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Antipirateneinsatz bis Ende Mai 2013 verlängert und erweitert

Diesmal stimmt sogar die SPD dagegen - bei den GRÜNEN reicht es nur zur Enthaltung

Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Militäroperation "Atalanta" am Horn von Afrika bis Ende Mai 2013 beschlossen. Dem Verlängerungsantrag der Bundesregierung (17/9339) stimmten 305 Abgeordnete zu, 206 waren dagegen, 59 enthielten sich. Bisher waren die Atalanta-Anträge meist durchgewinkt worden (allein die LINKE stimmte konsequent dagegen); dieses Mal fand die Mandatsverlängerung eine nur relativ geringe Mehrheit. Das lag u.a. daran, dass das Mandat ausgeweitet wurde um die Möglichkeit, in einem zwei Kilometer breiten Küstenstreifen in Somalia die Logistik der Piraten aus der Luft aufzuspüren und auszuschalten. Die GRÜNEN hatten mit einem eigenen Antrag versucht, Atalanta ohne diese Erweiterung zu verlängern; ihr Antrag wurde aber abgelehnt.

Auf der Seite des Bundestags wurde die Debatte am 10. Mai 2012 zusammengefasst. * Wir zitieren daraus einige Passagen (kursive Anmerkungen von uns, AGF):

Die "unnötige Ausdehnung" des Mandats verhindere den Konsens bei diesem bisher "erfolgreichen Einsatz", sagte der Grünen-Abgeordnete Dr. Frithjof Schmidt. Die Ausweitung sei ein Hochrisikoeinsatz und keine Petitesse, sagte er und forderte: "Hören Sie auf, die neue Qualität kleinzureden." Mit der Ausweitung bestehe die "Gefahr der Delegitimierung einer legitimen Aktion", so Schmidt. Außerdem sei es leicht für die Piraten, die Pläne zu durchkreuzen, indem sie einfach mehr als nur zwei Kilometer in das Landesinnere zurückgehen. "Und dann werden sie wieder hier stehen und eine Debatte um eine erneute Ausweitung des Einsatzgebietes führen", prognostizierte der Grünen-Politiker, der die Enthaltung der großen Mehrheit seiner Fraktion damit begründete, dass das erst im November 2011 erteilte Mandat "richtig und ausreichend" sei.

Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) kritisierte hingegen das Verhalten von Grünen- und SPD-Fraktion. Die Entscheidung habe "mehr mit Wahlkämpfen zu tun als mit der Interessenwahrnehmung deutscher Außenpolitik". Der Unionsabgeordnete Florian Hahn vertrat die Ansicht, ein Nein bei der Abstimmung sei auch ein Nein zur gesamten Atalanta-Operation. Die Sozialdemokraten wollten, dass sich die Bundesregierung von ihren europäischen Partnern isoliere, kritisierte der FDP-Abgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen. Seiner Ansicht nach ist es falsch, dass immer nur über die zusätzlichen Aufgaben diskutiert werde, so Müller-Sönksen. Es handle sich hierbei lediglich um die Öffnung einer Zusatzoption. "Der Kern ist und bleibt die Pirateriebekämpfung auf See und der Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms", betonte er. Außerdem sei die Mission ein Erfolg. Laut Müller-Sönksen sei die Zahl der Kaperungen weiter gesunken und die Schiffe des Welternährungsprogramms hätten alle unbeschadet somalische Häfen erreicht.

Wenn das so ist, warum muss aber dann das Kampfmandat ausgeweitet werden? Müller-Sönksen setzt nach:

Für die Ablehnung habe er kein Verständnis, sagte er. "Deutschland befindet sich als exportorientierte Nation in einer besonderen maritimen Abhängigkeit". Wenn man der Piraterie nicht entschieden entgegentrete, schade man der deutschen und der europäischen Volkswirtschaft in großem Maße.

"Es gibt auch Optionen, die man besser nicht hat", entgegnete Gernot Erler (SPD) und begründete die Ablehnung seiner Fraktion unter anderem mit der Abhängigkeit von Luftaufklärung. "Was muss eigentlich noch passieren, um bei Ihnen Zweifel bei so einer Abhängigkeit aufkommen zu lassen?", fragte Erler in Richtung Koalition. Offenbar habe man dort verdrängt, wie oft es dabei zu "tragischen und politisch verheerenden Fehlbeurteilungen" gekommen sei. Das sei im Kosovo der Fall gewesen, ebenso wie in Afghanistan. Auch wenn nicht vorgesehen sei, aus der Luft Personen anzugreifen, dürfe man diese Erfahrungen nicht verdrängen, betonte Erler.

