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Bundestag stimmt für Kriegsbeteiligung - Mehr Geld für Bundeswehr

Die Bevölkerung denkt anders - Die Bundestagsentschließung im Wortlaut

565 Abgeordnete stimmten am 19. September 2001 einem gemeinsamen Entschließungsantrag von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP zu, welcher der Bundesregierung grünes Licht für eine militärische Beteiligung an Kriegshandlungen der Vereinigten Staaten und der NATO gibt. 40 Abgeordnete stimmten dagegen, darunter alle PDS-Abgeordneten, vier Grüne und ein Sozialdemokrat. Die Antikriegsopposition innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition ist also wieder kleiner geworden. Mit NEIN stimmten Uwe Jens von der SPD und Annelie Buntenbach, Winfried Hermann, Monika Knoche und Hans-Christian Ströbele von Bündnis90/Die Grünen.

Diese Abstimmung war eine herbe Enttäuschung für die Friedensbewegung. Während überall im Land sich Widerstand gegen den Kriegskurs der Vereinigten Staaten regt, unzählige Versammlungen, Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen stattfinden, besonnene Stimmen aus allen politischen Lagern sich zu Wort melden - erinnert sei nur an die Berliner Rede des Bundespräsidenten - und keine Mehrheit in der Bevölkerung für einen Kriegseinsatz oder für militärische "Vergeltungsschläge" sichtbar ist, tut der Bundestag so, als müsse er wieder einmal ohne das Volk und gegen die Interessen des Volkes bestimmen. Die politische Klasse ist vollends unter den Stammtischen oder bei der BILD-Zeitung angekommen.

Neben der militärischen Komponente beschloss der Bundestag im Eilverfahren auch ein Maßnahmenpaket zur "Inneren Sicherheit". Z.B. soll der Paragraf 129 im Strafgesetzbuch ausgeweitet werden, um kriminelle und terroristische Gruppen, die vom Ausland aus operieren, hier zu Lande besser erfassen zu können. Die Grünen hatten sich bisher immer dafür eingesetzt, den § 129a zu streichen, nun soll er also erweitert werden. Auch soll das sog. Religionsprivileg im Vereinsrecht abgeschafft werden. Und es wurden einige Änderungen bei Verordnungen angekündigt, die sich auf die Sicherheit an Flughäfen oder auf die bessere Kontrolle "illegaler Finanzströme" beziehen. In diesem Zusammenhang werden die Befugnisse der Geheimdienste erweitert.
Insgesamt sollen für die genannten Maßnahmen drei Milliarden DM mehr in den Haushalt 2002 eingestellt werden, als ursprünglich vorgesehen. Davon wird ein erklecklicher Teil an das Scharping-Ministerium gehen, insbesondere zur schnelleren Ausrüstung des Kommados Spezialkräfte, jener Eliteeinheit, die ausschließlich für Auslandseinsätze ausgebildet wird. Auch hierin hat sich also die CDU/CSU durchgesetzt, die seit Monaten fordert, die angeblich Not leidende Bundeswehr kriegstauglicher zu machen.
Pst

Im Wortlaut:

Der Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, verabschiedet in der Sondersitzung des Deutschen Bundestags am 19. September 2001. In namentlicher Abstimmung sprachen sich 565 von 611 Abgeordneten dafür aus. Es gab 40 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen.


Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Der Deutsche Bundestag verurteilt aufs Schärfste die menschenverachtenden Terroranschläge vom 11. September. Er bringt noch einmal seine tiefe Anteilnahme an dem Schicksal der Opfer zum Ausdruck und bekundet seinen Respekt und seine Bewunderung für die großen Leistungen der Polizei, der Feuerwehr und der zahlreichen freiwilligen Helfer in der Katastrophe sowie für die Standhaftigkeit der amerikanischen Gesellschaft gegen die zerstörerische Wirkung dieser feigen Angriffe auf jedes menschliche Zusammenleben.

2. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass sich in Deutschland eine noch nicht da gewesene Welle von tief empfundener Solidarität mit dem amerikanischen Volk, von Betroffenheit über die menschlichen Abgründe der Gewalttaten und von Entschlossenheit, dieser Herausforderung im Rahmen einer globalen Allianz wirksam entgegenzutreten, gezeigt hat.

3. Der Deutsche Bundestag unterstützt mit Nachdruck die amerikanischen Bemühungen um ein weltweites Bündnis zum Kampf gegen den Terrorismus und begrüßt es, dass bereits zahlreiche Länder ihre Kooperationsbereitschaft bei dieser Initiative bekundet haben, darunter auch mehrere arabische und islamisch geprägte Staaten.
Es liegt im Interesse aller Völker, den Terrorismus weltweit zu bekämpfen. In diesem Sinne spricht sich der Bundestag für international abgestimmtes Vorgehen und besonnenes Handeln aus.

4. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Resolution 56/1 der Generalversammlung und die Resolution 1368 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 12. September 2001, in der festgestellt wird, dass der Sicherheitsrat terroristische Angriffe wie in New York und Washington (DC) als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit ansieht.

5.Der Deutsche Bundestag unterstützt den Aufruf des Sicherheitsrates zur internationalen Zusammenarbeit, damit die Täter, Organisatoren und Förderer dieser terroristischen Angriffe vor Gericht gebracht werden und diejenigen, die für die Hilfe, Unterstützung oder Beherbergung der Täter, der Organisatoren und der Förderer verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden.

6. Der Deutsche Bundestag stimmt der Erklärung des Nordatlantikrates vom 12. September 2001 zu, in der festgestellt wird, dass der terroristische Angriff vom 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten als Handlung im Sinne des Artikels 5 des Washingtoner Vertrages zu gelten hat, wenn sich herausstellt, dass dieser Angriff vom Ausland aus gegen die Vereinigten Staaten verübt wurde. Artikel 5 des Washingtoner Vertrages schreibt vor, dass im Falle von Angriffen jeder Verbündete der angegriffenen Vertragspartei Beistand leistet, indem er die Maßnahmen trifft, die er für erforderlich erachtet.

7. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des Beistandes folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden.

8. Der Deutsche Bundestag tritt jeder kulturellen und religiösen Pauschalverurteilung entschieden entgegen und wird zusammen mit der Bundesregierung dafür sorgen, dass unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gegen Anfeindungen und Übergriffe geschützt werden. Keine Religion rechtfertigt Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Menschenrechte.

9. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, über die aktive Solidarität und Unterstützung der amerikanischen Regierung in der gegebenen Situation hinaus zusammen mit anderen Nationen und internationalen Institutionen humanitäre Hilfe zu leisten sowie politische und ökonomische Konzepte zu erarbeiten, die geeignet sind, die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen und ihm seinen Nährboden zu entziehen.

10. Angesichts der Bedrohungen, die sich auch für die äußere und innere Sicherheit Deutschlands nach den Terroranschlägen vom 11. September stellen, muss überprüft werden, ob die Organe zum inneren und äußeren Schutz der Bundesrepublik Deutschland in ausreichender Weise auf diese Herausforderungen antworten können und inwiefern es notwendig ist, sie mit entsprechenden Befähigungen auszustatten.


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