Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Atalanta" im gesamten Indischen Ozean

Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert / Traumatisierte Soldaten / Minister Guttenberg in der Kritik

Am Horn von Afrika, im Mittelmeer und in Bosnien-Herzegowina wird die Bundeswehr weiter im Einsatz sein – wenn der Bundestag den Beschlüssen des Kabinetts zustimmt.

Die Bundesregierung hat die Verlängerung von drei Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit bis zu 3000 Soldaten beschlossen. Die Marine soll sich ein weiteres Jahr am Kampf gegen Piraterie im Indischen Ozean und an der Anti-Terror-Mission im Mittelmeerraum beteiligen. Zudem soll die Stabilisierungsmission in Bosnien-Herzegowina fortgesetzt werden. Der Bundestag muss dem gestrigen Kabinettsbeschluss noch zustimmen.

Derzeit ist die Bundeswehr insgesamt mit mehr als 7000 Soldaten an elf Auslandseinsätzen beteiligt. Nach den Missionen in Afghanistan und im Kosovo ist der EU-Einsatz »Atalanta« gegen Piraterie mit derzeit 320 Soldaten das drittgrößte deutsche Engagement. Das Mandat sieht weiterhin eine Höchstgrenze von 1400 Soldaten vor. Da die Piraten inzwischen über das Gebiet vor der Küste Somalias hinaus operieren, hat die EU ihr potenzielles Einsatzgebiet auf den gesamten Indischen Ozean und die angrenzenden Meere ausgeweitet. Das soll in dem neuen Mandat berücksichtigt werden.

Am Marineeinsatz »Active Endeavour« sind im Moment keine deutschen Schiffe beteiligt. Noch diese Woche soll aber die Fregatte »Bremen« mit 220 Soldaten ins Mittelmeer geschickt werden. Insgesamt soll die Bundeswehr weiterhin bis zu 700 Soldaten stellen können. Die deutsche Beteiligung an der NATO-Mission wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 beschlossen.

In Bosnien sind aktuell 115 deutsche Soldaten stationiert. Die Obergrenze soll bei 900 Soldaten bleiben. Die Lage in Bosnien gilt grundsätzlich als stabil. Der UN-Sicherheitsrat hat die Europäische Union trotzdem zur Fortsetzung ihres Engagements aufgefordert, da das Friedensabkommen von 1995 noch nicht vollständig umgesetzt sei.

Am Tag des Kabinettsbeschlusses bestätigte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums einen Bericht der »Mitteldeutschen Zeitung«, nach dem die Zahl der Bundeswehrsoldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) einen neuen Höchststand erreicht habe. In den ersten neun Monaten dieses Jahres seien 483 Soldaten wegen PTBS behandelt wurden. Im gesamten Jahr 2009 waren es 466 gewesen. Die meisten Betroffenen waren zuvor in Afghanistan im Einsatz. Die hohe Zahl erklärte der Sprecher mit der gestiegenen Intensität der Vorfälle im Einsatz, aber auch mit einem offeneren Klima bei der Bundeswehr, in dem sich Soldaten eher trauten, seelische Probleme anzusprechen.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, sagte: »Dass die Rückkehr an der Seele verwundeter Soldatinnen und Soldaten zunimmt, verwundert nicht. Schließlich finden vermehrt Gefechte statt. Die Soldaten erleben nicht nur, dass der Kamerad neben ihnen verwundet wird oder fällt. Hinzu kommt das Selber-Töten-Müssen.« Er beklagte, dass es nicht genug Therapeuten gebe. Im Frühjahr waren von 42 psychiatrischen Dienstposten in der Truppe lediglich 24 besetzt.

