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"Die Gefahr ist nicht gebannt"

Bundestag verabschiedete Aufruf, der Konsequenzen aus dem NSU-Skandal fordert

Von Fabian Lambeck *

Das Parlament stimmte fraktionsübergreifend für die schnelle Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Die zuständigen Minister versprachen, umgehend zu handeln.

Vor fast sieben Jahren ermordeten die beiden NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit der Polizistin Michèle Kiesewetter Kiesewetter ihr letztes Opfer. Zwischen 2000 und 2007 soll der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zehn Morde – überwiegend an Migranten – begangen haben. Erst jetzt will die Bundesregierung auch gesetzliche Konsequenzen aus den Pannen bei der Verfolgung des NSU ziehen. Das zumindest versprachen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der für das Justizressort zuständige Heiko Maas (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Anlass ihres Besuchs dort war ein gemeinsamer Aufruf von Union, SPD, LINKEN und Grünen an die Bundesregierung, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses auch umzusetzen. Das Gremium hatte im August 2013 auf Grundlage seiner Ermittlungen 50 konkrete Empfehlungen für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz erarbeitet. Unter anderem wird ein Mentalitätswechsel bei Polizei und Verfassungsschutz gefordert. Zudem soll die Präventionsarbeit ausgebaut werden, um das Abrutschen junger Menschen in die rechtsextreme Szene zu verhindern.

Die Linkspolitikerin Petra Pau, die als Obfrau im Ausschuss gesessen hatte, mahnte in ihrer Rede: »Die Gefahr ist nicht gebannt, sie ist ungebrochen hoch. Deshalb dürfen wir das Kapitel NSU nicht schließen.« Pau beklagte, bislang sei zu wenig passiert. Zu viele hätten die Lektion noch nicht gelernt. Zu lange sei die Gefahr ausgeblendet worden, »weil nicht sein durfte, was nicht sein darf«. Die SPD-Obfrau Eva Högl forderte, der Abschlussbericht dürfe nicht in der Schublade verschwinden.

Die Minister Maas und de Maizière versicherten den Parlamentariern, dass entsprechende Gesetzespläne bereits in Arbeit seien. Justizminister Maas kündigte an, bis Ostern einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die Befugnisse des Generalbundesanwalts zu erweitern. Demnach soll dieser die Ermittlungen an sich ziehen können, wenn ein besonders schweres Staatsschutzdelikt vorliege. Zudem plane man eine Änderung des Strafgesetzbuches, um rassistische Motive bei der Strafzumessung stärker zu berücksichtigen.

Damit knüpft der Minister an einer Initiative des Bundesrates vom März 2012 an. Damals hatte die SPD-geführte Länderkammer einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem »Hasskriminalität« härter bestraft werden sollte. Dazu zählte man »menschenverachtende, insbesondere rassistische oder fremdenfeindliche Beweggründe«. Der Vorstoß scheiterte an der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag. Der damalige Bundesverteidigungsminister de Maizière ist nun für Inneres zuständig. Gegenüber den Abgeordneten erklärte er gestern, an einer Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes arbeite man derzeit bereits. Zusammen mit seinem Kollegen Heiko Maas werde er in der kommenden Woche »dem Bundeskabinett einen Bericht vorlegen, in dem umfassend beschrieben wird, wie es um die Umsetzung der Empfehlungen steht«.

Obwohl es in der Debatte gestern eigentlich nur um den NSU gehen sollte, konnte sich der Innenminister einen Verweis auf linke »Extremisten« nicht verkneifen. Indirekt bestätigte er, was viele linke Aktivisten ohnehin vermuten: Die Extremismusklausel sei zwar offiziell abgeschafft worden, so de Maizière, aber zugleich habe man in die Förderbescheide eine Nebenbestimmung aufgenommen: »Die Bedingung, dass sie alles dafür tun, dass mit staatlichem Geld keine Extremisten gefördert werden.« Somit bleibt der Bekenntniszwang für antifaschistische Vereine, die Geld für Präventionsarbeit beantragen, auch weiterhin bestehen.

Kritik an dem Aufruf in Sachen NSU, den der Bundestag einstimmig verabschiedete, kam am Donnerstag von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU). »Dem Verfassungsschutz werden trotz seiner Verstrickungen weder die geheimdienstlichen Mittel entzogen noch wird der umstrittene Einsatz von V-Leuten verboten«.

Ebenso wie die Amadeu-Antonio-Stiftung verlangte die HU, sich stärker mit dem Problem des »institutionellen Rassismus« in den Behörden auseinanderzusetzen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014


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