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Zeichen stehen auf Sondersitzung

Handy-Affäre in Sachsen: Grüne bezichtigen CDU-Innenminister Ulbig der Unwahrheit

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Die Handy-Ausspähung in Dresden am 19. Februar beschäftigte gestern den sächsischen Landtag. Weil der Innenminister Antworten schuldig blieb, droht aber weiter eine Sondersitzung.

Die Sommerpause muss wohl warten: Nach einer aus Sicht der Opposition unbefriedigenden Debatte zur Handy-Affäre schließt die LINKE die Einberufung einer Sondersitzung des Landtags für nächste Woche weiter nicht aus. Zudem halte man an Forderungen fest, Innenminister Markus Ulbig (CDU) abzuberufen, die Vorfälle unabhängig untersuchen zu lassen und Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu einer Äußerung zu bewegen. Das sagte ein Sprecher dem ND. Auch ein Untersuchungsausschuss wird nicht ausgeschlossen.

In der Aktuellen Debatte hatte Ulbig zunächst augenscheinlich die Devise beherzigt, wonach Angriff die beste Verteidigung ist. Er trat ans Rednerpult, noch bevor die LINKE als Antragsteller die Debatte eröffnet hatte. Der CDU-Mann rechtfertigte erneut die Abfrage von über einer Million Handy-Verbindungsdaten am Rand von Protesten gegen Naziaufmärsche. Diese seien durch schwere Straftaten gegen Polizisten überschattet worden, die man habe aufklären wollen: »Das kann kein Skandal sein.« Ulbig räumte ein, die Polizei habe zu Unrecht Daten auch gegen Blockierer verwenden wollen: »Das wird es nicht wieder geben.« Er beteuerte ausdrücklich, in den Datensätzen seien »keine Gesprächsinhalte und SMS enthalten«. Auch ein sogenannter IMSI-Catcher, mit dem Verbindungen und darüber hinaus Gesprächsinhalte in Echtzeit verfolgt werden können, sei nicht eingesetzt worden.

Das entspreche nicht der Wahrheit, sagte Johannes Lichdi, Innenexperte der Grünen. Der Abgeordnete erklärte, ihm lägen Beweise vor, wonach ein solches Gerät am 19. Februar im Stadtgebiet eingesetzt worden sei. Er warf Ulbig vor: »Sie legen noch immer nicht alles auf den Tisch.« Der Minister präzisierte, ein solches Gerät sei in der Verantwortung der Polizeidirektion Dresden nicht verwendet worden. Die Nachfrage der SPD-Abgeordneten Sabine Friedel, ob andere den Catcher genutzt hätten, blieb zunächst unbeantwortet. Am Nachmittag erklärte der Minister, man könne die Verwendung in einem anderen Ermittlungsverfahren nicht ausschließen. Denkbar wäre ein vom LKA gegen 17 »Linksextremisten« eingeleitetes Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Die Frage nach dem IMSI-Catcher ist nicht die einzige, die Oppositionspolitiker auch nach einer achtstündigen Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuss sowie der Aktuellen Stunde umtreibt. In dieser hatte LINKE-Fraktionschef André Hahn erklärt, am 19. Februar sei offenbar »systematischer Rechtsbruch« erfolgt. Die massenhafte Ausspähung von Demonstranten, Anwohnern und Unbeteiligten zeuge von einem »tiefen Misstrauen der Regierung gegenüber der Bevölkerung«.

Trotz Hahns Aufforderung äußerte sich Regierungschef Tillich nicht. Für die Union erklärte Innenexperte Volker Bandmann, mit der Überwachung versuche man, nach den Ausschreitungen am 19. Februar die »Befehlsgeber der Gewaltorgie« zu finden. Kritik kam dagegen erneut von der FDP. Der Abgeordnete Carsten Biesok erklärte, die Daten seien zwar nicht rechtswidrig erhoben worden; es habe aber »massenhaften Missbrauch« gegeben. In Dresden sei »das erste praktische große Beispiel« exerziert worden, was Vorratsdatenspeicherung bewirken könne. Beim Einsatz solcher Mittel müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein: »Was wir hier erlebt haben, ist das Gegenteil.«

