Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Jung spielt die Bundeswehr-Karte

Minister will erneut Verfassungsänderung - Soldaten als Geiselbefreier im In- und Ausland

Die Freilassung des gekaperten Containerschiffs »Hansa Stavanger« hat den Streit über eine Grundgesetzänderung für mehr Befugnisse der Bundeswehr neu entfacht.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung holte sich am Wochenende mit einem erneuten Vorstoß, der Bundeswehr per Grundgesetzänderung auch die Geiselbefreiung im Ausland zu ermöglichen, ein scharfe Abfuhr von der Opposition und auch vom Koalitionspartner SPD. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hob am Sonntag (9. Aug.) hervor, dass deutsche Soldaten auch jetzt schon Geiseln aus der Hand von Piraten befreien könnten. Jung hatte der »Bild am Sonntag gesagt: »Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie beispielsweise gar nicht am Ort des Geschehens ist.« Spätestens nach der Bundestagswahl wolle er dieses Thema wieder auf die Tagesordnung setzten. »Und: Diese Diskussion ist nicht nur mit Blick auf das Ausland zu führen, sondern auch mit Blick auf bestimmte Situationen im Innern.«

Nach Ansicht von Justizministerin Zypries ist eine raschere Befreiung der gekaperten »Hansa Stavanger« »nicht am Grundgesetz gescheitert«. Dass man sich bei einem Befreiungsversuch gegen einen Einsatz des KSK der Bundeswehr und für die GSG 9 der Bundespolizei entschieden habe, »hatte rein operative Gründe«. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin nannte Jung einen »unbelehrbaren Wiederholungstäter«. Die Union müssen endlich begreifen, dass es »keine verfassungsändernde Mehrheit dafür gibt, das Kriegsrecht im Innern einzuführen«. FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt Jung vor, das Drama um die »Hansa Stavanger« im Wahlkampf nutzen zu wollen. Ähnlich äußerte sich Petra Pau von der LINKEN. Sie nannte den neuerlichen Vorstoß von Jung »perfide«.

Nach fast vier Monaten in der Gewalt von Piraten lief die »Hansa Stavanger« am Sonnabend in den kenianischen Hafen Mombasa ein. Die 24-köpfige Crew verließ erschöpft, aber erleichtert das Schiff. Der deutsche Frachter war am 4. April von somalischen Piraten gekapert worden. Nach monatelangen Verhandlungen kam das Schiff am vergangenen Montag nach einer Zahlung von offenbar knapp zwei Millionen Euro Lösegeld frei.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009


Jung will mal wieder Grundgesetz ändern

Verteidigungsminister fordert Bundeswehreinsatz im Inneren. Vorwand: Geiselbefreiungen durch Piraten

Von Rüdiger Göbel **

Kaum ist die Besatzung des deutschen Frachters »Hansa Stavanger« nach monatelanger Gefangenschaft am Horn von Afrika freigekommen, da nimmt sie Verteidigungsminister Franz Josef Jung in politische Geiselhaft. Der CDU-Politiker macht sich seit Jahren für einen Einsatz der Bundeswehr im Inland stark und will das Grundgesetz entsprechend ändern. Nach G-8-Gipfelprotesten und gemutmaßten Terroranschlägen werden nun die Geiselnahmen vor der Küste Somalias argumentativ für die Ausweitung des militärischen Einsatzgebietes mißbraucht. »Nach unserer Verfassung ist derzeit für eine Geiselbefreiung die Polizei zuständig. Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie beispielsweise gar nicht am Ort des Geschehens ist«, sagte Jung in der Bild am Sonntag (9. August). Spätestens nach der Bundestagswahl wolle er dieses Thema wieder auf die Tagesordnung setzen. Der Minister kündigte an, die Diskussion über eine Grundgesetzänderung nicht nur mit Blick auf Einsätze im Ausland führen zu wollen, »sondern auch mit Blick auf bestimmte Situationen im Innern«.

Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kritisierte Jungs Vorschlag scharf. Es sei nicht gut, wenn jetzt versucht werde, aus der Rückkehr der Geiseln politisches Kapital zu schlagen, sagte er am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt. Eine Änderung des Grundgesetzes halte er für den falschen Weg. Der Krisenstab habe gut gearbeitet.

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin erklärte, mit seinen wiederholten Vorstößen, über eine Grundgesetzänderung Bundeswehreinsätze im Innern zu ermöglichen, entpuppe sich Jung als »unbelehrbarer Wiederholungstäter«. Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Fraktion Die Linke und im Innenausschuß, monierte, »das Schicksal der Seeleute eignet sich wahrlich nicht zum Spielball innenpolitischer Zündeleien im Wahlkampf des Ministers«.

** Aus: junge Welt, 10. August 2009


Riegel vor!

Von Christian Klemm ***

Die Bundeswehr ist laut Grundgesetz eine Verteidigungsarmee. Nicht wenigen Abgeordneten im Hohen Haus ist das ein Dorn im Auge. Sie fordern in regelmäßigen Abständen, das Grundgesetz so zu ändern, dass die Bundeswehr über den Verteidigungsauftrag hinaus Kompetenzen erhält. Die Entführung der »Hansa Stavanger« war für den »unbelehrbaren Wiederholungstäter« Franz Josef Jung offenbar willkommener Anlass, die Armee auch für Geiselbefreiungen in Stellung zu bringen - im Ausland wie im Inland.

Unter allen Umständen muss dem Trend nach mehr Militär ein Riegel vorgeschoben werden. Die Bundeswehr darf weder einen Kampfauftrag im Ausland erhalten, noch für Polizeiaufgaben im Inland eingesetzt werden. Für Gei- selnahmen - gleich ob in Deutschland oder anderswo - ist die Polizei zuständig, sonst niemand. Kämen Jung und seine Kameraden mit ihren Vorschlägen durch, ist eine weitere Militarisierung Deutschlands die logische Folge.

Die Vehemenz, mit der konservative Politiker immer wieder versuchen, die Änderung des Grundgesetzes auf die Tagesordnung zu setzen, braucht das Handeln aller zivilgesellschaftlichen Akteure. Dieser Druck ist nötig, nicht zuletzt auf der Straße, jene Mehrheiten im Bundestag zu erreichen, die ein weiteres Mandat für Kampfeinsätze der Bundeswehr verhindern. Nicht Ausbau und Kompetenzerweiterung der Armee gilt es durchzusetzen, sondern Abrüstung - und zwar radikal.

*** Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009 (Kommentar)


Zurück zur "Piraten"-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Innere Sicherheit"

Zurück zur Homepage