"Es besteht nicht die Absicht, den Kampf an Land zu tragen - Man möchte nur die Basis der Piraten an Land zerstören"

Das Mandat habe keine neue Qualität, urteilte Florian Hahn. Es bestehe nicht die Absicht, den Kampf an Land zu tragen. Vielmehr gehe es darum, "dass es gar nicht erst zu einem Kampf auf See kommt". Indem man die Basis der Piraten an Land zerstöre, schränke man deren Handlungsfähigkeit weiter ein, sagte er. Hahn kritisierte die ablehnende Haltung der SPD-Fraktion. Damit stelle die Fraktion die "Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des deutschen Beitrages infrage". Die Sozialdemokraten, so Hahn weiter, wollten mit ihrer Haltung "Piratenbekämpfung in Deutschland betreiben". Anstelle des Wahlkampfes sollten aber außenpolitische Erwägungen die entscheidende Rolle spielen.

Wenn die Regierung immer wieder behaupte, die Atalanta-Mission sei ein Erfolg, frage sie sich, warum es dann eine Ausweitung brauche, sagte Christine Buchholz (Die Linke). Und gab die Antwort gleich hinterher: "Die Ausweitung ist Ergebnis des Misserfolgs." An Land solle nun das erreicht werden, was der Marineeinsatz nicht geschafft habe. "Das ist ein fataler Trugschluss", urteilte Buchholz. Zugleich kritisierte sie die Wortwahl von Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière, der von "Kollateralschäden auf See" gesprochen habe. Tote Fischer seien keine Kollateralschäden, sondern ein Verbrechen, sagte die Linken-Abgeordnete. Die geplante Ausweitung des Mandats bezeichnete sie als "Kriegserklärung gegen die Zivilbevölkerung in Somalia".



"Kein deutscher oder europäischer Atalanta-Soldat wird somalischen Boden betreten", versprach Außenminister Westerwelle und nahm damit den Mund wieder etwas zu voll. Denn im Nachsatz räumte er ein, dass etwaige "Rettungsaktionen" an Land nicht ausgeschlossen seien. Wörtlich: "Das Gebot der Nothilfe gilt bei jedem Mandat".

* Auszüge aus dem Artikel "Antipirateneinsatz bis Ende Mai 2013 verlängert" von der Website des Deutschen Bundestags; www.bundestag.de

Die gesamte Debatte kann hier als Video angesehen werden:



Und hier die Fundstelle für das Stenografische Wortprotokoll der 178. Sitzung:
pdf-Datei, S. 21110-21125)



Lange Nase

Von Christian Klemm **

Es fällt schwer, den Überblick über die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu behalten. Von Afghanistan über das Mittelmeer bis nach Kosovo, überall dort »engagieren« sich deutsche Soldaten. So auch vor der Küste Somalias, das seit mehr als 20 Jahren als Staat gescheitert ist. Dort kreuzt die deutsche Marine schon im fünften Jahr, um die Handelswege zu sichern. Soldaten mit eindeutig wirtschaftspolitischem Auftrag - ganz so, wie Altbundespräsident Horst Köhler es ausgeplaudert hatte. Der Bundestag segnete gestern die Erweiterung der »Atalanta«-Mission ab. Jetzt dürfen auch Stützpunkte somalischer Piraten bis 2000 Meter an Land aus der Luft angegriffen werden.

Ob das neue Mandat einen Sinn ergibt, darf bezweifelt werden. Denn die somalischen Seeräuber könnten ihre Materiallager einfach 3000 Meter ins Landesinnere verlegen - und den vorbeifliegenden Hubschraubern eine lange Nase zeigen. Gleichzeitig werden auch Zivilisten zwangsläufig ins Kreuzfeuer geraten. Schließlich leben und arbeiten auch Menschen in Küstennähe oder direkt am Meer, die mit der Seeräuberei nichts am Hut haben. Und überhaupt, Somalia hat weder neue Missionen noch ausländische Soldaten nötig. Das ging schon einmal schief. Viel mehr als Kampfhubschrauber und Kanonenboote braucht das Bürgerkriegsland einen nachhaltigen Waffenstillstand zwischen den sich bekriegenden Clans und eine bessere zivile Infrastruktur. Wie man beides befördern kann, darüber sollte die schwarz-gelbe Bundesregierung mal nachdenken.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Mai 2012 (Kommentar)


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