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Die Zukunft der europäischen Sicherheitslandschaft bleibt ungewiss

Keine restlose Klarheit über das künftige Vorgehen der NATO

Von Hans Voß *

Die bayerische Landeshauptstadt bot am Wochenende das gewohnte Bild: Auf den Straßen demonstrierten Kriegsgegner gegen eine Konferenz, die ihrer Meinung nach Anstöße für neue militärische Konflikte gibt. Die Konferenzteilnehmer glauben der Sicherheit zu dienen.

Im noblen Hotel »Bayerischer Hof« versammelten sich einige Hundert Politiker, Publizisten und hohe Offiziere, um Meinungen über die internationale Sicherheitslage auszutauschen. Waren diese Treffen vor Jahren noch reine NATO-Veranstaltungen, von einseitigen kriegerischen Vorgehensweisen geprägt, so sind im Zuge der veränderten Weltsituation andere Akteure hinzugekommen. Führende russische Politiker sind inzwischen regelmäßig zugegen. Diesmal vertrat Außenminister Sergej Lawrow die Moskauer Führung. Stolz registrierten die Veranstalter, dass auch der chinesische Außenminister Yiang Jiechi angereist war, der die Außenpolitik seines Landes überaus selbstbewusst darstellte.

Überraschend erschien überdies der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki, der den Anlass für eine gründliche Debatte über das iranische Nuklearprogramm bot – ein Problem, das die anderen Themen der Konferenz zeitweise zu überlagern drohte.

Wenngleich militärische Akzente nach wie vor ein wichtiger Diskussionsgegenstand waren – in diesem Jahr vor allem Afghanistan, das die US-Vertreter zum wichtigsten Anliegen zu machen versuchten –, so entwickelt sich die Münchener Konferenz immer mehr zu einem Testgebiet für die Ost-West-Beziehungen insgesamt. Zu fragen war: Bleiben diese Beziehungen verhärtet oder lockern sie sich auf? Wächst das Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands, die lange Zeit ignoriert wurden? Tendenzen in dieser Hinsicht auszumachen war besonders wichtig. Einerseits liegt der Vorschlag Dmitri Medwedjews auf dem Tisch, einen neuen verbindlichen Sicherheitsvertrag für Europa abzuschließen, der allen teilnehmenden Staaten gleiche Sicherheit bieten soll. Andererseits wird in der NATO an einem neuen strategischen Konzept gearbeitet, das die Rolle des Paktes für lange Zeit festschreiben soll. Dabei verdient Beachtung, ob die NATO an ihrem Kurs der Osterweiterung festhält, die von Russland als Einkreisung verstanden wird.

Wie sieht eine künftige Raketenabwehr in Europa aus, nachdem die USA ihre ursprünglichen Pläne zur Stationierung solcher Elemente in Polen und Tschechien aufgegeben haben und andere Optionen erwägen? München brachte keine restlose Klarheit über das Vorgehen der NATO-Staaten. Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Regierung Barack Obamas derzeit anderen Prioritäten folgt und den Problemen Europas geringere Aufmerksamkeit schenkt. Symptomatisch dafür ist die Tatsache, dass kein führender Vertreter der Regierung nach München entsandt wurde. Die USA waren durch den Sicherheitsberater des Präsidenten, James L. Jones, vertreten.

Sergej Lawrow unterstrich seinerseits das fortbestehende Interesse der russischen Führung an einer Neubestimmung des europäischen Sicherheitsgefüges. Er hob die Vorteile eines verbindlichen Sicherheitsvertrages für alle Staaten hervor. Er würdigte die Rolle der OSZE und des so genannten Korfu-Prozesses, der in der Organisation als Forum der konzeptionellen Grundsatzdiskussion ins Leben gerufen worden ist. Der russische Außenminister vermerkte jedoch kritisch, dass nicht alle OSZE-Staaten das notwendige Interesse zeigen, eine höhere Stufe der europäischen Sicherheitsstrukturen zu erreichen.

Wer hoffte, dass in München größere Klarheit hinsichtlich der künftigen Stellung der NATO sichtbar werden würde, sieht sich enttäuscht. Gegenstand der Aussprache war vordergründig die Rolle der NATO in Afghanistan. Nach der Londoner Afghanistan-Konferenz eine Woche zuvor und dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Istanbul vor wenigen Tagen konnten Präsident Hamid Karsai und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aber keine neuen Erkenntnisse vermitteln. Nur eines wurde deutlich: Der positive Ausgang des militärischen Abenteuers am Hindukusch ist für den Pakt essenziell.