Wie weit die Sammelwut der Polizei ging, belegt der Umstand, dass auch Busunternehmen Auskünfte geben sollten, die am 19. Februar Demonstranten aus dem Bundesgebiet nach Dresden fuhren. Deren Ausforschung bestätigte Ulbig jetzt in der Antwort auf eine Anfrage der LINKEN.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


Rechte und Bürgerrechte

Von René Heilig **

Plötzlich ging alles sehr rasch. Lange und intensiv haben der Ex- und der Nun-Bundesinnenminister von der Union mit der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gestritten. Gestern, gerade noch pünktlich zur Sommerpause, lag plötzlich ein »Kompromiss« zur Fortschreibung der Anti-Terror-Gesetze auf dem Tisch.

Das schwarz-gelbe Bündnis bemühte sich offenbar, handlungsfähig zu erscheinen. Dabei haben nur die ganz Rechten in der Regierung ihren Willen bekommen – gegen die Bürgerrechte. Leutheusser-Schnarrenberger, die letzte Liberale mit Ministeramt, gab auf. Und sie wird demnächst wieder einknicken (müssen), wenn es um die Vorratsdatenspeicherung, die Kontrolle der Passagierdaten und andere staatliche Schnüffelattacken geht, die angeblich notwendig sind, um unsere Sicherheit zu garantieren.

Der Kampf war ohnehin ungleich. Auf der einen Seite standen neben ein paar Restliberalen noch die Oppositionellen aus der Linkspartei und einige nicht sehr kämpferische Grüne. Dazu kam eine zwar rührige, aber doch kleine, fast lobbylose außerparlamentarische Streitmacht. Die Union dagegen konnte sich bei ihrer Ausgestaltung der Schilyschen Gesetzgebung auf die Mehrheit der SPD-Abgeordneten stützen. Und die FDP-Führung? Weder Westerwelle noch Rösler, nicht einmal Generalschwätzer Lindner stellten sich mannhaft an die Seite ihrer Kollegin, die sich weder von der Union vorführen noch mit Almosen füttern lassen wollte.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


19. Februar: Es wurde abgehört

Sächsischer Innenminister unter steigendem Druck

Von Jörg Meyer ***


Die Handydatenaffäre in Dresden geht in eine neue Runde. Nachdem die schwarz-gelbe Koalition mit ihrer Mehrheit am Donnerstag eine weitere Debatte verhindert hatte, forderten die Oppositionsparteien in einem teils scharfen Schlagabtausch im Landtag erneut Aufklärung. Mit einer Funkzellenabfrage hatte die Polizei nach den Anti-Nazi-Protesten am 19. Februar dieses Jahres die Verbindungsdaten Tausender Menschen von Mobilfunkanbietern erhalten und diese ausgewertet. Dass auch am Tag selbst Gespräche direkt abgehört wurden oder ein sogenannter IMSI-Catcher eingesetzt wurde, mit dem Handys erfasst und abgehört werden können, hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) anfangs verneint. Später hatte er »nicht ausgeschlossen«, dass dies im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens geschehen sei.

Der Dresdner Rechtsanwalt und Linkspolitiker Andre Schollbach, der mehrere Mandanten in Zusammenhang mit dem 19. Februar vertritt, sagte gegenüber ND: »In meinem Besitz befindet sich ein Dokument vom sächsischen Landeskriminalamt, das den Einsatz eines IMSI-Catchers am 19. Februar belegt.« ND liegen zudem Papiere vor, die beweisen, dass die Mobiltelefone mehrerer Personen abgehört wurden. Das genaue Ausmaß der Aktion ist noch nicht klar. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag, dass zwei Handys gezielt abgehört wurden. Die LINKE wollte über weitere parlamentarische Schritte beraten. Fraktionsvorsitzender André Hahn forderte in einer Erklärung den Rücktritt von Ulbig, weil dieser die Unwahrheit gesagt habe und Fakten zurückhalte.

*** Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2011


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