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EU will verschärfte Abschieberichtlinie

Stellungnahmen aus Kirchen, EU-Parlament und von Menschenrechtsorganisationen

Die Innenminister der 27 EU-Staaten haben sich nach Diplomatenangaben am 12. Juni 2008 in Luxemburg auf gemeinsame Regeln zur Abschiebung von Ausländern ohne gültige Papiere geeinigt. Flüchtlingsorganisationen hatten das Gesetz scharf kritisiert, vor allem wegen der vorgesehenen Haftdauer von bis zu 18 Monaten. Die Richtlinie muss nun noch die Hürde des Europäischen Parlaments nehmen. Damit wird am 18. Juni gerechnet.
Wir dokumentieren im Folgenden kritische Stellungnahmen zur EU-Migrationspolitik.
Die Abschieberichtlinie kann hier als pdf-Dokument heruntergeladen werden:
RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (pdf-Datei)



Europäische Kirchen kritisieren geplante EU-Abschieberichtlinie

Brüssel (epd). Die europäischen Kirchen haben die geplante EU-weite Richtlinie über die Abschiebung von Flüchtlingen scharf kritisiert. Die Realität vieler Migranten und Flüchtlinge in den EU-Staaten werde darin nicht berücksichtigt, erklärten katholische, protestantische, anglikanische und andere Geistliche am Freitag in Brüssel. Problematisch sei unter anderem, dass die Abschiebehaft künftig bis zu 18 Monate dauern dürfe, hieß es.

Die Kirchen forderten weiter, das geplante Verbot der Wiedereinreise in die EU auf außergewöhnliche Fälle zu begrenzen und für die freiwillige Ausreise eine Frist von mindestens 30 Tagen zu gewähren. Die EU-Innenminister hatten sich am Donnerstag in Luxemburg auf die Details der neuen Regelung verständigt. Das EU-Parlament will Mitte Juni in erster Lesung über die Richtlinie abstimmen.

Die Kirchen teilten die Forderung der europäischen Regierungen und Bürger nach Rechtsstaatlichkeit, hieß es. Es gelte jedoch, die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten. Unterzeichner der Erklärung waren die ökumenische "Konferenz europäischer Kirchen", die katholische EU-Bischofskonferenz, Caritas Europa sowie die "Kommission der Kirchen für Migranten in Europa". Die Organisationen hatten zuvor bereits einen Brief an die Mitglieder des EU-Parlaments gesandt. (06852/6.6.2008)


18 Monate Abschiebehaft? - Das Europaparlament ist am Zug!

18 Monate Abschiebehaft? - Das Europaparlament ist am Zug! Pressemitteilung 2008/016, Warschau, 06.06.2008

Nachdem sich die EU-Innenminister auf die skandalöse Abschiebe-Richtlinie geeinigt haben liegt die Entscheidung nun beim Europäischen Parlament. Der deutsche Europaabgeordnete Tobias Pflüger drängt darauf, die Richtlinie zu kippen:

Abgeschoben werden sie sowieso, vorher aber drohen den Menschen ohne gültige Papiere noch bis zu 18 Monaten Haft. Die Innenminister der Europäischen Union schrecken vor keiner Verletzung der Rechte von Migrant/inn/en zurück. Während heute in Warschau der Aktionstag gegen die menschenfeindliche Grenzschutzagentur der EU, FRONTEX, begangen wird einigten sich derweil in Luxemburg die Minister auf den Entwurf der beschämenden Abschiebe-Richtlinie, welche in mehreren Punkten eklatant gegen den Schutz der Rechte von Flüchtlingen verstößt.

Die Aussage des Staatssekretärs im deutschen Innenministerium, Peter Altmeier, die Richtlinie läge im Sinne Deutschlands und ermögliche nun die Abschiebung derer, die man loswerden wolle, verdeutlicht einmal mehr die Haltung der EUVerantwortlichen, wenn es um Migration und Asyl geht: Menschen in Not werden ihre zivilen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte aberkannt, sie werden kriminalisiert und abgeschoben.

Das Europaparlament ist jetzt am Zug. Die Abgeordneten müssen beweisen, dass sie das Mitbestimmungsrecht souverän nutzen und sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Europa - und zwar allen Menschen - stellen. Kirchliche Organisationen, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen laufen Sturm gegen den Richtlinienentwurf, der von einer Mehrheit im Europaparlament (vor allem aus Konservativen und Sozialdemokraten) angenommen zu werden droht. Europa als Festung im hochtechnisierten Kampf gegen einen Ansturm der Armen? Das ist nicht das Europa, was wir wollen.

