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Das Gewaltmonopol der UNO darf nicht ausgehöhlt werden

Keine solidarische Mitwirkung bei Kriegen ohne UNO-Mandat

Von Gerald Mader*

Die Realpolitik der EU läuft seit einigen Jahren Gefahr, sich verstärkt in Richtung Militärmacht nach amerikanischen Vorbild zu entwickeln. Die Gefahr ist nach dem Wahlsieg Georg Bushs noch größer geworden. Es besteht die Gefahr, dass die EU in eine Art geistige und sicherheitspolitische Geiselnahme genommen wird. Vorrang des Militärischen für Lösung politischer Probleme. Die nationalen Interessen sind der oberste Wert. Dies führt dazu, dass humanitäre Interventionen nur dort stattfinden, wo sich Öl, Diamanten oder sonstige Ressourcen befinden, aber nicht wo wirklich ein Genozid wie in Afrika stattgefunden hat. Daran sollte auch die EU denken, bevor sie sich zu militärischen Einsätzen aus humanitären Gründen entschließt.

Österreich sollte daher unabhängig von seiner Neutralität eine militärpolitische Entwicklung in der EU (Abwertung der UNO, Krieg wieder als Mittel der Politik) nicht fördern, die über echte Verteidigung und begrenzte Friedensmissionen der UNO hinausgeht. Denn das Ansehen und die Rolle der EU in der Weltpolitik beruht nicht auf Krieg und Militärmacht, sondern auf friedlichen Mitteln. Nicht Gewalt, sondern Kooperation, Versöhnung und Interessensausgleich haben erstmals zu einer freiwilligen Einigung Europas geführt. Machtpolitische Zurückhaltung statt imperiale Politik sollte das Profil der EU sein.

Unter dem Gesichtspunkt des Gewaltverbots der UNO ist auch die Frage zu prüfen, ob Österreich zu einer solidarischen Mitwirkung bei Kriegen der EU (battle groups Einsätze) ohne UNO-Mandat verpflichtet ist. Denn dies ist nicht nur eine Frage des Neutralitätsrechts, der Neutralitätspolitik als Friedenspolitik, sondern vor allem eine Frage des Völkerrechts und der UNO-Charta, wonach den Staaten die militärische Gewaltanwendung nur zur Verteidigung erlaubt ist. Alle anderen militärischen Interventionen sind völkerrechtswidrig, falls für sie kein UNO-Mandat vorliegt. Diese klare Bestimmung der UNO kann nicht dadurch umgangen werden, dass der Begriff der Verteidigung auf die ganze Welt ausgedehnt wird und Kriege mit Krisenmanagement umschrieben werden. Die europäische Bevölkerung hat zu 80 % den Irak-Krieg der USA verurteilt, der UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat ihn für "illegal" erklärt und Staaten wie Frankreich und Deutschland haben sich geweigert an einem Krieg teilzunehmen, für den es kein UNO-Mandat gibt. Das, was bei den USA verboten und illegal ist, kann bei der EU nicht erlaubt und legal sein. Javiar Solana hat zwar erklärt, "wir ziehen nicht in Kriege", doch muss der Österreicher an solchen Erklärungen zweifeln, wenn er an die Reden von Politikern denkt, als Österreich unter Wahrung seiner Neutralität der EU beigetreten ist. Tatsache ist jedenfalls, dass sich die EU die Möglichkeit zu völkerrechtswidrigen Kriegen in ihren Verträgen und in der Sicherheitsdoktrin vorbehalten hat. Es stellt sich daher tatsächlich die Frage, ob Österreich verpflichtet ist, an völkerrechtswidrigen Kriegen der EU teilzunehmen.

Richtig ist, dass der Artikel 23 f BVG festlegt, dass Österreich zur solidarischen Mitwirkung an den sogenannten Petersberger Aufgaben verpflichtet ist, wozu auch "friedensschaffende Einsätze" (Kriege) gehören. Nur in den erläuternden Bemerkungen, die keine Gesetzeskraft haben, findet sich der Satz, dass diese Verpflichtung auch dann gilt, wenn es hierfür kein UNO-Mandat gibt. Diese erläuternden Bemerkungen stehen mit dem Gewaltverbot der UNO im eklatanten Widerspruch. Österreich hat im Zusammenhang mit dem zweiten Golfkrieg 1999 ausdrücklich anerkannt, dass es sich als UNO-Mitgliedsstaat allen Rechten und Pflichten der UNO-Charta unterwirft. Der österreichische Verfassungsgesetzgeber kann das Gewaltverbot der UNO auch nicht mit einem Verfassungsgesetz außer Kraft setzen, da die UNO-Charta im Sinne eines Stufenbaues der Rechtsordnung das höhere Recht ist, an das sich auch die EU-Staaten zu halten haben. Vor allem kann es in einem Rechtsstaat keine Verpflichtung zur solidarischen Mitwirkung bei Kriegsverbrechen oder Völkerrechtsbrüchen geben, weshalb Österreich mit Recht eine Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen ablehnen kann und sogar muss. Es sollte im Gegenteil Aufgabe des neutralen Österreichs sein, im EU-Rat durch ein Veto Kriege der EU zu verhindern, die ohne UNO-Mandat geführt werden. Solidarität ja, aber ohne Bruch des Völkerrechts und des Gewaltverbots der UNO.

So lange der Irak-Krieg nachwirkt, werden die EU-Staaten wahrscheinlich einem Krieg ohne UNO-Mandat nicht zustimmen. Aber die Zukunft ist offen. Daher gilt es rechtzeitig den Versuchen zu wehren, das Gewaltmonopol der UNO auszuhöhlen.

* Dr. Gerald Mader ist Leiter des Österreichischen Studienzentrums für Friedens- und Konfliktlösung (ÖSFK) in Stadtschlaining (Burgenland).
Dieser Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung in der Wiener Zeitung vom 2. Dezember 2004



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