz für Heranwachsende soll bei »serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten« gestrichen werden. Damit knüpft die Bundesregierung an die Praxis des jetzigen innenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl, an, der 1998 als Münchner Kreisverwaltungsreferent einen »Mehmet« genannten türkischstämmigen Jugendlichen ausweisen und abschieben ließ. Der Fall erregte seinerzeit großes Aufsehen, weil »Mehmet« in München geboren und aufgewachsen war und er mit seiner Ausweisung eine Doppelbestrafung (neben seiner strafrechtlichen Verurteilung) erhielt. Diese Praxis (Abschiebung statt Integration) wird jetzt nachträglich legalisiert. Ebenso wird die Aufenthaltsverfestigung erschwert, wenn der Antragsteller zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden ist (bisher 180 Tagessätze), ohne daß es dafür irgendeinen Anlaß gäbe.

Trotz jahrelanger Forderungen auch aus dem Bereich der Kirchen greift der Gesetzentwurf die Thematik der »Illegalisierten« nicht grundlegend auf. In Paragraph 96 Aufenthaltsgesetz wird nur sehr versteckt ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtproblematik behandelt, indem bei Hilfe zum unerlaubten Aufenthalt eine Strafbarkeit dann entfällt, wenn der »Täter« nicht zum eigenen Vorteil gehandelt hat. Ob damit künftig beispielsweise ein Arzt, der einen »illegalisierten« Menschen medizinisch versorgt, wirklich strafrechtlich verschont bleibt, muß sich erst noch zeigen. Jedenfalls gibt es keinerlei umfassende Gesetzesänderung zur Stärkung der grundlegenden Rechte von Illegalisierten – wie etwa Schulbesuch ihrer Kinder ohne Sorge der Meldung an die Ausländerbehörden –, geschweige denn eine dem Vorbild anderer EU-Staaten folgende Legalisierung des Aufenthalts.

Die Regelung zur Speicherung von »Einladern« im Visumsverfahren wird auf Personen, die Verpflichtungserklärungen abgeben, erweitert. Zusätzlich sollen auch sogenannte Referenzpersonen erfaßt werden. Weder aus dem Gesetzestext (Paragraph 73 Aufenthaltsgesetz) noch aus der Begründung geht hervor, wer damit genau gemeint sein könnte. Somit drohen ein Ausufern dieser rechtsstaatlich ohnehin bedenklichen Speicherungen und ein weiterer Verlust an Daten­schutz – offenkundig zu Zwecken der Einschüchterung.

Im Staatsangehörigkeitsrecht beharrt die Bundesregierung auf dem verfehlten »Optionsmodell«. Damit werden diejenigen, die in der BRD geboren sind und deshalb seit der Neuregelung aus dem Jahr 2000 zusätzlich zu der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern die deutsche Staatangehörigkeit erhalten, weiterhin gezwungen, sich mit Vollendung des 18. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Die seinerzeitige Kampagne von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gegen den »Doppelpaß« zeigt also immer noch Wirkung. Statt dessen ermöglicht die Bundesregierung mit der gesetzlichen Vorschrift über Staatsbürgerkundetests vor Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit den Behörden Gesinnungsschnüffelei.

Diese Tests sollen angeblich der Integration dienlich sein. Welches Integrationsverständnis aber bei der Bundesregierung wirklich herrscht, zeigt sich auch daran, daß es keinen Rechtsanspruch für schon länger in der BRD lebende Migranten auf Teilnahme an Sprachkursen gibt. Das mindert Integrationschancen. Soweit aber eine Teilnahmeverpflichtung besteht, wird mit Zwang gearbeitet: deren Verletzung wird künftig mit Bußgeldern geahndet.

Diese Fülle von neuen Verschärfungen läßt sich insgesamt nur noch als »Barbarei per Gesetz« charakterisieren. Die derzeitige Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD verfolgt dabei genau dieselbe Leitlinie wie ihre SPD/Grünen-Vorgängerregierung mit dem »Zuwanderungsverhinderungsgesetz« von 2004 und die CDU/CSU-FDP-Regierung mit der Abschaffung des Asylrechts in den neunziger Jahren. Maßstab ist zu keiner Zeit eine humanitär ausgerichtete Flüchtlings- und Migrationspolitik gewesen, sondern immer nur die Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften für den kapitalistischen Produktionsprozeß. Wer dafür nicht nützlich erscheint, wird gnadenlos ausgegrenzt. Daß die BRD de facto ein Einwanderungsland ist, wurde und wird weiterhin verdrängt.

Der Wust von Regelungen, den die große Koalition jetzt durchsetzen will, ist geprägt von polizeistaatlichem Denken. Flüchtlinge und Migranten werden als potentielle Gefahrenherde betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Das ist der Geist, der Schäubles Gesetzespaket an jeder Stelle durchzieht.

[1] Der Status der »Duldung« bedeutet eine »Aussetzung der Abschiebung«, er ist befristet und kann immer wieder verlängert werden, teilweise über Jahre. In diesem Fall spricht man von »Kettenduldung«

* Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Aus: junge Welt, 19. Mai 2007



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