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Bemerkungen zur Zivilklausel und ihrer Operationalisierung

Von Wolfgang Neef *

1. Allgemeines

Zivilklauseln gehören zu den Versuchen, die immer notwendigeren Grenzen gegenüber den wachsenden Bestrebungen einer „Kolonialisierung“ der Hochschulen durch Verwertungsinteressen zu formulieren und praktisch umzusetzen. In den vergangenen 30 Jahren wurden die Hochschulen durch die Kürzung öffentlicher Mittel in Zuge der Umsetzung der neoliberalen Ideologie bei wachsender Belastung in Forschung und Lehre immer mehr gezwungen, „Drittmittel“ einzuwerben. Inzwischen ist das Maß der Einwerbung solcher Mittel geradezu zum Leistungsindikator geworden – eine perverse Umkehrung des gesellschaftlichen Auftrags: Je mehr ihre Arbeit privatisiert wird, z.B. durch Forschung für die Industrie, Lehrbeauftragte aus der Industrie und die Geheimhaltung von Ergebnissen, desto selbstgefälliger die Rechenschaftsberichte der PräsidentInnen und Hochschullehrer.

Zivilklauseln bringen das Problem mit sich, dass sie meist – wie auch die Tübinger Klausel – sehr allgemein formuliert sind und damit nur schwer operationalisierbar. Man muss sie deshalb für die tägliche Praxis mit Kriterien unterfüttern, die es erlauben, Projekte zu beurteilen und im öffentlichen Diskurs für oder gegen sie zu argumentieren.

Zu diesen Kriterien gehören aus meiner Sicht:
  1. Geldgeber
  2. Thema, Forschungsziel, Methoden
  3. Veröffentlichungsbereitschaft
  4. Informationen von Beteiligten
Wichtiger als das Abarbeiten eines Kriterien-Katalogs ist aber, dass die Universität alle Forschungsprojekte öffentlich macht. Dafür gibt es z.B. Rechenschaftsberichte, möglichst jährlich, die über Themen, Inhalte und Geldgeber Auskunft geben. Da sich zudem die Kriterien bzw. ihre Beurteilung für „Rüstungs- relevante Forschung“ ändern können, ist entscheidend wichtig, dass es eine kritische Öffentlichkeit in den Universitäten gibt, die in Zweifelsfällen eine Debatte beginnt um Projekte, die rüstungsrelevant sein könnten.

Diese kritische Öffentlichkeit ist nicht nur für Fragen von Rüstungsforschung entscheidend wichtig, sondern generell für die Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung von Forschung und Lehre an unseren Hochschulen und für die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft: Werte, Ziele, Methoden sollten nicht nur unter Wissenschafts-immanenten Gesichtspunkten immer wieder neu diskutiert werden, sondern unter Beteiligung möglichst vieler Bürger, Organisationen, Verbände. Mit den Versuchen der engen Funktionalisierung der Lehre durch den Bologna-Prozess (der ursprünglich ganz andere Ziele hatte) für die Ausbildung vom „Beschäftigungs-System“ nachgefragter beruflicher „skills“ und der „Excellenz“- Manie, verbunden mit einer Art Tonnen-Ideologie für die Leistungsmessung in Forschung und Lehre an den Hochschulen, erscheinen allerdings diese Selbstverständlichkeiten manchmal wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit.

2. Umsetzung der Zivilklausel an der TU Berlin

Am 29.5.1991 beschloss der Akademische Senat (AS) der TU Berlin einstimmig, das bis zur „Wende“ in West-Berlin geltende Verbot rüstungsrelevanter Forschung und Lehre durch die Alliierten (ein Resultat der Verstrickung der TH Charlottenburg in die Nazi-Verbrechen) durch eine Art Selbstverpflichtung weiter zu führen. Dieser Beschluss wurde durch einen Passus in der für jedes Drittmittel-Projekt erforderlichen “Anzeige eines Projektes“ umgesetzt: „Soll das angestrebte Projektergebnis für militärische Zwecke genutzt werden? – ja, nein“. Diese Anzeige geht vor der Antragstellung über den Geschäftsführenden Direktor bzw. Institutsrat, den Dekan bzw. Fakultätsrat, meist über die Forschungskommissionen der Fakultäten, an den „Service-Bereich Forschung“ und wird dort geprüft. In all diesen Gremien sitzen Vertreter aller vier Gruppen der Hochschule: ProfessorInnen, Wiss. MitarbeiterInnen, Studierende und „Sonstige Beschäftigte“, so dass bereits dort die Möglichkeit besteht, kritische Fragen zu stellen – z.B., wenn der Geldgeber eine militärische Institution ist.

