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Vom Kreuz der Verdienste

Aufregung beim Zentralrat der Juden und bei Spiegel online über die Auszeichnung der Israel-Kritikerin Felicia Langer durch den Bundespräsidenten. Eine Dekodierung

Von Moshe Zuckermann *

Man mag sich die Frage stellen, warum sich honorige Menschen für ihr öffentliches Wirken von staatlichen Institutionen auszeichnen lassen. Abgesehen davon, daß politische, soziale oder kulturelle Lebensleistungen (zumeist) um ihrer selbst willen vollbracht worden sind, daher keiner anderer Entlohnung bedürfen, als eben die, daß verwirklicht wurde, was beabsichtigt war, birgt staatliche Verleihung von Preisen und Medaillen stets etwas Vereinnahmendes in sich. Man begibt sich gleichsam in die Obhut eines Kollektivgebildes, mit dessen Repräsentanten und den von ihm sonst Ausgezeichneten man sich nicht unbedingt eins weiß. Andererseits mag freilich die eigene Randständigkeit durch ebendiese staatsoffizielle Anerkennungssymbolik ein wenig gemindert werden; die Vereinsamung im Widerständischen wird quasi mit der Patina eines formalen Konsenses überzogen. Und wer darf schon behaupten, sich der narzißtischen Beschmeichelung, mithin der Möglichkeit einer formalen Absegnung des eigenen Lebenswerks, vollends entziehen zu können. Nicht zuletzt darauf basiert ja die durch abstrakte Anerkennung gesicherte Selbstsetzung des Staates als Quelle von Legitimation.

Humanitäres Lebenswerk

Nun hat also Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz für ihr humanitäres Lebenswerk verliehen bekommen. Eine in der Tat nicht für selbstverständlich zu erachtende Entscheidung des deutschen Bundespräsidenten; zeichnen sich doch deutsche Staatsoffizielle für gewöhnlich durch eine selbstauferlegte Vorsicht aus, bei »jüdischen Angelegenheiten« ja nicht in den Verruf des Antisemitischen, welchem immer schon Zionismus- und Israelkritik zugerechnet werden, zu geraten. Sogleich brach denn das zu erwartende Gezeter los. In Spiegel online wurde der Bericht Veit Medicks über die neue Unerhörtheit mit folgenden Worten zusammengefaßt: »Umstrittene Entscheidung im Schloß Bellevue: Bundespräsident Köhler hat einer Tübinger Anwältin das Bundesverdienstkreuz verliehen, die seit Jahren gegen Israel wettert. Der Zentralrat der Juden ist entsetzt – und erste Träger des Kreuzes drohen bereits mit Rückgabe ihrer eigenen Auszeichnung«.

Die Worte bedürfen der Dekodierung. Nicht ersichtlich ist, warum die Entscheidung als »umstritten« apostrophiert wird. Gewissen Menschen paßt es nicht in den Kram, daß man Felicia Langer für auszeichnungswürdig erachtet hat. Wer diese Menschen sind, was sie umtreibt und warum ihnen so viel Gewicht beigemessen wird, daß man die Entscheidung gleich als umstritten erscheinen läßt, hat mit jenem vorauseilenden moralischen Gehorsam der deutschen politischen Klasse denen gegenüber zu tun, die in Deutschland die Definitionsmacht innehaben, wer als »guter Jude/Israeli«, aber auch was unter »antisemitisch« zu verstehen sei. Denn nicht irgendeiner »Tübinger Anwältin« ist das Bundesverdienstkreuz verliehen worden, sondern der Jüdin und ehemaligen Israelin Felicia Langer. Ralf Dahrendorf hat vor Jahrzehnten von der tragischen Haltung jener Intellektueller gesprochen, »die der Gedanke an ihr Land so lange um den Schlaf bringt, bis sie es verlassen müssen, um sich selbst zu erhalten«. Felicia Langer hat ihr mutiges, aufopferungsreiches humanitäres Werk jahrzehntelang in Israel praktiziert, sich gegen die Unmenschlichkeit der Okkupation und der ihr strukturell innewohnenden Entrechtung der Palästinenser gestemmt, mithin sich dem Haß etablierter ideologischer Verblendung so lange ausgesetzt, bis sie nicht mehr konnte und ins »ruhigere« Tübingen zog, um ihr von universell-menschlichem Anstand getragenes Werk, das der Indifferenz gegenüber der Leiderfahrung der Geschundenen trotzt, aus und in Deutschland weiterzuführen. Felicia Langer »wettert« also nicht gegen Israel, so als handle es sich um die persönliche Idiosynkrasie einer pathologischen Querulantin, sondern sie ist bei dem Gedanken, was ihr (ehemaliges) Land verbricht, ein Leben lang um den Schlaf gebracht.