Im Übrigen blieben die bisherigen Koordinaten der NATO bestehen. Noch in diesem Jahr soll ein neues strategisches Konzept der Allianz verabschiedet werden. Es soll eine Erweiterung des bisherigen Sicherheitsbegriffs enthalten. Nach wie vor ist die weitere Ostausdehnung der NATO im Gespräch, wenn auch aus taktischen Gründen das Tempo verlangsamt werden soll. Die USA wollen an ihren Plänen festhalten, Patriot-Raketen in Polen, Tschechien und Rumänien zu stationieren. Ein ausdrückliches Eingehen auf den russischen Vorschlag eines neuen gesamteuropäischen Sicherheitsvertrages erfolgt nicht.

Alles in allem: Die Zeichen stehen zwar nicht auf Sturm. Eine spürbare Entlastung für die europäischen Sicherheitsstrukturen ist aber auch nicht in Sicht.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010


Angekommen im Kalten Frieden

Notizen aus dem Münchner Konferenzsaal

Von Wolfgang Gehrcke **

Das Teilnehmerverzeichnis der 46. Münchner Sicherheitskonferenz lässt die einen vor Ehrfurcht erstarren, die anderen sich mit Abscheu abwenden. Nicht nur Inhalte, wie immer vorgegeben wird, sondern auch der Wunsch zu sehen und gesehen zu werden, treibt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im »Bayerischen Hof« in München zusammen. So manche und so mancher, deren oder dessen Name mit Kriegen und Umstürzen aufs Engste verbunden ist, hält hier in München Hof. Altmeister Henry Kissinger, der Architekt des CIA-Putsches in Chile, Madeleine Albright, Mitverantwortliche für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, General Stanley McChrystal, ISAF-Commander in Afghanistan, ebenso wie Veteranen der Irakkriege. Andere, Nachdenklichere fallen weniger auf, gehören offensichtlich selten zu den Stars. Und doch sind sie da: Sergej Lawrow, russischer Außenminister, regt ein gemeinsames Nachdenken über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa an. Die Reaktion darauf ist freundlich und mitleidig desinteressiert. Lady Catherine Ashton, der neue Euro-Star, bescheidet ihn freundlich: Wir haben doch schon alles.

Aus dem Saal steigt eine Wolke versammelten alten Denkens. Der Wunsch, stabile Rezepte zur Behebung der großen Krisen unserer Zeit zu haben, macht unkreativ. Immer wieder wird auf die NATO verwiesen. Der Krieg gegen den Terror soll fortgeführt werden und der Einsatz neuer Waffensysteme wird nicht ausgeschlossen. Die Vorstellung des US-Präsidenten Barack Obama für eine Welt ohne Atomwaffen findet Sympathie und Zuspruch, über Zeiträume und Wege dorthin wird nachgedacht. Das ist gut. Selbst hochrangige Militärs werden für einen Moment zu Pazifisten. Aber nur für einen Moment. Dann spricht man über taktische Atomwaffen, über Mini-Nukes und dass gegenüber Iran alle Optionen, ausdrücklich auch genannt die militärische, auf dem Tisch bleiben müssen. Die Forderung aus Saudi-Arabien, der Türkei und Ägypten nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten wird nicht ernsthaft erörtert. Nicht ernsthaft erörtert wird auch der Vorschlag des iranischen Außenministers, die Urananreicherung im Ausland, genauer gesagt in Russland und Frankreich, vornehmen zu lassen. Es mag sein, dass der Vorschlag und seine Präsentation unzureichend sind. Aber dass man eine solche Chance nicht näher prüft, ist völlig unverständlich. Es sei denn, dass man gar keine genaue Prüfung wollte und das Urteil schon vorher feststand.

Wenn US-Senator Joseph Lieberman Iran als Schurkenstaat brandmarkt und der stellvertretende israelische Außenminister Daniel Ayalon die arabischen Diplomaten von oben herab abkanzelt, kommt Stimmung in dem ansonsten so kultivierten Saal auf. Immerhin, Fortschritte sind erreicht worden: Statt Kaltem Krieg betreibt man Kalten Frieden.

** Der Autor sitzt für die Linksfraktion im außenpolitischen Ausschuss des Bundestages.

Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010



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