Die TU Berlin hat zudem in ihrem „Leitbild“ vom 13. April 2011 [externer Link] die Zivilklausel noch einmal bekräftigt: „Wir verfolgen in Forschung und Lehre ausschließlich zivile Zwecke“.

Es gibt allerdings an der TU Berlin keinen „Fall“, den man schildern könnte. Das kann man so deuten, dass die Klausel wirksam war, dass aufgrund der TU-Tradition bislang niemand den Versuch gemacht hat, dort Rüstungsforschung zu betreiben, oder dass bislang nur keiner aufgefallen ist. Letzteres halte ich aber für unwahrscheinlich. Es gibt in jeder Verwaltung und natürlich unter den Studierenden, aber auch ProfessorInnen und Akademischen Mitarbeiterinnen durchaus kritische Geister (z.B. bei verdi organisierte „Sonstige MitarbeiterInnen“, im AStA oder in den Fachbereichsgruppen aktive Studierende, Mittelbau- Angehörige, ProfessorInnen, Gremienmitglieder), die gerade an der TU Berlin relativ gut und unter politischen Gesichtspunkten organisiert sind. Diese politisch aktiven TU-Angehörigen haben ja auch dafür gesorgt, dass im TU-Leitbild die Zivilklausel explizit auftaucht. Selbst oder gerade wenn etwas geheim gehalten werden soll: An Hochschulen kommt es in der Regel früher oder später in die Öffentlichkeit.

3. Transparenz und kritischer Diskurs als Grundbedingung

Alle Klauseln und Präambeln in Gesetzen, Ordnungen etc. nützen nichts, wenn es keine kritische Öffentlichkeit an den Hochschulen gibt. Transparenz entsteht nur, wenn sie von aktiven Menschen hergestellt wird. Insofern ist aus meiner Sicht für die Frage der Wirksamkeit von Zivilklauseln eine aktive Kultur des kritischen, gesellschaftsbezogenen Diskurses über die Wissenschaft und ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen Entstehungsbedingungen und Wirkungen Grundvoraussetzung. Auch hier würde ich sagen, dass Zivilklauseln nur einen Teil des notwendigen Prozesses öffentlicher Verarbeitung, Infragestellung, Analyse des Wissenschaftsbetriebs und der Anwendung in der gesellschaftlichen Praxis darstellen. Es wäre grundfalsch, wenn man diesen Prozess – wie auch in der Diskussion um die Zivilklauseln zum Teil geschehen – gedanklich immer wieder mit den Studierenden und ihren Aktivitäten koppelt und ihnen damit den größten Teil der Verantwortung für den Diskurs zuschiebt. An der TU Berlin haben wir die Erfahrung gemacht, dass die immer erneute Belebung der Debatte um Verantwortung in der Wissenschaft nur dann wirklich lebendig ist und Konsequenzen hat, wenn sie von allen vier Gruppen in der Hochschule getragen wird. In den vergangenen Jahren gab es durchaus Schwächeanfälle bei den TUStudierenden, was vor einigen Jahren sogar zu einem - allerdings nur kurzen – korrupten Regime des RCDS und seiner Fellow-Travellers im AStA der TU Berlin geführt hat. Hätten nicht die kritischen Potentiale der anderen Gruppen als Ausgleich fungiert, hätte das durchaus länger dauern können.

Auch die Hochschulleitung hat eine große Verpflichtung, sich gegen die bereits erwähnte „Kolonialisierung“ durch vielfältige Verwertungsinteressen zur Wehr zu setzen: Klare Positionen gegenüber dem „großen Geld“ (wie sie sich ja auch in Bremen durchgesetzt haben) sind dabei ebenso vonnöten wie die Entschlossenheit, die neoliberalen Rezepte für die Ökonomisierung der Hochschulen und ihre untauglichen strukturellen Instrumente abzuwehren (Hochschulräte, besetzt mehrheitlich von Repräsentanten des Kapitals; hierarchische Leitungsmodelle; Vorherrschaft von Steuerungsmodellen, die Wissenschaft unter ein Kosten-Nutzen-Raster zwingen; Drittmittel-Fetischisierung etc.). Leider kann man nicht davon spre4 chen, dass hier ausreichend Mut zum Widerstand zu beobachten war, selbst wenn diese Systeme nur die klassische Verwaltungs-Bürokratie durch eine Rankings- und Evaluierungs-Bürokratie ersetzt haben und damit die wissenschaftliche Arbeit ebenso oder gar stärker behindern. Die für die Wirkung von Zivilklauseln unabdingbaren Elemente, insbesondere das unabhängige Denken aller Hochschulangehörigen, werden, einmal in diese Bahnen gelenkt, immer schwächer zur Wirkung kommen.