Das ist nun der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Israel zumindest insofern als sein Land ansieht, als er sich angesichts der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Felicia Langer »entsetzt« gibt, nie. Er ist stets israelsolidarisch, wie man es nur aus angemessener Entfernung sein kann. Das sei »ein Schock«, sagt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. »Deutschland hat damit jemanden ausgezeichnet, der professionell, chronisch und obsessiv die Dämonisierung Israels betreibt«. Langer trage »ihr Jüdischsein als Fahne vor sich her – doch ihre jahrelange Israel-Hetze macht das nicht besser«. Nun mag man sich fragen, wieso Graumann meint, daß die Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland ihr Jüdischsein weniger vor sich trügen als Langer, und ob er allen Ernstes meint, jemand in Deutschlands Öffentlichkeit würde auch nur einen Deut auf seine Anschauungen und auf die seiner Ratskollegen geben, wenn sie nicht ihr Jüdischsein vor sich trügen. Welchem Jüdischsein man sich verschreibt, darauf kommt es freilich an. Max Horkheimer sagte: »Kein Volk hat mehr gelitten als das jüdische, Leid ist in seinem Schicksal das Grundmotiv, und es hat aus dem Leid ein Moment der Dauer und der Einheit gemacht. Anstatt vor allem Bosheit und Gemeinheit zu erzeugen, hat sich das Leid in eine Art kollektiver Einsicht und Erfahrung umgesetzt. Leid und Hoffnung sind im jüdischen Volk untrennbar geworden«.

Soll Köhler selektieren?

Felicia Langer wußte sich dieser Grundeinsicht ein Leben lang verpflichtet, und zwar gerade angesicht des von Juden bei Nichtjuden verursachten Leids. Was kann hingegen das Jüdischsein des Zentralrats anderes bieten, als eine blinde Israel-Solidarität, die selbst dann nichts von ihrer selbstgefälligen Persistenz aufgibt, wenn Israel verbrecherisch auftritt, Leid verursacht und Barbarisches zeitigt, mithin das Jüdischsein im Horkheimerschen Sinne fundamental verrät.

Und dann der Schreck aller Schrecken: »Erste Träger des Kreuzes drohen bereits mit Rückgabe ihrer eigenen Auszeichnung«. Ralph Giordano und Arno Lustiger hätten dem deutschen Bundespräsidenten angedroht, ihre eigenen Bundesverdienstkreuze zurückzugeben, wenn das Staatsoberhaupt Felicia Langer den Orden nicht wieder entzieht. »In einer Ordensreihe mit Felicia Langer – das geht nicht«, sagt Giordano. Recht hat er, der Giordano: Langer in einer Ordenreihe mit ihm und seinesgleichen geht in der Tat nicht. Aber was will er? Will er allen Ernstes, daß der deutsche Bundespräsident eine Selektion zwischen den untereinander verfeindeten Juden vornimmt? Daß Deutsche staatsoffiziell entscheiden, wer der akzeptable Jude sei? Schon merkwürdig, was Juden im heutigen Deutschland so alles in den Sinn kommt. Hinzu kommt noch der Super-GAU, wie von Spiegel online berichtet: »Letztlich wird aber wohl auch die Bundesregierung ein paar Scherben beiseite kehren müssen. In der israelischen Presse ist der Streit längst angekommen, ein Israeli hat bereits angekündigt, aus Protest sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Sollten auch Giordano und Lustiger die Ehrung zurückgeben, dürfte das in Israel einige Aufmerksamkeit hervorrufen«.

Es ist in den letzten Tagen in der Tat aufgefallen: Ganz Israel hält den Atem – werden Giordano und Lustiger ihr Bundesverdienstkreuz zurückgeben oder nicht? Daß dabei der Israeli, der sein Bundesverdienstkreuz aus Protest zurückzugeben gedenkt, in der Berichterstattung anonym geblieben ist, hängt wohl damit zusammen, daß die Drohgebärde etwas mit Deutschland, kaum etwas mit Israel zu tun hat: Die allermeisten Israelis würden den Mann vermutlich fragen, wieso er als Jude dieses Bundesverdienstkreuz überhaupt angenommen hat.

Wenn also die deutsche Online-Zeitung meint, suggerieren zu sollen, daß die Rückgabe der Ehrungen durch Giordano, Lustiger und den anonymen Israeli »in Israel einige Aufmerksamkeit hervorrufen« dürfte, dann muß man sich fragen, was es mit dieser ominösen Einschätzung auf sich hat. Geht man davon aus, daß »Israel« für deutsche Ohren »Juden« bedeutet und »Juden« automatisch »Auschwitz«, dann kann die »Aufmerksamkeit«, welche die Rückgabe von Bundesverdienstkreuzen durch »Juden« zeitigt, nur bedeuten, daß »Deutschland« schleunigst seine eingeübte diplomatische Hab-Acht-Stellung einnehmen muß – eine neue Unerhörtheit der deutschen Gedenkkultur ist im Anzug: Felicia Langer hat das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen! Sollte Martin Walsers unsägliches Diktum von der Auschwitzkeule in Deutschland inzwischen – anders als von ihm gemeint – Realität geworden sein?

* Der Soziologe Prof. Moshe Zuckermann lehrt seit 1990 am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (Universität Tel Aviv) und war von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Sein aktuelles Buch »Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus« ist im Pahl-Rugenstein-Verlag erschienen. Hier geht es zu einer Buchbesprechung.

Aus: junge Welt, 24. Juli 2009



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