Oppositionspolitiker forderten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) derweil auf, sein Plädoyer vom Dienstag für einen unverkrampften Umgang mit wirtschaftlichen Interessen in der Sicherheitspolitik zurückzunehmen. Dies widerspreche dem Grundgesetz, in dem die Landesverteidigung als Auftrag der Bundeswehr festgeschrieben ist. So sagte etwa Jürgen Trittin (Grüne), er müsse als Vorsitzender seine Fraktion, die die EU-Operation »Atalanta« unterstütze, vor dem Vorwurf in Schutz nehmen, man würde dort »einseitig die nationalen Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Das ist definitiv nicht der Fall.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


Offen für die Wirtschaft

Von Regina Stötzel *

Wer es noch nicht wusste: Kein deutsches Ministerium arbeitet unabhängig von den wirtschaftlichen Interessen des Staates. Zuletzt zerstörte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) endgültig jeglichen Glauben an eine selbstlose Entwicklungszusammenarbeit.

»Offen und ohne Verklemmung«, ganz so, wie es sich Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wünscht, wird schon im Beschluss des Bundestages für die Beteiligung an der EU-Operation »Atalanta« vom Dezember 2008 die Bedeutung der Handelsroute durch den Golf von Aden betont. »Deutschland hat als Exportnation an sicheren Handelswegen ein besonders großes Interesse, zumal es gleichzeitig auf den Import von Rohstoffen angewiesen ist, die zu einem großen Teil auf dem Seeweg ins Land gelangen.« Der Exportweltmeister Deutschland wird auch am Horn von Afrika verteidigt. Das mag nicht im Grundgesetz stehen, entspricht aber dem Weißbuch der Bundesregierung aus dem Jahr 2006 bzw. den verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992. In ähnlichem Wortlaut werden dort die Sicherung des freien Welthandels und der Zugang zu Märkten und Rohstoffen als Ziele genannt, die Deutschland mit seiner Verteidigungspolitik verfolgt – und mit den Bundeswehreinsätzen in aller Welt. Das dürfte eigentlich den Oppositionspolitikern nicht entgangen sein, die die Operation »Atalanta« gutheißen, aber die Äußerungen Guttenbergs für skandalös halten.

** Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010 (Kommentar)


Schluss mit Militäreinsätzen für Wirtschaftsinteressen

"An der Anti-Piraterie-Operation Atalanta lässt sich beobachten, dass bei der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, die Verteidigungsminister zu Guttenberg anstrebt, nichts Vernünftiges herauskommt", kommentiert Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, den Kabinettsbeschluss zur Verlängerung der deutschen Beteiligung an der Operation Atalanta. Paul Schäfer erklärt weiter:

"Die bisherige Bilanz der Operation Atalanta ist keine Erfolgsgeschichte: Im Vertrauen auf die Militärmacht der EU hat die internationale Gemeinschaft es versäumt, die somalische Übergangsregierung beim Aufbau eigener Kapazitäten zur Bekämpfung von Kriminalität zu unterstützen. Auch die Ursachen der Piraterie wurden nicht bekämpft. Nun zeigt sich: Trotz einer stattlichen Armada von Kriegsschiffen, trotz stetiger Ausweitung des Einsatzgebietes und trotz massiver Eingriffe in die Grundrechte von Piraterieverdächtigen werden am Horn von Afrika weiterhin regelmäßig Schiffe gekapert. Die Piraten sind nicht verschwunden, sondern nur weiter verteilt.

Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, die deutsche Beteiligung an der Operation Atalanta zu beenden und die dafür eingeplanten Haushaltsmittel für die Entwicklung einer regionalen Lösung zur rechtsstaatlichen Bekämpfung der Piraterie und für die Überwindung ihrer Ursachen umzuwidmen."



Lesen Sie auch:

UNO weiter auf dem falschen Dampfer
Sicherheitsrat befasste sich mit der Piraterie vor Somalias Küsten - Kriegsarmada ohne Wirkung / Warships alone will not deter piracy off Somali coast (12. November 2010)




Zurück zur "Piraten"-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Militärinterventionen"

Zurück zur Homepage