Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lampedusa wehrt sich

Proteste von Einwohnern und Flüchtlingen gegen die Migrationspolitik der italienischen Regierung

Von Micaela Taroni, Rom *

Mit Dauerprotesten versuchen sich die Bewohner der Mittelmeerinsel Lampedusa zwischen Sizilien und Tunesien gegen die Migrationspolitik der Regierung Berlusconi Gehör zu verschaffen. Die Geschäfte auf der Insel bleiben diese Woche geschlossen. Täglich finden Bürgerproteste gegen die von der Regierung geplante Errichtung eines zweiten Auffanglagers für Flüchtlinge statt. Die Regierung Berlusconi will künftig alle auf Lampedusa ankommenden Einwanderer, denen kein Asylrecht in Italien gewährt wird, direkt von dort nach Nordafrika abschieben. Bisher war Lampedusa nur eine Durchgangstation. Die hier eingetroffenen Migranten wurden nach Sizilien oder in andere italienischen Regionen gebracht.

Der Protest gegen die Regierung wird vom Bürgermeister der Insel, Bernardino De Rubeis, angeführt. »Wir wollen nicht, daß Lampedusa zu einer Strafanstalt wird. Es soll eine freie Insel bleiben«, so der Bürgermeister.

Über 1000 Flüchtlinge befinden sich derzeit im Auffanglager. Dutzende von Polizisten wurden auf die 20 Quadratkilometer große Insel entsendet. Die italienische Regierung befürchtet Revolten. Am Samstag hatten rund 650 Flüchtlinge die Öffnung der Lagertore erzwungen und waren protestierend ins Stadtzentrum gezogen. Sie marschierten zum Gemeindeamt auf dem Hauptplatz und skandierten Slogans wie »Freiheit!« und »Helft uns!«. Die Flüchtlinge wurden von den Bewohnern der Insel mit Applaus begrüßt.

Der italienische Innenminister Roberto Maroni reiste diese Woche nach Tunesien, um die Prozeduren zur Abschiebung tunesischer Flüchtlinge zu beschleunigen, die sich auf Lampedusa befinden. Die italienische Regierung bemüht sich um den Abschluß bilateraler Abkommen mit den Ländern, aus denen die meisten Immigranten stammen.

Der italienische Verteidigungsminister Ignazio La Russa bestritt, daß die Einwanderungspolitik der Regierung Berlusconi angesichts der 2008 stark gestiegenen Flüchtlingszahl auf Lampedusa gescheitert sei. »Ohne die Maßnahmen der Regierung wäre die Zahl der eingetroffenen Migranten noch weitaus höher gewesen«, kommentierte La Russa.

Lampedusa, rund 200 Kilometer südlich von Sizilien gelegen, ist ein Hauptanlaufpunkt für Bootsflüchtlinge aus Afrika. Im vergangenen Jahr trafen dort nach Angaben des italienischen Innenministeriums knapp 31 700 Flüchtlinge ein. Das waren 75 Prozent mehr als im Vorjahr. Die zum Großteil aus Afrika stammenden Flüchtlinge fahren meist in nicht hochseetauglichen Booten über das Mittelmeer, um in die Europäische Union zu gelangen. Dabei kamen 2008 nach Schätzungen der Hilfsorganisation Fortress mindestens 1500 Menschen ums Leben.

Das Problem der Flüchtlinge betrifft nicht nur Lampedusa. Am Montag fand eine Flüchtlingsdemonstration in der toskanischen Ortschaft Marina di Massa statt. Rund 50 Migranten aus Somalia und Eritrea, die sich seit August in einem Flüchtlingslager des Roten Kreuzes befinden, demonstrierten auf dem Hauptplatz in Marina di Massa, um die Behörden zur Überprüfung ihres Asylantrags zu bewegen. Bei dem Versuch der Polizei, die Demonstration aufzulösen, gab es Verletzte auf beiden Seiten.

* Aus: junge Welt, 29. Januar 2009


Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur EU-Europa-Seite

Zur Italien-Seite

Zurück zur Homepage