Ich fordere die Auflösung von FRONTEX. Wir werden mit allen Mitteln versuchen, die Abschiebe-Richtlinie zu verhindern.


Migration und Flüchtlingsschutz im Zeichen der Globalisierung

Pressemitteilung, 05.06.2008

medico international und PRO ASYL fordern von der Europäischen Union eine drastisch veränderte Politik im Bereich des Flüchtlingsschutzes und der Entwicklungshilfe

Mit der Broschüre „Migration und Flüchtlingsschutz im Zeichen der Globalisierung“ veröffentlichen erstmals eine entwicklungspolitische und eine überwiegend im Inland tätige Menschenrechtsorganisation eine gemeinsame Positionsbestimmung. Es werde immer deutlicher sichtbar, so medico international und PRO ASYL, in welchem Umfang politisches Fehlhandeln und Versäumnisse der industrialisierten Staaten Ursache von Flucht und Zwangsmigration seien. Während die Welt im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung näher zusammengerückt sei, hätten sich Strukturen der Ungleichheit in vielen Regionen verfestigt.

Eine Politik, die auf immer neue Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge und Migranten sinne, sei inhuman und kurzsichtig. „Boote der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX vor den Küsten Afrikas sind keine Lösung, sondern Teil des Problems“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Scharf kritisieren medico international und PRO ASYL die Rolle der europäischen Grenz-schutzagentur FRONTEX. Sie fühle sich bei ihren Operationen nicht an die völkerrechtlichen Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonven-tion gebunden. FRONTEX versuche, Asylsuchende und Schutzbedürftige zu illegalen Migranten umzudeklarieren.

medico international und PRO ASYL fordern die Schaffung neuer rechtlicher Schutzinstrumente für Menschen, die auf der Flucht vor Umweltveränderungen und Klimawandel ihre Herkunftsstaaten verlassen müssen. Die Hauptverursacher der globalen Umweltprobleme seien auch dafür verantwortlich, an Lösungen mitzuwirken. Eine Wirt-schafts- und Handelspolitik, die den Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen ernst nehme, anstatt sehenden Auges ganze Volkswirtschaften in den Ländern des Südens zu vernichten, sei erforderlich. „Der Abbau der Agrar- und Fischereisubventionen der Europäi-schen Union ist ein erster Schritt, der sofort gegangen werden muss“, so Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international. Entwicklungshilfe könne nicht kompensieren, was hier an Verwüstungen bereits angerichtet worden sei.

medico international und PRO ASYL weisen die populistischen Horrorszenarien zurück, mit denen Politiker in EU-Staaten innerhalb der Bevölkerung Ängste vor einem vermeintlichen Ansturm von Armutsflüchtlingen wecken. Für eine EU mit etwa 500 Millionen Einwohnern sei sowohl eine humane Aufnahme von Flüchtlingen als auch eine geregelte Einwanderungspolitik machbar. Stattdessen trage die rigide Abschottungspolitik der EU-Staaten dazu bei, dass die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge unter prekären Bedingungen in Notbehausungen und Flüchtlingslagern der Entwicklungs- und Schwellenländer leben müsse.

Die beiden Organisationen warnen dringend davor, unter dem Stichwort der „zirkulären Migration“ das Gastarbeiter- bzw. Rotationsmodell wiederzubeleben. Eine selektive Anwerbepolitik nach Nützlichkeitsgesichtspunkten, verbunden mit einem rigiden Rückkehrzwang, sei menschenrechtlich nicht zu verantworten. Das Konzept diene vielmehr dazu die südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers und westafrikanische Staaten als „Türsteher Europas“ in Dienst zu nehmen. Bereits jetzt spanne sich ein Netz von Rückübernahmeabkommen über die Region. Als Gegenleistung für die Verlagerung des EU-Außengrenzschutzes in die Herkunftsregionen von Flüchtlingen seien bereits in den letzten Jahren bilateral höhere Entwicklungshilfeleistungen und befristete legale Arbeitsmöglichkeiten für streng begrenzte Kontingente von Arbeitsmigranten versprochen worden.


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