Parolen wie »Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt« waren in den Gäßchen des Rheingau-Städtchens Geisenheim zuletzt vor 13 Jahren zu hören. Damals demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen die dubiosen Geschäfte der ortsansässigen Waffenschmiede Fritz Werner, die unter der Kohl-Regierung unter anderem die ehemaligen Kriegsparteien Iran und Irak mit Waffen beliefern durfte. Die Kontinuität deutscher Außenpolitik, hier die Rüstungsexportpolitik der Schröder-Fischer-Regierung, sorgte nun für ein Revival.
»Menschenrechte statt Panzer- Keine Waffenexporte in die Türkei! Keine Abschiebungen in den Folterstaat Türkei! Bleiberecht für Familie Akyüz!« Unter diesen Losungen demonstrierten am Samstag rund 250 Menschen vor der hessischen Waffenschmiede Fritz Werner, die mittlerweile zum MAN-Konzern gehört. »Daß wir heute gegen die geplante Lieferung einer Waffenfabrik keine Tausende auf die Straße gebracht haben, ist für uns keine Enttäuschung. Es ist der richtige Ansatz, Flüchtlingspolitik und Waffenlieferungen zusammenzubringen. Insofern war das heute ein Erfolg«, so Ines Welge vom Wiesbadener Flüchtlingsrat.
Während die lange Jahre in Wiesbaden ansässige Familie Akyüz von einer Abschiebung bedroht sei und der Vater trotz in der Vergangenheit in der Türkei erlittener Mißhandlungen und Folter bereits im Frühjahr dieses Jahres aus der Bundesrepublik abgeschoben wurde, werde gleichzeitig vom Bundessicherheitsrat der »Segen« für ein solches Waffengeschäft erteilt: »Ist das die deutsche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts: Abschiebungen und Waffenlieferungen?«
Auch Matthies Jochheim von der Ärzteorganisation gegen Atomkrieg (IPPNW), einer der Redner in Geisenheim, zeigte sich nach zwei Jahren Schröder-Fischer-Regierung ernüchtert: Beschlüsse dieser Art, die gegen selbst deklarierte Prinzipien verstoßen, »überraschen mich bei Rot-Grün nicht mehr«. Das oberste Prinzip dieser Regierung sei Machterhalt und Machtausbau, für die Regierenden selbst wie für die Deutschland AG. Insofern würden Kategorien wie Friedenssicherung und Menschenrechte »zu reinen Versatzstücken im taktischen Kalkül«. Immerhin rege sich nun doch Protest gegen diese Politik. Und der politische Ansatz der Geisenheimer Demo, friedenspolitische und menschenrechtliche Aspekte zusammenzubringen und soziale sowie wirtschaftliche Punkte miteinzubeziehen, hält er für wichtig.
Die Demonstration war von einem Bündnis lokaler und regionaler Gruppen, unter anderem der Rheingauer Friedensinitiative, dem Aktionsbündnis Rhein-Main gegen Abschiebungen, dem Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden, der Ärzteorganisation IPPNW, der DFG-VK Hessen und weiteren Gruppen in wenigen Wochen auf die Beine gestellt worden.(siehe den Aufruf zur Demonstration) »Angesichts des Schicksals von Familie Akyüz brannte uns das Ganze unter den Nägeln«, so Uta Ries, Geschäftsführerin im Flüchtlingsrat.
Lange Zeit versuchte das Wirtschaftsministerium, beim Punkt Waffenfabrik für die Türkei zu mauern: Ob eine Anfrage zur Lieferung von Gewehrmunition für die Türkei vorliege, wollte man nicht bestätigen. Dabei war der Wunsch Ankaras bekannt, die Armee des Landes mit neuer Munition auszustatten: Mit einem Kaliber, das auch in den anderen NATO-Ländern gebräuchlich ist. Ende August war das »Versteck-Spiel« beendet. Nur kurz entbrannte in den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien ein Streit darüber, ob dieses Geschäft überhaupt genehmigt werden dürfe. Doch für Wirtschaftsminister Müller und Kanzler Schröder war es keine Frage: Auch die im Januar vom Kabinett beschlossenen neuen Rüstungsexportrichtlinien, die ausdrücklich die Menschenrechtslage in einem Empfängerland als ein Kriterium für eine Entscheidung nennen, stünden einem Export, so Müller, »nicht entgegen«.
Eine für Friedens- und Menschenrechtsorganisationen durchaus erstaunliche Erkenntnis: »Nach Angaben von amnesty international«, so Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn, »gehört die Türkei bis heute zu den Ländern, in denen Mißhandlungen und Folter in Polizeistationen und Gefängnissen, willkürliche Verhaftungen und Morde durch Angehörige der Sicherheitsbehörden an der Tagesordnung sind. Sind das keine Menschenrechtsverletzungen?« Vor diesem Hintergrund erklärte zwar vor einigen Wochen auch die grüne Abgeordnete Claudia Roth, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, die Entscheidung des Wirtschaftsministeriums sei »ein klarer Verstoß« gegen die beschlossenen Richtlinien und »politisch falsch«. Aber Außenminister Fischer, der zusammen mit Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (SPD) Einwände gegen dieses Rüstungsgeschäft vorgebracht haben soll, wollte als »Geheimnisträger« das Ganze »nicht weiter kommentieren«.
Dafür kritisierten die Redner in Geisenheim das vom Bundessicherheitsrat durchgewunkene Geschäft. Franz Nadler, Sprecher von Connection e.V., einer in Offenbach ansässigen Organisation, die sich für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt, bilanzierte in Geisenheim eine erschreckende Kontinuität deutscher Außenpolitik: »Die Verantwortung für Krieg, Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte tragen auch die derzeitige Bundesregierung sowie die bei Fritz Werner bzw. bei MAN Beschäftigten«.
Thomas Klein, Geisenheim
Aus: junge welt, 6. Oktober 2000