Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Flüchtlinge drohen mit Hungerstreik

Bundesrepublik will keine Tunesier aufnehmen / EU-Kommissarin fordert Solidarität der Nordländer

Von Christian Klemm *

Die Lage der tunesischen Flüchtlinge auf der italienischen Insel Lampedusa bleibt angespannt. Ein Hungerstreik soll ihre Abschiebung verhindern.

Sie haben geholfen, den Diktator Zine elAbidine Ben Ali zu stürzen und das Tor für ein neues Tunesien aufzustoßen. Dennoch suchen sie nach einem besseren Leben fern von ihrem Land. Seit Tagen harren tunesische Flüchtlinge auf Lampedusa aus. Sie waren zu Tausenden auf Booten über das Mittelmeer gekommen. Vermutlich wird der Großteil von ihnen nach Nordafrika »zurückgeführt«. Um auf ihre dramatische Lage aufmerksam zu machen, haben die Flüchtlinge nun angekündigt, in den Hungerstreik zu treten. Noch etwa 1800 Migranten sollen sich auf der Insel aufhalten. Für Asylbewerber unter ihnen will die italienische Regierung bis Mitte nächster Woche ein neues Lager auf Sizilien eröffnen. In der Anlage bei Catania sollen 7000 Menschen Platz haben.

Die Bundesrepublik könnte sich in das lampedusische Flüchtlingschaos einschalten und Migranten aufnehmen. Dann hätten die Flüchtlinge die Möglichkeit, in Deutschland ein Asylverfahren anzustrengen. Doch die herrschende Politik sperrt sich – und verweist beharrlich auf die sogenannte Dublin-II-Verordnung. Danach hat ein in die EU eingereister Flüchtling nur die Möglichkeit, Asyl in dem Land der Union zu beantragen, in das er seinen Fuß zuerst gesetzt hat. Das ist in diesem Fall Italien. Deutschland ist also fein raus.

SPD, Grüne und Linkspartei fordern die Bundesregierung auf, tunesische Flüchtlinge verstärkt aufzunehmen. Das aber halten die Unionsparteien nicht für notwendig. »Asylanträge von Tunesiern werden keinen Erfolg haben, weil sie unbegründet sind«, meint Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Nach der Vertreibung von Ben Ali gebe es keinen Grund mehr für sie, aus Sorge vor politischer Verfolgung Asyl im Ausland zu beantragen. Noch deutlicher wird Michael Gahler (CDU), sicherheitspolitischer Sprecher der konservativen Mehrheitsfraktion im EU-Parlament. Es dürfe nicht der falsche Eindruck entstehen, dass die EU die Bootsflüchtlinge behalten will, sagt er. Dies könne eine »Sogwirkung aus anderen Teilen Afrikas« auslösen. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (ebenfalls CDU) hat der Aufnahme tunesischer Migranten eine Abfuhr erteilt.

Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström scheint eine andere Meinung zu vertreten. Sie fordert mehr Solidarität von EU-Nordländern wie Deutschland. In Ausnahmefällen sollten andere EU-Staaten Bootsflüchtlinge aufnehmen, bevor ein reguläres Asylverfahren abgeschlossen sei, sagte ihr Sprecher in Brüssel. »Bei einer massiven Flüchtlingswelle sollte das geltende Prinzip für einen sehr begrenzten Zeitraum ausgesetzt werden.«

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011


Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur Deutschland-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage