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Wenig Vertrauen in die Verträge

Bundestag debattierte über die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta

Von Fabian Lambeck *

SPD und Union verteidigten am Donnerstag die Handelsabkommen mit den USA und Kanada gegen die Kritik von LINKE und Grünen. Dabei stützten sie sich auf fragwürdige Argumente.

Zumindest eines steht fest: Die beiden transatlantischen Freihandelsabkommen Ceta und TTIP wirken belebend auf die parlamentarische Streitkultur. So lieferten sich am Donnerstag gleich mehrere Bundestagsabgeordnete ein packendes Duell rund ums Podium. Den Anfang machte Linksfraktionsvize Klaus Ernst, dessen Partei einen Antrag eingebracht hatte, der die SPD vorführen sollte. Die Sozialdemokraten hatten sich auf ihrem Konvent am Wochenende auf »rote Linien« für die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen geeinigt. Die Linksfraktion wollte nun die Probe aufs Exempel machen und packte jene Punkte in einen Antrag. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nannte den Vorstoß später eine »Showveranstaltung«. Ohnehin sei die LINKE eine »Jobkillerpartei«, die mit ihrer Ablehnung von Ceta und TTIP »zurück in den Nationalstaat« wolle.

Klaus Ernst wiederum beklagte die Geheimhaltung der Verhandlungen um Ceta und TTIP. Auch nach Übermittlung der Antworten der Regierung auf die 125 Fragen seiner Fraktion seien viele Sachverhalte noch ungeklärt. Das Ceta-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, das am Freitag in Ottawa vorgestellt wird, sei »eine Blaupause« für TTIP, so Ernst. An Gabriel gerichtet fragte er, ob dieser glaube, »dass sich die Amerikaner mit weniger zufriedengeben als die Kanadier«. Damit spielte er auf den Konventsbeschluss an, der Schiedsgerichte ablehnt, an denen Konzerne Staaten verklagen können. Doch gerade dies sieht Ceta vor. Auch Gabriel wusste das und meinte, Ceta müsse eben weiter verhandelt werden. Aber gerade dies will der zuständige EU-Kommissar Karel de Gucht auf keinen Fall. Sollte neu verhandelt werden, sei »das Abkommen tot«, zitierte ihn die »Frankfurter Allgemeine« am Donnerstag.

Gabriel musste indes auf eine Intervention der Grünen Bärbel Höhn reagieren. Mit staatsmännischer Coolness wies er deren Vorwurf zurück, Ceta würde Fracking begünstigen. Da hatte sich Gabriel zu weit vorgewagt. Schließlich wird allein die Übersetzung des Vertragswerks ins Deutsche rund acht Monate in Anspruch nehmen, wie er einräumen musste. Angesichts dieses hochkomplexen Abkommens bestimmte Dinge auszuschließen, ist blauäugig.

Und nur weil ein paar Grüne EU-Parlamentarier die Leitlinien der Union zu den TTIP-Verhandlungen ins Netz stellten, weiß die Öffentlichkeit nun wenigstens halbwegs, was hier Sache ist. »Die EU-Kommission scheut offensichtlich eine öffentliche Debatte«, so Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

Auf die Kritik an der Geheimniskrämerei der transatlantischen Verhandlungspartner ging Gabriel nicht ein. Stattdessen verstieg er sich in die Behauptung, der Mittelstand werde von TTIP profitieren. Eine Umfrage der Commerzbank unter Mittelständlern zeigt aber ein ganz anderes Bild. Demnach sehen lediglich 15 Prozent in dem Vertragswerk ein positives Geschäftspotenzial. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) sieht in TTIP vor allem einen Vorteil für Großkonzerne.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber bewies dann, dass die Union auch dann an einer Kommunikationsstrategie festhält, wenn diese von der Presse bereits als geschönt entlarvt worden ist. So hatte »Spiegel Online« am Montag berichtet, dass die Argumentation der CDU zu TTIP auf umstrittenen Zahlen beruhe, »die beliebig zusammengewürfelt wurden«. Doch das hielt Tauber nicht davon ab, diese Zahlen erneut zu präsentieren. »200 000 neue Arbeitsplätze« werde TTIP bringen, so Tauber. In der Studie der Bertelsmann-Stiftung, auf die sich die CDU bezieht, ist aber nur von rund 181 000 zusätzlichen Jobs die Rede. Und das auch nur im allergünstigsten Fall. Die Christdemokraten hatten den ohnehin fragwürdigen Wert einfach aufgerundet. Auch Taubers Behauptung, durch TTIP könnte das Jahreseinkommen einer vierköpfigen Familie um rund 500 Euro im Jahr wachsen, ist eine Übertreibung, die fast schon den Tatbestand der Täuschung erfüllt. »Spiegel Online« hatte sich die entsprechende Studie des Centers for Economic Policy Research genauer angesehen und festgestellt, dass der Gewinn pro Familie nur 99 Euro betragen könnte – im Jahre 2027.

Letztendlich scheiterte die LINKE mit ihren beiden Anträgen. Auch der Vorstoß, der die roten Linien des SPD-Konvents aufgenommen hatte, fand keine Mehrheit. Auch nicht bei der SPD. Das gleiche Schicksal war einem Antrag der Grünen gegen die Klageprivilege der Konzerne beschieden.

* Aus: neues deutschland, Freitag 26. September 2014


Paralleljustiz »unbedeutend«

Bundestag lehnt Anträge ab, die Freihandelsabkommen eindämmen sollen **

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erkennt die Gefahren von Schutzklauseln für Konzerne beim Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Canada-EU Trade Agreement / CETA). »Es ist völlig klar, daß wir diese Investitionsschutz-Regeln ablehnen«, sagte der SPD-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag. Es dürfe keine Paralleljustiz für ausländische Investoren geben. Trotzdem hält er diesen Aspekt für zu »unbedeutend, als daß wir deshalb das gesamte Abkommen jetzt schon in den Orkus werfen sollten«.

Grüne und Linkspartei warnten im Bundestag dagegen erneut vor einer Aushöhlung der Demokratie, wenn Konzerne Staaten vor Schiedsgerichten auf Schadenersatz verklagen könnten. So versucht etwa der schwedische Energiekonzern Vattenfall vor US-Gerichten, wegen des deutschen Atomausstiegs Milliarden von der BRD zu erhalten. Linksfraktionsvize Klaus Ernst kritisierte, EU und USA führten Geheimverhandlungen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf Gabriel einen »Eiertanz« vor.

So erklärte Gabriel zwar, er verlange von der EU-Kommission, Schutzklauseln für Konzerne im bereits fertig ausgehandelten CETA-Vertrag mit Kanada zu streichen. Anträge der Linkspartei, die »rote Linien« aufgriffen, die von der SPD zuvor bei einem kleinen Parteitag zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (Transatlantic Trade and Investment Partnership/TTIP) aufgestellt worden waren, lehnte der Bundestag mit der großen Mehrheit aus CDU/CSU und SPD allerdings ab. Ernst warf Gabriel vor, sein Widerstand gegen die Schutzklauseln sei nur Show. CETA gilt als Blaupause für das Handelsabkommen TTIP.

Die EU-Kommission will am Freitag auf einem EU-Kanada-Gipfel in Ottawa offiziell den CETA-Abschluß verkünden. Unklar ist noch, ob der rund 1500 Seiten starke Vertrag die Zustimmung der nationalen Parlamente braucht – oder ein Ja von EU-Parlament und Rat ausreicht. Bundespräsident Joachim Gauck hat bei einem Staatsbesuch in Ottawa das Freihandelsabkommen begrüßt. »Es kann die Voraussetzungen dafür schaffen, unsere Wirtschaftsbeziehungen auf ein neues Fundament zu stellen und Wohlstand und Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlantiks zu mehren«, sagte er am Donnerstag laut vorab verbreitetem Redemanuskript. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht klar hinter den Freihandelsabkommen.

** Aus: junge Welt, Freitag 26. September 2014


Testlauf für TTIP

Freihandelsabkommen CETA »fertig«

Von Jana Frielinghaus ***


Am Freitag (Ortszeit) begann in Ottawa ein Gipfel, auf dem Vertreter Kanadas und der Europäischen Union den Abschluß der politischen Verhandlungen über das »Comprehensive Economic and Trade Agreement« (CETA) zwischen dem nord­amerikanischen Land und der EU verkünden wollten. Empört ließ Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag klarstellen: Es könne keine Rede davon sein, daß das Freihandelsabkommen vor dem Abschluß stehe, denn unter anderem sei die Frage, wer es auf europäischer Seite unterzeichne, noch gar nicht geregelt.

Gabriel selbst hatte am Donnerstag im Bundestag bereits betont, die deutsche Regierung bestehe auf Nachverhandlungen. Vor allem das Investitionsschutzkapitel sei für Deutschland nicht zustimmungsfähig, allerdings insgesamt zu »unbedeutend«, um daran den Gesamtvertrag scheitern zu lassen. Die Kommission lehnt ein Wiederaufschnüren des Pakets jedoch strikt ab. Mehr als ein Ablenkungsmanöver von der Tatsache, daß längst alles in trockenen Tüchern ist, dürfte Gabriels Zeterei also nicht sein. Zumal der Minister zugleich beteuerte, er wolle »unbedingt« den Abschluß des Abkommens. CETA ist die Vereinbarung, bei deren Erarbeitung weitgehend alles so gelaufen ist, wie es beim noch in Arbeit befindlichen Abkommen TTIP zwischen der EU und den USA eigentlich hätte laufen sollen: so geräuschlos und klandestin, daß jeder Protest zu spät kommt. Klassische Politik des 19. Jahrhunderts also. Denn die Bürger der Union haben erst in den letzten Monaten von den Verhandlungen mit Kanada gehört – als das Wesentliche längst festgeklopft und die Erwartungen der Konzerne erfüllt waren. Und erst jetzt können europäische Parlamentarier das Vertragswerk studieren.

Viele von ihnen wissen trotzdem ganz genau, daß CETA ein Segen für Handel und Wandel und Wohlstandsgewinn für alle Seiten sein wird, und der Bundesverband der Deutschen Industrie erklärte, es gebe viele Ausnahmen im Vertrag, etwa in Sachen Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Bildung und Gesundheit. Gesundes Mißtrauen bleibt gerade wegen dieser Versprechungen – und vor allem angesichts der Erfahrungen mit unter anderem dem nordatlantischen Freihandelsabkommen NAFTA angebracht. Studien zufolge gingen dadurch in den USA rund 700000 Arbeitsplätze verloren, während im Norden Mexikos der Niedrigstlohnsektor expandierte. Nach dem Quasiabschluß von CETA dürften nicht zuletzt bei der Agrarindustrie die Korken knallen. Denn das neue Abkommen enthält eine Klausel, nach der die Zulassung weiterer gentechnisch veränderter Organismen auf europäischen Märkten nur dann gestoppt werden darf, wenn von ihnen ausgehende Risiken für Gesundheit und Umwelt wissenschaftlich nachgewiesen sind. Das in der EU zumindest auf dem Papier geltende Vorsorgeprinzip wäre damit außer Kraft gesetzt.

*** Aus: junge Welt, Samstag 27. September 2014 (Kommentar)


Ausgrenzender Freihandel

Fabian Lambeck über die Wirkung von TTIP und Ceta ****

Ceta und TTIP: Beide Vertragswerke passen nicht in diese Zeit. Zum einen ist die strikte Geheimhaltung, unter der die Verhandlungen geführt wurden und werden, nicht vereinbar mit dem Transparenzgedanken, der das Fundament einer modernen, also digitalen Gesellschaft bildet. Zum anderen beflügeln beide Freihandelsverträge die Blockbildung. Sie sind eben nicht getragen vom Gedanken der Globalisierung, wie Union und SPD meinen und im gleichen Atemzug der LINKEN vorwerfen, ihre Kritik an den Abkommen sei ein Rückfall in den Nationalismus. Beide Verträge wirken vielleicht integrativ, was die Volkswirtschaften der beteiligten Staaten betrifft. Sie bewirken aber andererseits, und das wiegt schwerer, eine Exklusion – etwa Russlands, Asiens oder Lateinamerikas. So würde die Türkei zu den großen Verlierern gehören. Auch wenn die Protagonisten das nicht offen sagen: Die transatlantische Allianz ist der letzte Versuch schwächer werdender Großmächte, dem aufstrebenden China etwas entgegenzusetzen – und seien es gemeinsame Standards. Hinter TTIP steht der Geist der Konfrontation und nicht der Kooperation. Dies passt nicht in eine Zeit, die globaler Lösungen für globale Probleme bedarf. Zumal die Verhandlungsparteien bislang nicht den Verdacht zerstreuen konnten, dass es beiden Seiten vor allem um die Absenkung von Sozial- und Umweltstandards geht, also die Verträge auch innerhalb der EU, der USA und Kanadas desintegrierend wirken.

**** Aus: neues deutschland, Freitag 26. September 2014 (Kommentar)


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