4. Erweitertes Verständnis von Zivilklauseln

Mit der neoliberalen Ökonomisierung der Hochschulen hält eine ökonomische Ideologie Einzug auch in die Hochschulen, die in ihrem Wesen eine Kriegs-Ökonomie ist. Kapitalistische Konzerne sind militärisch organisierte, hochgerüstete Kampfverbände, die sich gegenseitig nieder-konkurrieren. Sie sind nach innen nach dem Muster des Militärs hierarchisch aufgebaut und operieren nach außen aggressiv bis kriminell. Die gesamte Sprache dieser Sorte von Wirtschaft ist ausgeprägt kriegerisch. Zitat eines im VDI aktiven Chefingenieurs einer Firma im Badischen, die mit ca. 1500 Beschäftigten auf dem globalen „Markt“ tätig ist: „Wir müssen unsere Studierenden fit machen für den Wirtschaftskrieg“ – es ging um Ingenieur-Ausbildung. Schumpeter benutzt für die Innovations-Strategien des Kapitalismus den Begriff „Schöpferische Zerstörung“. Kennzeichnend für die Ökonomisierung aller Lebensbereiche ist die Konkurrenz: Intern in den Unternehmen unter den Beschäftigten, extern eben als „Wirtschaftskrieg“. Jean Ziegler spricht davon, dass ständiger Hunger und chronische Unterernährung von Menschen gemacht sind: Verantwortlich ist die „mörderische Ordnung der Welt. Wer auch immer an Hunger stirbt: Er ist Opfer eines Mordes“. Man könnte auch die inzwischen eine Million jährlichen Opfer des ständig wachsenden Verkehrs weltweit nennen oder die Tausende von Bauern, die durch „Land-Grabbing“ z.B. in Afrika oder Südamerika ihre Lebensgrundlagen verlieren.

So sollen auch Hochschulen im „Excellenz-Wettbewerb“ um die immer knapper gemachten Mittel zu solchen Kampfverbänden mutieren, sich gegenseitig ausstechen; auch im Studium geht es immer offener um Konkurrenz unter den Studierenden um die besten Noten. Die Schumpetersche Formulierung kennzeichnet die ständige aggressive Umwälzung der gesamten gesellschaftlichen Strukturen. Es wird nicht nur Krieg unter den beteiligten Menschen propagiert, mit Gewinnern und Verlierern, sondern auch ein Krieg gegen die Natur geführt, der inzwischen zum Teil irreversible Zerstörungen der Lebensgrundlagen der Menschen angerichtet hat. Wir übernutzten schon im Jahr 2010 die Reproduktionsfähigkeit des Planeten um das 1,5-fache (WWF-Living Planet Report 2010). Konsequenz dieser Gewalttätigkeiten sind ja schon seit Jahrzehnten Kriege um knapper werdende Ressourcen.

Insofern sind die Befürworter der Zivilklauseln gut beraten, wenn sie nicht nur die militärische Rüstung, also die Forschung und Entwicklung an und von Waffensystemen zum direkten Töten von Menschen, sondern auch die Forschung und Lehre für wirtschaftliche und technische „zivile“ Hochrüstung zum Kampf aller gegen alle in ihre Debatten einbeziehen. Denn logisch weiter gedacht, ist das Propagieren und Entwickeln militärischer Strategien zur „Ressourcen-Sicherung“ eine unmittelbare Folge dieser Kriegs-Ökonomie: Das Weißbuch der Bundeswehr belegt das ebenso wie die „unbedachten“ Äußerungen unseres vorletzten Bundespräsidenten (ein Ökonom mit einschlägiger Vergangenheit) zur notwendigen bewaffneten Sicherung von Ressourcen und der Wege zu ihrer Lieferung nach Deutschland.

Vielleicht ist es deshalb in der Tat besser, die „Zivilklauseln“ in „Friedensklauseln“ umzubenennen, da diese Form des „Zivilen“ den militärischen und gewalttätigen Charakter des modernen Industriesystems eher verdeckt. Es wird darum gehen, in den Industrienationen ökonomisch und technisch abzurüsten, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und das friedliche Zusammenleben der Menschen wieder möglich zu machen. Hier liegt die große Aufgabe der Wissenschaft, geleitet von „Friedensklauseln“ und der Verantwortung für die Folgen von Wissenschaft und Technik für Mensch und Tier. Ohne eine solche „große Transformation“ dürfte die Formulierung von Brecht im „Leben des Galilei“ die Wirklichkeit für weitere Jahrzehnte prägen: „Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass der Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte“.

Berlin, den 13.03.2012

* Dr. Wolfgang Neef ist Vorstandsmitglied der "NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.", Berlin.

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Zivil- oder Friedensklausel?
Anmerkungen zum Beitrag von Wolfgang Neef: "Bemerkungen zur Zivilklausel und ihrer Operationalisierung". Von Dietrich Schulze (17. März 2012)




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